Freitag, 26. August 2011

Nachgefragt: Hermes mehr in #MONITOR um 20:15 Uhr (26.08.) in #EinsExtra

und das gibts sicher auch in Dresden und Umgebung in ähnlicher Form...

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Nachgefragt: Hermes

Bericht: Monika Wagener, Lutz Polanz


Monika Wagener: "Vor drei Wochen haben wir in einem ARD-Exklusiv über die Zustände in der Paketbranche berichtet. Am Beispiel eines der größten Paketdienste, der "Hermes Logistik Gruppe" und ihres Mehrheitseigners Michael Otto. Es ging um die Auslagerung von sozialer Verantwortung in ein Geflecht von Subunternehmen und um Menschen, die dort zum Teil zu Löhnen arbeiten müssen, von denen sie kaum leben können. Nur sehr wenige extreme Einzelfälle? Wir haben nachgefragt."

O-Ton: "Bis zur Vertragsunterzeichnung waren wir die besten Freunde, und sobald der Vertrag unterschrieben war, war alles vorbei."

O-Ton: "Es ärgert mich halt eben, dass es sich jeder gefallen lässt, und dass das in Deutschland funktioniert."

Diese Menschen haben eins gemein. Sie haben mit ihrer Arbeit dafür gesorgt, dass Pakete schnell und zuverlässig ihr Ziel erreichten. Pakete der Hermes Logistik-Gruppe. Doch der Reihe nach: Vor drei Wochen berichteten MONITOR-Redakteure in ARD-Exklusiv über Peter, einen Hermesboten in Duisburg, und wie er mit seinem eigenen Auto Pakete ausfuhr. Zu Konditionen, die für ihn an Ausbeutung grenzen.

Reporterin: "Wie viel haben sie jetzt schon verdient."

Peter: "Nix. Wir kriegen das Paket bezahlt, nicht die Arbeit."


Reporterin: "Und was bekommen sie da pro Paket?"


Peter: "60 Cent, also pro Paket."


Im Schnitt kommt Peter so auf drei Euro netto die Stunde, sagte er uns. Die Hermes-Logistik-Gruppe ist einer der größten Paketdienste Deutschlands. Boten wie Peter sind nicht direkt bei Hermes angestellt. Sie arbeiten für Sub- oder Sub-Subunternehmer, die für den Logistikriesen die Pakete an die Haustür liefern. Für ihren Lohn und ihre Arbeitsbedingungen ist Hermes juristisch nicht verantwortlich. Hermes ist eine Tochter der Hamburger Otto-Gruppe. Fälle wie Peter sind bei Hermes die Ausnahme - sagte uns Milliardär und Mehrheitseigentümer Michael Otto.

Michael Otto, Mehrheitseigner Otto Group Rechte: WDR

Michael Otto, Mehrheitseigner Otto Group

Michael Otto, Mehrheitseigner Otto Group: "99 % unserer gesamten Zusteller und Unternehmer - das sind also unsere Generalunternehmer - sind zufrieden mit uns oder sehr zufrieden, sodass das also wirklich eben nur um Einzelfälle geht."


Nach der Ausstrahlung melden sich viele dieser "Einzelfälle". Auch Fahrer, die noch weniger Geld für jedes ausgelieferte Paket bekommen als Peter. Die wenigsten äußern sich zufrieden - die große Mehrheit ist empört über die Aussagen von Michael Otto, zum Beispiel Lena. Sie bekam 65 Cent pro Paket.

Michael Otto, Mehrheitseigner Otto Group: "Man kann da auch vernünftig verdienen. Und viele, gerade die aus der Arbeitslosigkeit kommen, haben da ne Chance, ne Anstellung zu finden."


Lena Emanuel: "Wütend macht mich das auf jeden Fall. Vor allem, weil er hat ja sein Geld, aber die Leute, die dann ganz unten stehen, die können dann gucken, wie sie an ihr Geld kommen."


Bis vor wenigen Tagen fuhr Lena Hermes-Pakete im Saarland aus. Nach dem Ende ihrer Banklehre jobbte sie vorübergehend als 400-Euro-Kraft. Sie zeigt uns ihre Abrechnung für den Juli, für zwölf Arbeitstage, sagt sie.


Reporter: "Das heißt sie haben knapp hundert Stunden gearbeitet dafür? Und dafür 183,- Euro. Das sind ungefähr 1,80 Euro. Hat man ihnen wenigstens noch Geld für den Sprit gegeben?"


Lena: "Ne, nur die 65 Cent pro Paket."


Reporter: "Das heißt unterm Strich, wie viel haben sie da verdient?"


Lena: "Wenn ich jetzt hiervon Benzin abziehe, 70,- Euro."


Lena war 400-Euro-Kraft - er ist selbst fahrender Subunternehmer bei einem Depotbetreiber. Für 90 Cent pro Paket. Nennen wir ihn Thomas. Das Auto für den Dreh haben wir ihm geliehen, damit ihn niemand erkennt.


Thomas: "Ich bin ein Scheinselbständiger. Nach außen hin wird das einem verkauft, dass man selbständig ist. Ich bin kein Selbständiger. Ich bin Angestellter, der auf dem Papier selbständig ist."


Reporter: "Können sie frei entscheiden, für wen sie fahren?"


