Donnerstag, 24. Januar 2013

Wasserprivatisierung durch die Hintertür [via Nachdenkseiten]

Wasserprivatisierung durch die Hintertür

Verantwortlich: Jens Berger

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=15941

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Die Privatisierung der Trinkwasserversorgung hat durch die Eurokrise wieder Fahrt
aufgenommen. Griechenland und Portugal wurden bereits von der Troika genötigt, Teile ihrer
öffentlichen Trinkwasserversorgung zu privatisieren. Doch dies könnte nur der Beginn einer
neuen großen Privatisierungswelle sein, die auch vor Deutschland nicht halt macht. Fiskalpakt
und Schuldenbremse könnten schon bald europaweit die öffentliche Hand zwingen, die
Trinkwasserversorgung zu privatisieren und mit einem neuen Richtlinienvorschlag zur
Konzessionsvergabe will die EU-Kommission die dafür nötigen Rahmenbedingungen schaffen.
Doch der Widerstand der Europäer wächst. Die europaweite Petition „Wasser ist ein
Menschenrecht“ wurde bereits von mehr als 400.000 Menschen unterzeichnet – wenn die
Petition bis zum Herbst eine Million Unterzeichner findet, muss Brüssel sich öffentlich mit dem
Thema auseinandersetzten. Die Privatisierung durch die Hintertür wäre damit erst einmal
gestoppt. Von Jens Berger
Trinkwasser ist eine Ressource, die sich nicht sinnvoll privatisieren lässt. Wenn wir über
„Wasserprivatisierung“ sprechen, geht es nicht um das Wasser selbst, sondern um ein Bündel aus
Dienstleistungen von der Förderung des Rohwassers, über die Wasseraufbereitung bis zum
Transport des Trinkwassers zu den Haushalten. Einen sogenannten „Wettbewerb im Markt“ kann
es hierbei nicht geben. Die Trinkwasserversorgung ist ein natürliches Monopol und es ist rein
physikalisch nicht möglich, verschiedene Wässer in einem Leitungsnetz anzubieten. Bei der
Wasserprivatisierung geht es vielmehr um einen „Wettbewerb um den Markt“, also darum, die
bereits vorhandene Infrastruktur zu betreiben.
Trinkwasser – die nicht privatisierbare Ressource
Da Trinkwasser immer benötigt wird und es für Privathaushalte weder eine Alternative noch ein
Substitut gibt, unterscheidet sich auch die Preis- bzw. Gebührengestaltung grundlegend von
einem freien Markt, bei dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Die Preis- bzw.
Gebührenbemessung bei der Trinkwasserversorgung funktioniert nach dem sogenannten
Kostendeckungsprinzip. Zu den Betriebskosten werden in der Regel die Kapitalkosten und eine
festgelegte Rendite für den Betreiber addiert und dieser Kostenblock wird eins zu eins auf die
Kunden umgelegt. Da der Betreiber durch die Kostendeckung in der Regel auch eine Garantie auf
die Erzielung der einkalkulierten Rendite besitzt, unterscheidet sich die Trinkwasserversorgung
fundamental von allen anderen Dienstleistungen, bei denen nur dann eine Rendite erzielt
werden kann, wenn man ordentlich wirtschaftet.
Doch dies sind nicht die einzigen Besonderheiten der Trinkwasserversorgung. Die
Trinkwasserversorgung zeichnet sich auch durch enorm hohe Investitions- bzw.
Reinvestitionskosten aus und hat daher auch enorm lange Abschreibungszeiträume. In der
heutigen Zeit, in der sich Investitionen möglichst schnell rentieren müssen und der Blick auf die
Quartalszahlen wichtiger erscheint als langfristige Strategien, sollten solche Geschäftszweige für
„modern aufgestellte“ Unternehmen eigentlich unattraktiv sein. Aus diesem Grund haben sich
renditeorientierte Wasserversorger auch auf die Betreuung von bereits vorhandenen
Wasserversorgungsnetzen verlegt. Diese Netze sind in der Regel vom Steuerzahler finanziert
worden und größtenteils bereits abgeschrieben. Der Betreiber hat lediglich für den
ordnungsgemäßen Betrieb und die Pflege der Infrastruktur zu sorgen. Hohe Investitionskosten,
