Freitag, 29. Juli 2011

#Schluss #mit #der #Reisekrankheit #in #Neigezügen [via idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Zürich, Beat Müller, 29.07.2011 08:23

Schluss mit der Reisekrankheit in Neigezügen

Züge, die sich in die Kurve legen, können schneller fahren als andere
Bahnen. Doch vielen Passagieren wird in Neigezügen unwohl, einige werden
reisekrank. Warum das so ist, war bisher nicht bekannt. Jetzt haben
Neurologen der Universität Zürich zusammen mit amerikanischen und
Schweizer Kollegen nicht nur die Ursache der Reisekrankheit in Neigezügen
erforscht, sondern auch das Mittel für ihre Bekämpfung gefunden.

Neigezüge können schneller fahren als normale Züge, weil ihre seitliche
Neigung einen Teil der Kräfte kompensiert, welche in den Kurven auf die
Wagen wirken: Durch ein Einwärtskippen um die eigene Längsachse gleichen
die Züge die geschwindigkeitsabhängige Seitwärtsbeschleunigung
(Zentrifugalkraft) der Wagen teilweise aus. Dank dieser Kompensation
bleibt in den Kurven unter anderem auch der Kaffee im Becher, und
Personen, die sich im Gang bewegen, werden nicht auf die Seite geworfen.
Die Kehrseite der schnellen Neigezüge: Viele Passagiere fühlen sich in
ihnen unwohl, sie werden reisekrank. Ihr autonomes Nervensystem reagiert
mit Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Herzklopfen und anderen Symptomen. Die
genaue Ursache der Reisekrankheit in Neigezügen war bisher unbekannt.

Der Neurologe Dominik Straumann von der der Universität Zürich hat nun
zusammen mit Kollegen vom Mount Sinai Hospital in New York sowie mit
Ingenieuren von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und von Alstom den
Effekt der Grösse des Neigungswinkels auf den Komfort der Passagiere
erforscht. Den Rahmen bildeten Vorabklärungen für die Beschaffung von
Doppelstock-Zügen durch die SBB. Auf Testfahrten zwischen Winterthur und
Gossau hat das Forscherteam Messungen und Befragungen durchgeführt. Ihre
Erkenntnisse sind unmittelbar relevant für die Praxis und werden jetzt in
der Wissenschaftszeitschrift «The FASEB Journal» publiziert.

Die Grösse des Neigungswinkels ist irrelevant – bei richtigem Timing

Ausschlaggebend für das Auftreten von Reisekrankheiten ist, so das
Ergebnis der Testreihe, ob die Neigung der Wagen synchron mit der
kurvenbedingten Seitwärtsbeschleunigung erfolgt oder nicht: Wird die
Beschleunigung gleichzeitig durch die Neigung kompensiert, fühlen sich die
Passagiere wohl, erfolgt die Kompensation aber mit einer kurzen
Verzögerung, können sie reisekrank werden.

Ob die Kompensation nun synchron oder zeitlich verzögert erfolgt, ist
abhängig vom eingesetzten Kontrollsystem, welches wiederum den sogenannten
Neigungsmodus definiert. Unterschieden werden der konventionelle und der
prädikative Neigemodus: Bei Fahrten im konventionellen Neigemodus werden
Messdaten auf Höhe der Lokomotive verwendet, um die Neigungswinkel der
folgenden Wagen zu berechnen. Das führt zu einer etwas verspäteten Neigung
vor allem der vorderen Wagen. Bei Fahrten im prädikativen Modus hingegen
verfügt der Bordcomputer über das Profil der gesamten Zugsstrecke und kann
die Wagen exakt zeitgleich mit der kurvenbedingten Seitwärtsbeschleunigung
neigen.

Die Auswirkungen des Neigungsmodus auf die Befindlichkeit der Fahrgäste
zeigt sich unmittelbar: Bei Fahrten mit konventionellem Modus nahm der
Grad der Reisekrankheit mit grösser werdendem Neigungswinkel zu. Anders
bei Fahrten im prädikativen Modus: Bei den Passagieren traten keine
Änderung des Befindens auf, obwohl der Zug deutlich schneller fuhr. Bei
Fahrten mit konventionellem Modus wurden kleinere Neigungswinkel zwar
relativ gut ertragen, allerdings konnte der Zug im Vergleich mit Fahrten
ohne Neigung die Geschwindigkeit weniger stark erhöhen.

«Ursache und Ausmass der Reisekrankheiten in Neigezügen ist damit nicht
primär in der Grösse des Neigewinkels zu suchen», bilanziert Dominik
Straumann, sondern «in der zeitlichen Verzögerung der Neigung, spürbar
wird die verzögerte Neigung der Wagen beim Kurveneingang und die
verzögerte Rückneigung beim Kurvenausgang.»

Besonders erfreulich an diesen Ergebnissen ist, dass das technische
Gegenmittel gegen die Reisekrankheit in Neigezügen bereits existiert. Die
Kontrollsysteme, welche prädikative Fahrten ermöglichen, lassen sich zudem
relativ einfach auch in bestehenden Zügen implementieren.

Zu den Testfahrten:
An den Testfahrten hatten während fünf Tagen insgesamt 200 Passagiere
teilgenommen. Die Hälfte der Passagiere hatte angegeben, dass sie bei
Fahrten in Neigezügen reisekrank werden. Einige der Passagiere trugen
während den Fahrten an einem Kopfband einen dreidimensionalen
Beschleunigungssensor (Akzelerometer), mit dem die Beschleunigungskräfte
in der Nähe des Innenohrs ermittelt wurden. Im Abstand von zehn Minuten
gaben die Passagiere zudem Auskunft zu ihrer Befindlichkeit.

Literatur:
Bernard Cohen, Mingjia Dai, Dmitri Ogorodnikov, Jean Laurens, Theodore
Raphan, Philippe Müller, Alexiou Athanasios, Jürgen Edmaier, Thomas
Grossenbacher, Klaus Stadtmüller, Ueli Brugger, Gerald Hauser, and Dominik
Straumann: Motion sickness on tilting trains, in: The FASEB Journal,
published online July 25, 2011, doi: 10.1096/fj.11-184887

Kontakte:
Prof. Dominik Straumann
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Tel. +41 (0)44 255 55 64
E-Mail: dstraumann@access.uzh.ch

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Wissenschaftliche Publikationen

Sachgebiete:
Elektrotechnik
Ernährung / Gesundheit / Pflege
Informationstechnik
Medizin
Verkehr / Transport

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.mediadesk.uzh.ch/articles/2011/Neigezuege.html – Medienmitteilung der Universität Zürich

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/de/image147995
Neigezüge: Durch Einwärtskippen um die eigene Längsachse gleichen die Züge die geschwindigkeitsabhängige Seitwärtsbeschleunigung (Zentrifugalkraft) der Wagen teilweise aus. Dank dieser Kompensation der Kräfte können sie schneller fahren als andere Bahnen.

http://idw-online.de/de/image147996
Neigezüge: Durch Einwärtskippen um die eigene Längsachse gleichen die Züge die geschwindigkeitsabhängige Seitwärtsbeschleunigung (Zentrifugalkraft) der Wagen teilweise aus. Dank dieser Kompensation der Kräfte können sie schneller fahren als andere Bahnen.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news434941

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution94



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