Sonntag, 27. Juli 2014

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Vorwort: Die Regierung der Prekarität

Zur neoliberalen Konzeption unsicherer Arbeitsverhältnisse
 
 
http://unrastwildcat.blogsport.de/2010/10/19/vorwort-die-regierung-der-prekaritaet/
 
 
 
Niels Spilker
Die Regierung der Prekarität
Zur neoliberalen Konzeption unsicherer Arbeitsverhältnisse
Edition DISS Band 27
ISBN 978-3-89771-756-5 | 160 Seiten | 18.00 Euro

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist eine Auseinandersetzung mit prekären Arbeitsverhältnissen. Anknüpfend an den Begriff der Gouvernementalität, wie ihn der französische Philosoph Michel Foucault Ende der 1970er Jahre geprägt hat, steht dabei die Frage im Mittelpunkt, was Subjekte über diese prekären Arbeitsverhältnisse wissen und denken und wie sie darin handeln sollen. Nahegelegt wird ihnen ‚Beschäftigungsfähigkeit' und Flexibilität, also ein individuelles „Management des Eisschollenspringens" (Pühl 2003: 123).

Foucault betont die Materialität solcher Wissensformationen, die in Form von Diskursen, Symbolen, Ritualen und Praktiken auftreten und Gegenstand alltäglich stattfindender Kämpfe um Rationalitäten und Lebensweisen sind. Der Siegeszug des Neoliberalismus seit den 1970er Jahren war mit einer dramatischen Niederlage der politischen Linken verbunden, insbesondere der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung (Deppe 2001).

Diese Niederlage manifestiert sich nicht nur an unmittelbar politischen Kämpfen und verschobenen Kräfteverhältnissen. Verlorene Kämpfe stehen vielmehr als Symptome für einen grundlegenden Wandel der diskursiven Ordnung.

Das verweist auf den produktiven, Handlungsfelder generierenden Charakter von Diskursen – auch und gerade mit Blick auf die Transformation von Arbeitsverhältnissen. Wissen ist mit einer bestimmten Praxis verbunden, und umgekehrt kommt durch eine bestimmte Praxis immer auch motivierendes Wissen zum Ausdruck. Ob ein gesellschaftliches Verhältnis als Klassenkampf, als Sozialpartnerschaft oder als individuell zu meisterndes Schicksal gefasst wird, legt ziemlich unterschiedliche Verhaltensweisen nahe. Als praktisches Wissen beeinflussen diese, wie sich das gesellschaftliche Verhältnis weiter entwickeln kann.

Als eine Artikulationsform der gegenwärtigen diskursiven Ordnung untersuche ich das schillernde Genre der Selbsthilfe- und Ratgeberliteratur. Titel wie „Die stärkste Marke sind Sie selbst!" (Berndt 2009) oder „Die andere Ich AG – Führen sie sich selbst wie ein erfolgreiches Unternehmen!" (Strauss 2003) entwerfen eine spezifische Figur von Subjekt.

Das innovative, kreative, risikobereite, unternehmerische Selbst bildet darin den Gegenentwurf zum dressierten Subjekt der fordistischen Ära. Die Kapitalinteressen der AG sollen nicht mehr nur aufgezwungen, sondern gesellschaftlich vermittelt durch das Ich übernommen werden (vgl. Kleyboldt 2004: 591).

Die diskursive Ordnung ist dabei immer umkämpft. Die Ich AG findet sich einerseits im Titel des zitierten Ratgebers, bezeichnet ein 2003 eingeführtes arbeitsmarktpolitisches Instrument des aktivierenden Sozialstaats (in Form einer Anschubfinanzierung zur Selbstständigkeit, 2006 durch den sog. Gründungszuschuss abgelöst) und wurde wegen der sprachlichen Herabstufung menschlicher Schicksale auf Börsenniveau von einer Jury von SprachwissenschaftlerInnen zum ‚Unwort des Jahres 2002' gewählt.

Ändern konnte diese Ächtung als Unwort freilich wenig. Die Rationalität der Ich AG ist weiterhin und auch im Kontext der seit 2008 andauernden Krise des Kapitalismus wirkmächtig – auch wenn sie mittlerweile anders heißen mag.

Die Anpassung der Rhetorik ist leicht gemacht und geschieht bisher innerhalb der herrschenden Realität. So betont bspw. EU-Kommissionspräsident Barroso neuerdings, politische Strategien müssten eine soziale Komponente haben, „um von den Menschen akzeptiert zu werden" (FAZ vom 27.3.2010). Neben dieser Rhetorik existiert das arbeitsmarktpolitische Leitbild der EU-Kommission dann allerdings weiter. Sie will „Menschen befähigen, […] Veränderungen zu antizipieren und zu bewältigen" (EU-Kommission 2010: 19).