deren Abschreibung den Konzessionszeitraum überschreitet, sind für private Betreiber
unattraktiv – es sei denn, man lässt sich die Investitionen durch die öffentliche Hand bezahlen.
Die in Deutschland üblichen Betreiberverträge (Public Private Partnership), die nach bestimmten
Perioden neu ausgeschrieben werden, sind in diesem Zusammenhang besonders problematisch.
Der Betreiber hat kein Interesse daran, Investitionen zu tätigen, deren Abschreibungsperiode
länger als die vertragliche Nutzungsperiode ist. In der Folge werden dann notwendige
Reinvestitionen in die Leitungsnetze unterlassen. Am Ende der Vertragslaufzeit hat der
Wasserversorger dann seine Konzessionsabgabe samt satter Rendite auf Kosten der Bürger
wieder eingefahren und die Kommune sitzt auf einem maroden Leitungsnetz. Die öffentliche
Hand steht dann vor einem Berg nötiger Investitionen, der die eingenommen
Konzessionsgebühren wieder aufzehrt. Der einzige Gewinner bei diesem Spiel ist der private
Wasserversorger. Solche Dummheiten sind allerdings hausgemacht, die Politik ist dabei nicht das
Opfer, sondern der Täter.
Fallbeispiel Großbritannien
Wer sich ein Bild von falscher Privatisierung machen will, der sollte sich die Erfahrungen
Großbritanniens zu Gemüte führen. Dort wurde Ende der 80er Jahre die Wasserversorgung
radikal privatisiert. In der Folge stiegen die Wasserpreise inflationsbereinigt binnen zehn Jahren
um 46% an. Die Gewinne der Versorger stiegen im gleichen Zeitraum um 142%, einige
Unternehmen zahlten ein Viertel der Einnahmen direkt als Dividende an die Aktionäre aus.
Gespart wurde allerdings an den Investitionen ins Versorgungsnetz. Nach 10 Jahren privater
Bewirtschaftung hatten einige britische Städte ein maroderes Netz als die meisten
Drittweltstaaten – in London war das Netz derart heruntergewirtschaftet, dass die
Leitungsverluste sich auf 40% summierten, was, neben immensen Schäden durch das
auslaufende Wasser, dazu führte, dass ganze Teile Londons nicht mehr mit dem nötigen
Wasserdruck versorgt werden konnten. Die Regierung erließ daraufhin neue Gesetze, die den
Raubbau am „blauen Gold“ erschwerten und Investitionen in das Netz gesetzlich vorschrieben.
Die Privaten verließen daraufhin größtenteils das Spielfeld und die milliardenschweren
Investitionen mussten erneut vom Steuerzahler getätigt werden.
Warum privatisiert man die Trinkwasserversorgung überhaupt?
Die negativen Folgen der Wasserprivatisierung sind bekannt. Warum privatisiert die öffentliche
Hand denn dann überhaupt ihre Trinkwasserversorgung? In den meisten Fällen geschieht dies
nicht in Folge einer kühl kalkulierten Kosten-Nutzen-Abwägung, sondern aus Zwang.
Griechenland und Portugal haben beispielsweise gar keine Wahl. Folgen sie den
Privatisierungsforderungen der Troika nicht, erfüllen sie die „Sparauflagen“ nicht und bekommen
keine frischen Kredite. Friss oder stirb ist hier das Motto.
Griechenland und Portugal sind überall. Alleine in Nordrhein Westfalen stehen 60% aller
Kommunen unter einen sogenannten „Zwangshaushalt“. Um die Schulden zu senken, können die
Kommunen gezwungen werden, sich von ihrem „Tafelsilber“ zu trennen. Dieser Einmal-Effekt ist
in der Regel jedoch nicht nachhaltig und verschlechtert mittel- bis langfristig die finanzielle Lage
der Kommunen, anstatt sie zu verbessern.
Dank der Schuldenbremse und des Fiskalpakts ist es der öffentlichen Hand zudem häufig
verboten, notwendige Investitionen auf „Pump“ zu finanzieren. Kein Wasserversorger kann
jedoch die hohen Investitionskosten, die über Jahrzehnte abgeschrieben und über den
Wasserpreis langfristig refinanziert werden, aus dem laufenden Geschäft (dem Cash Flow) zahlen.
In einen solchen Fall ist die Kommune gezwungen, ihre Wasserversorgung an ein privates
Unternehmen abzugeben. Ökonomisch ist dies jedoch gleich mehrfach kontraproduktiv.
Die Zeche zahlt der Bürger
