Montag, 21. November 2011

--->>> #Griechenland #bleibt über seinen #Schuldenerlass #Anlageobjekt #fürs #Finanzkapital [via analyse & kritik]


Sparen und Herrschen

Wirtschaft & Soziales

Griechenland bleibt über seinen Schuldenerlass

Anlageobjekt fürs Finanzkapital

Von Anna Blume und Nick Sinakusch

[via ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 566 / 18.11.2011 ]

http://www.akweb.de/ak_s/ak566/30.htm


Ende Oktober 2011 kündigte der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou an, die Bevölkerung über die neuen Sparprogramme abstimmen zu lassen. Die Weltbörsen stürzten daraufhin ab. Die deutschen Medien sprachen zurückhaltendes Lob aus - es galt nicht dem Referendum als gutem Mittel der Meinungsäußerung für die Bevölkerung, sondern der griechischen Regierung, Zustimmung zu den Sparprogrammen zu organisieren. Die deutsche und die französische Regierung jedoch drohten, Griechenland aus der Eurozone zu werfen und stellten damit klar: Ihre Agenda zur »Rettung des Euro« erlaubt keine Einmischung der Opfer.

Ein Referendum in Griechenland hätte die Strategie gefährdet, auf die sich die Euro-Staaten Ende Oktober 2011 geeinigt hatten. »Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone haben auf ihrem Gipfel in Brüssel am 26./27. Oktober 2011 Beschlüsse gefasst, die Europa bei der nachhaltigen Bekämpfung seiner Schuldenkrise einen guten Schritt voranbringen«, schrieb Finanzminister Wolfgang Schäuble Anfang November 2011 an die Mitglieder des Bundestags. Die Beschlüsse umfassen vier zentrale Punkte:

Erstens: »Eine tragfähige Lösung für Griechenland, die eine angemessene Beteiligung der privaten Gläubiger vorsieht.« Zweitens: »Eine effiziente Nutzung des temporären Rettungsschirms, um Ansteckungseffekte im Keim ersticken zu können.« Drittens: »Ein klares Bekenntnis potenziell von Finanzierungsproblemen gefährdeter Staaten, dass sie die notwendigen finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergreifen.« Viertens: »Glaubwürdige Schritte zu einer europäischen Stabilitätsunion, die der vergemeinschafteten Geldpolitik eine finanzpolitische Säule zur Seite stellt.«

1 Diese »tragfähige Lösung« folgt der Logik der vergangenen »Rettungspakete«, an deren Ergebnis sich ablesen lässt: Um eine »Rettung« Griechenlands ist es nie gegangen. Tatsächlich wird die Wirtschaft des Landes fortschreitend ruiniert. Im Zuge der Sparpakete werden 150.000 Staatsangestellte - ca. 20% - entlassen. Die Gehälter im öffentlichen Sektor sinken um etwa 30%. LehrerInnen zum Beispiel gehen künftig mit 900 Euro nach Hause. Die offizielle Arbeitslosigkeit hat 17% erreicht, bei den Jüngeren ist ein Drittel ohne Job. Seit 2008 ist die Wirtschaftsleistung infolge von Krise und Rettungsmaßnahmen um 12% geschrumpft. Was mit diesen Maßnahmen gerettet werden sollte, war die Schuldenbedienungsfähigkeit Griechenlands. Dies hat nicht funktioniert, Athens Schuldenlast wird durch die Krise immer größer und ihre Bedienung immer unwahrscheinlicher.

Daher haben sich die EU-Staaten nun auf einen Schuldenerlass von 50% geeinigt. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Athens Verbindlichkeiten von rund 350 Milliarden Euro halbieren. Denn der Erlass bezieht sich nur auf die rund 200 Milliarden, die Griechenland privaten Gläubigern wie Banken oder Investmentfonds schuldet. Die Schulden sinken also nur um 100 Milliarden Euro - theoretisch. Denn nicht alle Banken werden bei dem Programm mitmachen. Beteiligen sich 80% aller privaten Gläubiger, so schrumpft die Summe der erlassenen Schulden auf 80 Milliarden Euro.

Die verbliebenen 50% der privaten Schulden muss Athen seinen Gläubigern aber garantieren - indem es sie mit sicheren Anleihen des Euro-Rettungsschirms EFSF unterlegt. Um diese Anleihen zu erhalten, muss sich Athen weitere Milliarden vom EFSF borgen. Und zusätzlich braucht es noch Geld, um seine eigenen Banken zu stützen, die durch den Schuldenerlass geschwächt werden, da sie die Hauptgläubiger Griechenlands sind. Am Ende dürften die Schulden Griechenlands durch die »tragfähige Lösung« lediglich um 30 Milliarden Euro sinken. Im Gegenzug für diesen Minierlass soll Athen verschärft sparen, mehr Staatsangestellte entlassen, mehr Leistungen kürzen, den Lohn weiter senken. Damit stellen die Euro-Staaten klar: Den GriechInnen bleibt nichts erspart.