Abhängig Beschäftigte werden in dieser neoliberalen Konzeption unsicherer Arbeitsverhältnisse zur ausbeutbaren Wegwerfware. Das zeigt auch meine Untersuchung, wobei eine ‚Regierung der Prekarität' dabei stets einfordert, die Risiken des flexiblen Kapitalismus als großes Abenteuer zu empfinden: Wir müssen die Unsicherheit lieben!

Meine Studie richtet sich gegen die energische Behauptung von Normalität, sie soll hegemoniale Wissensformationen dechiffrieren. Diese Rekonstruktion einer postfordistischen Regierungsweise ist dabei nicht nur aus theoretischer Perspektive interessant.

Sie besitzt angesichts einer „Neuerfindung des Sozialen" (Lessenich 2008) in hohem Maße politische Relevanz. Während auf der einen Seite die Aufforderung, sich anpassungsfähig zu zeigen, sich fortwährend in Projekte zu verstricken, lebenslang zu lernen, für immer mehr Menschen zunimmt, bietet der Arbeitsmarkt immer weniger Chancen.

Die Betonung von Eigenverantwortung ist zudem mit dem radikalen Abbau sozialstaatlicher Leistungen und ökonomischer Profitmaximierung verknüpft. Die Analyse der postfordistischen Gouvernementalität soll die Beziehung zwischen diesen Phänomenen sichtbar machen.

Berlin, im Mai 2010 Niels Spilker

Inhalt

Vorwort | 5

Einleitung | 8

Regierung als Gouvernement | 15

1 Macht, Wissen und Subjekt bei Foucault | 15

Die Produktivität der Macht | 15
Macht-Wissen | 16
Das Subjekt und die Macht | 18

2 Die Führung der Führungen | 19
Fremd- und Selbstführung | 22
Politische und pastorale Macht: Menschen regieren | 23
Liberale Gouvernementalität: Die Gesellschaft regieren | .27
Zur Transformation liberaler Gouvernementalität | 31
Neoliberale Gouvernementalität: Individuen regieren | 35

3 Regierung und Regulation | 39
Akkumulationsregime und Regulationsweise | 42
Zwang und Konsens | 46
Krise der Regierung, Krise der Regulation | 49

Die vernünftige Ordnung der Tätigkeiten | 52

1 Fordistische Arbeitsverhältnisse | | 52

2 Disziplin, Konformismus, Sicherheit | 56

3 Die Krise der fordistischen Einschließung | 63

Die unsanfte Freisetzung | 67

1 Anwendungsbedingungen | 67
Prekarisierung im flexiblen Kapitalismus | 69
Der Staat als Sprungbrett in die Eigenverantwortung | 72
Überleitung: Beratungsdispositive in prekären Verhältnissen | 73

2 Fallbeispiel I: Die andere Ich AG ® | 75
Der Vorstandsvorsitzende der Ich AG | 76
Die Ich AG als Marke bekanntmachen | 78
Innovation, Kraft, Kreativität | 79
Zwischenfazit: Die Ich AG bleibt in Bewegung | 80

3 Fallbeispiel II: Lifetime-Management | 81
Das optimale Gleichgewicht erarbeiten | 82
Selbst-Adjustierung im oberen Drittel | 83
Life Leadership | 85
Zwischenfazit: Arbeit an sich selbst | 86

4 Fallbeispiel III: Das revolutionäre Unternehmen | 88
Das Zeitalter der Revolution | 89
Ich gehöre nicht länger zum Fußvolk – Ich bin Revolutionär | 91
Zwischenfazit: Die Revolution ist großartig.. | 93

5 Fallbeispiel IV: Führen, Leisten, Leben | 97
Der wirksame Mensch und die gute Führung | 97
Dein Beitrag zum Ganzen | 99
Vertrauen schaffen, positiv denken | 100
Zwischenfazit: Zur Leistung führen | 102

6 Regieren im Postfordismus | 103
Governing at a distance – Technologien der Fremdführung | 106
Balance your life – Technologien der Selbstführung | 111
Be quick! | 114

Die Regierung der Prekarität | 121

1 Von der Fabrik zum Unternehmen | 125

2 Das umkämpfte Subjekt im Postfordismus | 128

3 Think the mop! – Ausgangslagen, Brüche, Kritik | 133

4 Von kollektiver Verrücktheit | 140

Literatur | 144Danksagung | 158

Weitere Informationen

Niels Spilker:
Wir tanzen nicht zu eurer Bolognese.
Die Regierung der Prekarität im neoliberalen Bildungssystem. In:
ak – Analyse & Kritik Nr. 549 / 16.4.2010 / S. 6

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Niels Spilker – Zur Gouvernementätärä der neuen Lernkultur



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