Freitag, 24. Juni 2011

#Wir #dürfen #Europa #nicht #den #Herrschenden #überlassen [via Neues Deutschland vom 24.06.2011]


>>Wir dürfen Europa nicht den Herrschenden überlassen<<

Politiker aus vier Ländern auf dem ND-Pressefest:

Die Linke ist gefordert, eine andere EU zu gestalten

[via Neues Deutschland]
 
http://www.neues-deutschland.de/artikel/200484.wir-duerfen-europa-nicht-den-herrschenden-ueberlassen.html
 

Schwächelnder Euro, sozialer Kahlschlag, Europaverdrossenheit und Rechtsparteien im Aufwind – Europa macht derzeit keine gute Figur. Welche Visionen kann die deutsche und europäische Linke der neoliberalen EU entgegensetzen? Und hat sie die Kraft, ihre Ideen umzusetzen?

Darüber diskutierten am 28. Mai auf dem Fest der Linken Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, die Parteivorsitzenden der LINKEN, mit dem französischen Linkspolitiker Francis Wurtz, langjähriger ehemaliger Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament, Haris Triandafilidou von der griechischen Linkspartei SYNASPISMOS, Pedro Marset, Europaverantwortlicher der KP Spaniens, und der Europaabgeordneten der LINKEN Cornelia Ernst.

Moderiert wurde die Runde »Europa in der Krise – Antworten der LINKEN« von Birgit Daiber (Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel) und Uwe Sattler (ND). Im Folgenden dokumentiert ND Aussagen der Politiker zu den Schwerpunkten der Debatte.

Die Verantwortung der Linken in der aktuellen Krise

G. Lötzsch: Die Aufgabe der LINKEN besteht vor allen Dingen darin, aufzuklären, wo die Ursachen der Krise liegen. Denken wir ein bisschen zurück: Warum wurde der Euro eingeführt? Uns wurde erklärt: Leute, freut euch, wenn wir den Euro haben, dann müsst ihr nicht dieses elende Wechseln in den Wechselstuben machen, wenn ihr in den Urlaub fahrt. Aber ich glaube, der Euro ist nicht eingeführt worden, um uns den Urlaub zu erleichtern, sondern das hatte ein paar andere Gründe.

Und darum hatte ja unsere Vorgängerorganisation, oder eine unserer Vorgängerorganisationen, die PDS; damals gesagt: Euro, so nicht. Wir haben gesagt, man muss eine Währungsunion, einen gemeinsamen Währungsraum auch verbinden mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik, ansonsten geht die Sache gegen den Baum. Und so ist sie ja jetzt gerade an den Baum gegangen.

Darum sind wir als LINKE der Auffassung, dass der allerwichtigste Schritt ist, dass wir zu einer Währungsunion auch eine Union haben mit gleichen Kriterien in der Wirtschaftspolitik, in der Sozialpolitik und dass wir soziale Standards in allen Ländern haben, die zur Eurozone gehören.

Der andere Punkt ist: Es wird ungeheuer Stimmung gegen die Iren gemacht. Sie hätten alles in den Sand gesetzt und bekommen jetzt einen Rettungsschirm. Ist das etwas, um den Iren einen Gefallen zu tun? Ich glaube nicht.

Denn gerade in Irland sind auch deutsche Banken besonders engagiert. Und alles, was mit dem Euro-Rettungsschirm im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, nämlich 480 Milliarden Euro innerhalb einer Woche, das ist doch keine Aktion zur Rettung von anderen Ländern, sondern vor allen Dingen eine Aktion zur Rettung der Deutschen Bank gewesen.

Und darum ist es die Aufgabe der LINKEN, erst einmal darüber aufzuklären und zweitens immer wieder anzusprechen, dass etwas durchgesetzt werden muss, was auch Frau Merkel und Herr Steinbrück und Herr Schäuble und wie sie alle heißen gesagt haben: Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte, wir brauchen eine Finanzmarkttransaktionssteuer.