Die Banken hingegen kommen bei ihrer »angemessenen Beteiligung« gut weg. Zwar titelte Spiegel Online am Tag nach dem Beschluss: »Jetzt müssen die Banken bluten«. All zu viel Blut werden sie aber nicht verlieren. Dies zeigten die Börsenkurse: Am 27. Oktober 2011 schoss die Aktie der Commerzbank um 15% in die Höhe, die der Deutschen Bank stieg um 12%. Denn der Schuldenerlass kommt die Banken deutlich billiger als ein Zusammenbruch Griechenlands. Durch den Schuldenerlass wird Athen der Crash erspart. Damit dient das Land den Gläubigern weiter als Quelle von Rendite. Mehr soll es nicht sein.

2 Der Euro-Rettungsschirm EFSF wird so aufgestockt, dass er effektiv 440 Milliarden Euro verleihen kann, um Euro-Staaten zu unterstützen, sollten sie von den Finanzmärkten keinen Kredit zu bezahlbaren Zinsen mehr bekommen. »Effiziente Nutzung« bedeutet: Über komplizierte Hebel-Konstruktionen soll die »Feuerkraft« des EFSF auf 1,0 bis 1,5 Billionen Euro erhöht werden. (1) Es stellt sich die Frage: Wozu?

Noch einmal zurück: Was ist eigentlich das Problem? Die Euro-Staaten haben zu viele Schulden, heißt es. Dieses Urteil »zu viel« fällen die Finanzmärkte, also das Geldkapital, das die Kredite vergibt. Sie zweifeln mittlerweile daran, dass die Staaten die Schulden ordnungsgemäß bedienen werden - dass die Staaten ihnen also dauerhaft als rentable Anlagesphäre dienen.

Diese Zweifel bringen nicht nur Staatshaushalte, sondern das ganze Weltfinanzsystem ins Wanken. Denn die Schulden der Staaten sind das Vermögen ihrer Gläubiger. Staatsanleihen der Industriestaaten über 35.000 Milliarden US-Dollar werden derzeit an den Finanzmärkten gehandelt. Diese Milliarden sind Vermögenswerte in den Büchern von Banken, Versicherungen und Investmentfonds - sie sind Finanzkapital. Dass es davon auf einmal »zu viel« geben soll, bedeutet eigentlich: Entwertung der aufgelaufenen Finanzvermögen steht an, also Schuldenstreichung.

Diese Entwertung soll nun verhindert werden, da andernfalls Bankenpleiten und ein Zusammenbruch des Weltfinanzsystems befürchtet werden. Also haben sich die Euro-Staaten dazu entschlossen, den Wert ihrer Schulden zu garantieren: Mithilfe des Euro-Rettungsschirms soll den Finanzmärkten die Solidität ihres Vermögens garantiert und den Märkten das Vertrauen wiedergegeben werden, dass Kredite an Europa eine lohnende Anlage sind. Die Regierungen setzen alles daran, dass ihre Schulden Finanzkapital bleiben - ein unhinterfragt sicheres und rentables Investment für Geldbesitzende.

Der Widerspruch bei diesem Projekt liegt jedoch auf der Hand: Genau jene Staaten, denen gerade »zu hohe« Schulden attestiert werden und deren Kreditwürdigkeit in Zweifel steht, wollen mit neuem Kredit für ihre Schulden einstehen. Offiziell wird dieser Widerspruch am Beispiel Frankreichs eingestanden: Das Land erklärt sich bereit einzuspringen, sollten Länder wie Italien oder Spanien durch den EFSF gestützt werden müssen. Gleichzeitig unterminieren diese Verpflichtungen die Kreditwürdigkeit Frankreichs. Paris garantiert mit für andere Euro-Staaten und muss sich gleichzeitig fragen lassen, ob es sich diese Garantien überhaupt leisten kann?

Die Euro-Regierungen hoffen, dass die Finanzakteure dieses prekäre Arrangement zumindest eine Zeit lang akzeptieren. Um ihren Schuldenberg dauerhaft haltbar zu machen, um das Vertrauen der Märkte in ihre Schulden langfristig zu sichern, dafür machen die Euro-Regierungen ihre Bevölkerungen haftbar.

3 Nicht nur die Euro-Krisenstaaten sollen also »notwendige Maßnahmen ergreifen«, sondern auch die »potenziell gefährdeten Staaten«. Das bedeutet: alle Staaten der Eurozone. Diese Maßnahmen gehen weit über eine bloße Kürzung der Staatsausgaben hinaus. Gefordert ist eine Politik, die die »Wettbewerbsfähigkeit« der Standorte erhöht. Diese »Fähigkeit« ist laut World Economic Forum nichts anderes als »die Kombination aus Institutionen, Politiken und Faktoren, die das Produktivitätsniveau eines Landes determinieren (...) Das Produktivitätsniveau determiniert auch die Renditen von Investitionen«. (2) Jede staatliche Ausgabe und jedes Gesetz messen die Euro-Regierungen künftig also daran, ob sie diesem Ziel - Erhöhung der Investitionsrendite - auch dienen.

