Montag, 22. Oktober 2012

Ex-Verfassunngsschützer als wissenschaftlicher Buchautor - Wie Geschichte verfälscht wird [via Neue Rheinische Zeitung]


Ex-Verfassunngsschützer als wissenschaftlicher Buchautor
Wie Geschichte verfälscht wird

Von Arno Klönne

[via Neue Rheinische Zeitung]

 

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18313

"Lenins Erben verklagen Paderborner Verlag" - meldete das Westfalen-Blatt". Der Vorsitzende der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" werte "Tatsachenbehauptungen" über seine Partei und sich selbst in einem Buch dieses Unternehmens als "falsch und ehrverletzend".

Ein allzu empfindlicher "Sektenchef"? So einfach läßt sich der Vorgang nicht beiseite legen. Das Buch, um das es da geht, verdient Aufmerksamkeit.
Der beklagte Verlag Ferdinand Schöningh bringt Bücher zu Geschichte und Politik heraus, für die Schule und für ein wissenschaftliches Publikum. Es handelt sich dabei durchweg um seriöse Arbeiten. Interessiert greift man daher zu dem hier nun herausgebrachten Werk über "Linksextremismus", vielleicht sind dort, MLPD hin, andere Themen her, gründliche Analysen, fundierte Einschätzungen zu finden, bedenkenswert auch für Leser, die links stehen?

Freilich - die Verfasser des Werkes, Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen, einer von ihnen war als Referatsleiter beim Verfassungsschutz tätig, sind bisher als Autoren von Kampfschriften hervorgetreten, vor allem gegen die Partei "Die Linke" gerichtet. Das ist ihr selbstverständliches Recht, es schließt ja auch nicht aus, daß sie zur Abwechslung dazu übergehen, Wissenschaftliches zu Papier bringen. Also mal nachlesen.

Zum Beispiel: Rosa Luxemburg. Die Partei "Die Linke" hat ihre parteinahe Stiftung nach dieser Frau benannt. Für Bergsdorf und van Hüllen ein Beleg für Extremismus. "Zwar" sei Rosa Luxemburg einem politischen Mord zum Opfer gefallen, "aber" sie sei ja auch "eine rigorose Gegnerin sowohl der Weimarer Republik als der Demokratie als solcher" gewesen. Die PDL "stilisiere" sie nur "zur Kommunistin mit menschlichem Antlitz". Tatsächlich habe Rosa Luxemburg "fanatisch gehetzt", die Freiheit Andersdenkender gar nicht geachtet, die "Weimarer Nationalversammlung verunglimpft " und "bürgerkriegsähnliche Kämpfe gegen die Weimarer Republik" angeführt.

Ein historisch nicht unterrichteter Leser, der diese Charakterisierung übernimmt, kann zu dem Gefühl kommen: Da ist es doch nicht weiter bemerkenswert, daß eine solche Politikerin, der offenbar das menschliche Antlitz fehlte, totgeschlagen wurde. Die historische Wahrheit ist, daß Rosa Luxemburg die "Weimarer Republik" nicht "bürgerkriegsähnlich bekämpft" hat, sie war schon ermordet, als die Nationalversammlung, aus der "Weimar" als politisches System hervorging, zum ersten Mal zusammentrat. Keineswegs war Rosa Luxemburg eine "rigorose Gegnerin der Demokratie als solcher"; sie trat leidenschaftlich für demokratische Verhältnisse ein, auch für solche innerhalb der Linken. Allerdings war sie der Auffassung, ohne Überwindung kapitalistischer Klassenherrschaft, in ihrer Zeit offen brutal und kriegerisch ausgeübt, sei wirkliche Demokratie für alle nicht zu erreichen. Von der Sozialdemokratischen Partei hatte sie sich abgewandt, als deren Führung sich der Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschen Reiches anpaßte. Und sie war dafür, daß die Linke sich 1919 an der Wahl zur Nationalversammlung beteiligen solle. Bergsdorf und van Hüllen suggerieren, eine "fanatische Hetzerin" habe einen sonst reibungslosen und friedlichen Übergang zur Demokratie in Deutschland gestört. Würden SchülerInnen in einem gymnasialen Leistungskurs Geschichte, denen ja seriöse Unterrichtswerke u.a. aus dem Verlag Schöningh zur Verfügung stehen, die historischen Umstände vor und um 1919 so darstellen wie es die beiden Autoren tun, bekämen sie zu Recht ein "mangelhaft".

Wollen Bergsdorf und van Hüllen, nicht nur mit ihrem Zugriff auf die Geschichte, durch Kritik von "Extremismus" der Verfassung Schutz geben? In ihrem Buch fehlt die Erklärung dessen, was im Sinne des Grundgesetzes unter freiheitlich-demokratischer Grundordnung zu verstehen und wo also Verfassungsfeindschaft festzustellen ist. Offenbar meinen die beiden Autoren, unsere Verfassung sei so etwas wie ein neues "Sozialistengesetz", ein Verbot sozialistischer gesellschaftlicher Entwürfe. Da befinden sie sich im Irrtum.

Rätselhaft ist, weshalb ihr Buch vom Verlag mit den Sätzen beworben wird, da werde "klug aufgeklärt", "umfassend analysiert". Vielleicht wurde von den Schreibern des Klappentextes dieses Werk mit einem anderen Schöningh-Buch verwechselt. (PK)

Arno Klönne, ehemaliges SPD-Mitglied, wurde 1978 Professor an der Universität Paderborn. Seine jugendsoziologische Studie "Jugend im Dritten Reich" gilt als Standardwerk zur Geschichte der Hitlerjugend und ihrer Gegner. In den 1960er Jahren war er einer der Sprecher der Ostermarschbewegung. Heute ist er Mitherausgeber der linken Zeitschrift Ossietzky. 

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