C. Ernst: Fakt ist, wir befinden uns in einer Glaubwürdigkeitskrise. Sowohl in Deutschland, was die Regierung angeht, als auch auf europäischer Ebene. Viele Menschen in Ländern wie Griechenland oder in Spanien, Portugal oder Irland merken, dass sie durch große Sparpakete gezwungen werden, bestimmte Haushaltsdefizite abzubauen.
Die großen Länder nehmen Einfluss darauf, man fühlt sich überfahren. Es muss uns als Linke besser gelingen, deutlich zu machen, dass diese Politik ihre Ursachen hat – und zwar hier in Deutschland, aber auch in den anderen Ländern. Wir müssen begreifen, dass es in Europa viele Ursachen für die Krise gibt. Zum Beispiel: Es sind keinerlei Konsequenzen gezogen worden aus der Finanzkrise, so dass eine tatsächliche gesamtgesellschaftliche Krise entstanden ist. Wir haben eine weiter grassierende Arbeitslosigkeit. In Spanien 45 Prozent, 20 Prozent im Durchschnitt in Europa. Wir haben eine verfehlte Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene. Es muss uns ebenso gelingen, alle Ebenen linker Politik zusammenzuführen, um tatsächlich in Europa stärker wirksam zu werden. Da erwarte ich mir auch eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und vor allem auch mit der europäischen Ebene. Wenn wir nicht deutlich machen, dass wir auch in der EU mit eigenen Angeboten kommen müssen, dann wird es schwierig.

Der Kampf gegen neoliberale Politik in Europa

F. Wurtz: Frankreichs Präsident Sarkozy hat 2008 gesagt, er will den Kapitalismus menschlich machen. Aber wir warten immer noch, was er konkret tun will. Ich traue eher einem internationalen Experten, Martin Wolf, einer der Leitartikler der »Financial Times«. Er hat kürzlich geschrieben: »Kein Faktor der Krise ist beseitigt worden.« Sie haben gar keine Lehren aus dieser schauderhaften Katastrophe von 2008 gezogen. Und jetzt wollen sie die Völker den hohen Preis zahlen lassen. Das betrifft natürlich besonders Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland – aber nicht nur diese Länder. Das erwartet uns alle, wenn wir uns nicht verweigern. Deswegen glaube ich, dass man unbedingt den Bürgerinnen und Bürgern darstellen muss, wo die Ursache dieser Krise ist.

H. Triandafilidou: Die Regierung in Athen hätte es gerne, wenn man mehr wütend ist auf die EU als auf sie selbst. Es werden große Anstrengungen von Seiten der Mainstream-Politik unternommen, das Ganze so darzustellen, als wäre die Vorgängerregierung und als wären auch die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds dafür verantwortlich, dass es zu so großen Einschnitten kommt. Fakt ist aber, dass es nicht irgendeine Diktatur von europäischer Seite ist, die Griechenland dieses ganze barbarische Sparprogramm aufgezwungen hat. Sondern es ist unter maßgeblicher Beteiligung der Regierung in Athen zustande gekommen. Ähnlich wie in Spanien hat die griechische Bevölkerung jetzt damit angefangen, sich gegen die eigene Regierung, gegen das eigene politische System zu wenden und nach einer wirklichen Demokratie zu fragen.

P. Marset: Die Wahlen, die gerade in Spanien stattgefunden haben, sind auch ein Ergebnis der enormen desolaten wirtschaftlichen Situation mit den schon erwähnten 40 Prozent Arbeitslosigkeit. Die Bevölkerung hat gefragt: Was gibt es für Alternativen zu dieser wirtschaftlichen Misere? Und die Lösung, die sie gefunden hat, war, die Partido Popular, also die rechtskonservative Partei, zu wählen. Die Sozialdemokratische Partei ist enorm gesunken in der Wählergunst, die Vereinigte Linke hat es geschafft, sich von fünf auf acht Prozent zu verbessern. Seit Wochen diskutiert die Jugend Spaniens auf allen Plätzen in großen und kleinen Städten darüber, wie der Kapitalismus funktioniert und welche Alternativen es gibt. Die Kommunistische Jugend Spaniens ist Teil der Bewegung, sie will nicht dominieren, aber präsent sein. Und wenn im nächsten Jahr die Volkspartei überall regiert, werden viele Leute zu uns schauen und Gegenvorschläge erwarten.