Allgemein wird dies formuliert als Strategie zur Senkung der Lohnstückkosten. Das bedeutet: Die Menschen sollen von dem, was sie produzieren, weniger haben - und die, die produzieren lassen, sollen mehr bekommen. Dafür wird den Bevölkerungen nichts erspart: Erhöhung des Rentenalters, um die Lebensarbeitszeit zu steigern und über erhöhtes Angebot von Arbeitskräften den Lohn zu senken; dem gleichen Zweck dient die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, der Abbau von Kündigungsschutzregeln und die Absenkung der Arbeitslosenunterstützung; Mehrwertsteuern steigen, Unternehmensteuern sinken; die Bürokratie wird abgebaut, um Produktionskosten zu drücken und den Unternehmen das Geldverdienen wieder leichter zu machen. Das Vorbild für diese europaweite Rentabilisierung der Standorte ist klar: die unter Rot-Grün durchgesetzte Agenda 2010. »Deutsche Reformerfolge als Blaupause für Europa«, fordert die Bank Unicredit. »Über den Zwang zum Handeln birgt die europäische Schuldenkrise für andere EWU-Länder die Chance, ebenfalls auf einen höheren Wachstumspfad einzuschwenken.« (3) Damit dies auch umgesetzt wird, unterwirft die Bundesregierung die Staaten der Eurozone einem neuen Kontroll- und Strafsystem.

4 Über eine Neufassung des Euro-Stabilitätspakts, über einen Euro-Plus-Pakt und wirtschaftspolitische Koordinierung - kurz: Über eine neue »Wirtschaftsregierung« überwachen sich die EWU-Staaten künftig gegenseitig. Kein Staat soll mehr in der Lage sein, sich den Anforderungen an Wettbewerbsfähigkeit und Sparsamkeit zu entziehen. Die EU-Kommission überprüft halbjährlich die Staatsfinanzen und die Wirtschaftspolitik, gibt Ratschläge und überwacht deren Einhaltung. Im Falle von Verstößen sind Strafen bindend vorgesehen. (vgl. ak 564) Ziel ist es, die Staaten der Eurozone auf einen »Souveränitätsverzicht« (Schäuble) festzulegen.

Dieser Verzicht gilt formal für alle Euro-Staaten. Letztlich ist aber klar, wer sich dem neuen Regime unterordnen muss und wer sich im Notfall Ausnahmen genehmigen darf. Letzteres dürfte für Frankreich, aber vor allem für Deutschland als Euro-Vormacht gelten, das sich über die verschärfte Überwachung gleichzeitig Eingriffsmöglichkeiten in Politik und Haushalte anderer Länder sichert. Nicht umsonst hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt: »Wir werden aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.«

So sieht sie aus, die Euro-Rettung: Griechenland wird über einen Schuldenerlass als Anlageobjekt fürs Finanzkapital erhalten. Zusammen mit Portugal und Irland wird dem Land die Schuldenbedienungsfähigkeit als Staatsaufgabe zugewiesen. Mehr sollen diese Länder und ihre Bevölkerungen vorerst nicht leisten, das aber schon. Alle anderen Länder bekommen den Auftrag, ihre Kreditwürdigkeit zu stärken, wobei »Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum natürlich die besten Lösungen sind« - so Merkel bereits Mitte Januar 2011.

Über sinkende Renten, mehr Arbeit, weniger Lohn, weniger Sozialleistungen sollen die Menschen der Eurozone die »Wachstumskräfte« des Kapitals stärken und dafür sorgen, dass die Banken weiter gut verdienen und den Regierungen wieder jeden Kredit geben, den diese brauchen, um ihre Standorte noch wettbewerbsfähiger zu machen. Potente Ressource aller Regierungen in diesem Kampf jeder gegen jeden ist ein arbeit-, genüg- und folgsames Volk, das als »SteuerzahlerInnen« seine Wut auf »die GriechInnen« richtet und ansonsten inständig hofft, dass seine Ersparnisse bald wieder sicher sind. Die »99%« haben es also in der Hand.

Nick Sinakusch schrieb in ak 561 über die Krise des US-Dollars; zusammen mit Anna Blume in ak 547 über die Frischkur Krise.

Anmerkungen:

1) Wie das funktioniert, ist hier erklärt: Wirtschaftsdienst der BHF Bank, Nr. 2283 vom 27.10.2011, www.bhf-bank.com.

2) WEF, World Competitiveness Report 2010.

3) Unicredit, Freitagspapier (4.11.2011).

4) www.cdu.de



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