Selbst vergleichsweise hoch verschuldete Kommunen bekommen über die KfW und die
kommunalen Sparkassen Fremdkapital zu günstigeren Bedingungen als es jeder private
Wasserversorger je könnte. Selbst wenn man einmal realitätsfern unterstellen würde, dass der
private Versorger sich auf diesem Weg keine „verdeckte“ Rendite erwirtschaften will, sorgen
alleine die höheren Kapitalkosten dafür, dass der private Versorger die Wasserpreise stärker
anheben muss, um seine Gesamtkosten nach dem Kostendeckungsprinzip auszugleichen. Dies
gilt erst recht, wenn die Konzession zeitlich befristet ist und die Investitionskosten über einen
kürzeren Zeitraum refinanziert werden müssen. In allen Fällen trägt der Bürger die
entstehenden Mehrkosten über einen steigenden Wasserpreis – egal, ob der private Versorger
nun Investitionen vornimmt oder nicht.
Schützenhilfe aus Brüssel
Ginge es nach EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier, müssten künftig auch kleinere
Kommunen ihre Trinkwasserversorgung europaweit ausschreiben – dies wäre laut Experten die
Folge des von Barnier überarbeiteten Richtlinienvorschlags zur europaweiten
Konzessionsvergabe. Vor allem die Wassermultis aus Frankreich und Großbritannien scharren
bereits mit den Hufen, um auch in anderen Ländern Fuß fassen zu können. Vor allem
Deutschland, mit seiner kleingliedrigen kommunalen Versorgerstruktur und den vielen Zweck-
und Wasserverbänden, die dem Bürger in der Regel eine sehr gute Qualität zu einem sehr
günstigen Preis liefern, wäre der Hauptgewinn, den sich die Multis nun von der EU-Kommission
auf dem Silbertablett präsentieren lassen wollen. Bei einer europaweiten Ausschreibung, so das
Kalkül der Multis, lassen sich die kommunalen Betriebe durch Dumpingangebote verdrängen.
Wenn diese Konzession auslaufen und die „wahren Kosten“ entstehen, können die Multis Kasse
machen und es gibt niemanden mehr, der sie aufhält, da die kommunalen Betriebe längst
geschlossen wurden.
Wehren Sie Sich!
Erwin Pelzig hat es in „Neues aus der Anstalt“ vorgemacht und auch die NachDenkSeiten haben
ihre Leser bereits in den Hinweisen des Tages auf die Unterschriftenliste der europäischen
Bürgerinitiative „right2water.eu“ aufmerksam gemacht. Wenn Sie sich gegen die Privatisierung
der Trinkwasserversorgung zu Wehr setzen wollen, sollten Sie die Petition von „right2water.eu“
unterzeichnen * . Zeigen Sie der EU, dass Europa ein Europa der Bürger und nicht ein Europa der
Lobbyisten sein sollte.
Zum Thema:
DGB klartext – Öffentliche Daseinsvorsorge darf kein Geschäft werden! [100 KB]
Attac – Europäische Bürgerinitiative “Wasser ist ein Menschenrecht”
Wasser in Bürgerhand!
* Anmerkung: In der Erklärung zur Petition heißt es unter #15, dass der Wasserpreis je
Kubikmeter um so höher sein sollte, je mehr der Kunde „verbraucht“. Diese Forderung ist –
zumindest in Deutschland – ökonomisch und ökologisch kontraproduktiv, da der hohe
Fixkostenanteil über das Kostendeckungsprinzip bei sinkender Abnahme zwangsläufig zu höheren
Preisen führen muss. Ökologisch ist ein Anreiz, Wasser sparsam zu gebrauchen (Wasser wird
nicht verbraucht), ebenfalls kontraproduktiv, da die deutschen Leitungsnetze für eine höhere
Abnahme ausgelegt sind. Dies führt (vor allem in Ostdeutschland) zu teils massiven technischen
Problemen, denen nur mit einem höheren Chemikalieneinsatz und Rohrspülungen begegnet
werden kann – beides ist ökologisch und ökonomisch problematisch. Es gäbe zahlreiche Modelle,
wie man den Wasserpreis sozial verträglich gestalten kann – ein preislicher Anreiz fürs
„Wassersparen“ gehört jedoch nicht dazu. Da dieser Punkt jedoch nur in der Erklärung und nicht
im Petitionstext selbst auftaucht, spricht dies nicht dagegen, die Petition zu zeichnen.

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