Thomas: "Nicht wirklich."


Reporter: "Fahren sie auch für andere?"


Thomas: "Nein, 100 % für Hermes."


Thomas sagt, nach Abzug aller Kosten, vor allem Steuern, Auto und Benzin, bliebe ihm im Schnitt ein Stundenlohn von etwas mehr als 5,- Euro - netto.


Reporter: "Wie sind sie sozial abgesichert?"


Thomas: "Überhaupt nicht, weder krankenversichert noch rentenversichert."


Reporter: "Macht ihnen das Kopfschmerzen, wenn sie an ihre Zukunft denken?"


Thomas: "Ja, sehr große sogar."


Thomas ist kein Einzelfall, sind sich Fachleute sicher. Und Hermes sei nur ein Beispiel für die Strukturen in der gesamten Paketbranche. Denn auch andere Paketdienste fahren mit Subunternehmern. Sigurd Holler ist Gewerkschaftssekretär und kennt die Branche aus dem Effeff.



Sigurd Holler, ver.di: "Wenn sie mit Subunternehmern arbeiten würden, die sich an Vorschriften halten, die sich an gesetzliche Arbeitszeiten halten, die so viel verdienen, dass sie Rücklagen bilden können, sei es für Arbeitslosigkeit, sei es für die Altersrente, dann müssten sie einen höheren Paketpreis für die Zustellung zahlen. Und das geht an den Gewinn der Paketdienste. Und ich glaube, daran sind die nicht interessiert."


Und es sind die laschen deutschen Gesetze, die solche Geschäftsmodelle schützen, meint Klaus Leprich, Vorsitzender der Deutschen Zollgewerkschaft. Der Zoll ist zuständig für Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit.






Klaus H. Leprich Rechte: WDR
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Klaus H. Leprich

Klaus H. Leprich, Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft: "Ich sehe mich bestätigt, dass wir in unserer Arbeitswelt und in unserer Gesellschaft eine Situation haben, wo sich das obere Management auf eine Rechtsposition zurückzieht, die nicht angreifbar ist, aber völlig außer Acht lässt, das sie auch eine moralische Verpflichtung haben, auch eine soziale Verpflichtung."


In Kauf genommen werden da offenbar auch Schicksale wie das von Gerhard Schreiber. Ein langjähriger Subunternehmer, der, wie es häufiger passiert, zwei Monate ganz umsonst arbeitete, weil sein Depotbetreiber pleiteging und die Fahrer nicht bezahlen konnte. Hermes ist auch dafür juristisch nicht verantwortlich.


Gerhard Schreiber: "Zwei, drei Monate noch, dann weiß ich nicht, ... soll ich mich ersäufen oder erschießen." Schicksale wie diese gibt es viele in der Paketbranche, am Ende bleibt so manchem nur Altersarmut und Hartz IV.






Sigurd Holler, ver.di Rechte: WDR
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Sigurd Holler, ver.di

Sigurd Holler, ver.di: "Der Steuerzahler muss dann für diese Menschen aufkommen. Das heißt, dass der Paketdienst, der diese Menschen beauftragt hatte, letztendlich zu unseren Lasten, zu Lasten der Steuerzahler, seine Gewinne macht."


Hermes verweist auf seinen Verhaltenskodex, der Lohndumping ausschließe. Für eine korrekte Bezahlung von Paketboten sieht Hermes in erster Linie die Depotbetreiber in der Pflicht. Schließlich zahle man diesen auskömmliche Preise und trenne sich auch von schwarzen Schafen. Doch diese ehemaligen Depotbetreiber, die sich inzwischen organisieren, zeichnen ein anderes Bild. Sie berichten von hohen eigenen Verlusten. Einer von ihnen fürchtet weitere Probleme, will lieber unerkannt bleiben.


Ehemaliger Depot-Betreiber: "Ich habe keine andere Chance. Mit einem fest angestellten Fahrer, dem ich das Fahrzeug stelle, rechne ich mit Kosten für eine Sendung von etwa 2,50 Euro. Viele Depotbetreiber bekommen aber nur 1,40 Euro, und das ist natürlich nicht machbar."


Um es noch einmal zu sagen. Juristisch ist Hermes nicht verantwortlich. Und daran wird sich nur etwas ändern, wenn die Gesetze an solch clevere Geschäftsmodelle angepasst werden. Wenn Scheinselbständigkeit und Mindestlohn neu geregelt würden.


Klaus H. Leprich, Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft: "Was uns frustriert ist, dass die Bundesregierung offensichtlich nicht will, dass es in voller Bandbreite in der Bundesrepublik Deutschland gesetzliche Mindestlöhne gibt und wir als Ermittler auf diesem Weg auch ein wirksames Instrument in die Hand bekommen würden, um für einen fairen Arbeitsmarkt zu sorgen."



Monika Wagener: "Mindestlöhne, Scheinselbständigkeitsregeln? Wir werden dran bleiben an diesem Thema. Denn längst haben auch andere Branchen die hervorragenden Einsparmöglichkeiten des Subunternehmertums entdeckt. Auch viele Zollfahnder haben uns nach unserer Sendung geschrieben und vor den Folgen einer zunehmenden "Versubbung" für unser Sozialsystem gewarnt. "Versubbung" - interessante Wortschöpfung."

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