Deutschlands untaugliche Rezepte

K. Ernst: Frau Merkel reist durch die Welt und sagt, die ganzen Länder, die jetzt von der Finanzkrise ähnlich betroffen sind, sollen sich am deutschen Modell orientieren. Deutsches Modell heißt Renten kürzen, deutsches Modell heißt Löhne kürzen, deutsches Modell heißt Sozialabbau – dann wird es ihnen besser gehen. Das sind die Rezepte, die Frau Merkel verkündet.

In Wahrheit ist es so, dass Deutschland das Problem für die anderen Ländern in Europa ist. Warum? Wenn man eine gemeinsame Währung hat und ein Land in Europa, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, versucht, drastische Lohnsenkungen durchzusetzen gegenüber den Beschäftigten, dann haben natürlich alle anderen Länder damit ein Problem in der Konkurrenzfähigkeit. Das bedeutet, dass Sozial- und Lohndumping eines Landes auf die anderen durchschlägt. Und wir setzen zur Zeit mit unserer rücksichtslosen Politik des Lohnabbaus, des Sozialabbaus alle anderen unter Druck. Das ist das Problem, das muss Frau Merkel lernen!

Die Vision eines anderen Europas

G. Lötzsch: Wir müssen uns fragen, was wäre unser europäischer Traum? Und ich sage, mein Traum wäre eine Gemeinschaft von Freien und Gleichen, die in Würde und Solidarität zusammenleben. Wo nicht der eine Herr ist und der andere Knecht, sondern wo wir Gleichberechtigung haben und wo die öffentlichen Güter so verteilt sind, dass nicht die einen darüber bestimmen, was das Wasser kostet, was die Energie kostet und die anderen nur bezahlen können. Europa, die europäischen Institutionen, das ist wichtig, das ist richtig, die müssen klare Regeln haben, aber vor allen Dingen müssen doch die Menschen in Europa mitgestalten können.

H. Triandafilidou: Wenn wir als Linke sagen würden, der Europäische Traum hat keine Chance, wären wir verloren. Der europäische Traum hat eine Chance, aber eben nicht unter Weiterverfolgung dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik und mit Festhalten an völlig gescheiterten Projekten wie zum Beispiel dem Euro-Stabilitätspakt. Es ist unsere Verantwortung zu diskutieren, es ist unsere Verantwortung zuzuhören und zu intervenieren und unsere Stimme hörbar zu machen.

C. Ernst: Ich denke schon, dass Europa eine Chance hat und dass der Zugang zu den Bürgerinnen und Bürgern herbeigeführt werden muss. Wir brauchen eine ganz strikte Demokratisierung der EU, ihrer Institutionen, aber auch die Durchlässigkeit zu den unteren Ebenen, Bund und Ländern.

K. Ernst: Europa muss eine Chance haben. Denn das wesentliche Positive an dem Modell Europa ist eigentlich, dass es gelungen ist, zumindest in den letzten Jahren, Frieden innerhalb der EU zu wahren. Und das ist aus meiner Sicht schon ein Wert an sich. Insofern ist es wichtig, dass wir zu einer Politik kommen, die den Bürgerinnen und Bürgern Europas sagt: Ja, das ist ein positives Projekt.

P. Marset: Ich denke, es ist eine sehr wichtige Frage und ich denke, der Klassenkampf ist immer ein Klassenkampf auf europäischer Ebene, nie nur auf reiner nationaler Ebene. Die Finanzkrise ist keine wirtschaftliche Krise, sondern eine politische Krise. Deswegen brauchen wir einen starken linken Arm in Europa. Und daneben brauchen wir einen sozialen gewerkschaftlichen Arm.

F. Wurtz: Ich glaube, die europäische Idee ist eine wunderschöne Idee. Die dürfen wir nicht den Herrschenden überlassen. Und ich glaube, noch nie war die Konvergenz über das Verlangen zum Ende der Diktatur der Finanzmärkte, zum Ausbau der Bürgerdemokratie und zur Mitbestimmung in den europäischen Fragen so breit in Europa wie heute.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen