Donnerstag, 30. Juni 2011

#Grundeinkommen #durch #Reichtumssteuer

 









Wider die Politik des asozialen Reichtums


 


Rede zum 75-jährigen Jubiläum des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes (SAH)


Zürich am 16. Juni 2011 im Volkshaus Zürich.


 


Wir geben den Text leicht gekürzt wieder. 


 





Von Oswald Sigg


 


Es ist üblich geworden, vor einem solchen Vortrag seine Interessenbindungen offen zu legen: ich gehöre keinem Verwaltungsrat an. Ohnehin ist man wohl stärker geprägt durch die familiäre und soziale Herkunft. Aufgewachsen bin ich in Höngg und stamme aus einer mittelständischen Familie. Mein Vater verbrachte seine Jugend auf einem Bauernhof in Ossingen und studierte am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich Landwirtschaft.


 


Er hatte sich das Studium als Dorfschullehrer in Rafz verdient und arbeitete später als Steuerkomissär des Kantons Zürich. Er war für die steuerliche Einschätzung der Bauern verantwortlich.


 


Die Bauern sassen damals auf stark verschuldeten Betrieben – ein grosses soziales Problem der Zwischenkriegszeit. Meine Mutter stammte aus ganz einfachen Verhältnissen, sie konnte keine Lehre machen, weil ihre Brüder etwas werden mussten, der eine Coiffeur, der andere kfm. Angestellter.


 


Ihr blieb das Los einer Serviertochter übrig. Aber: sie war kämpferisch. Sie arbeitete sich von der Serviertochter im Bahnhofbuffet Sargans über die Saaldame in einem Hotel in Neapel und über die Kellnerin im holländischen Seebad Scheveningen bis zur Serviertochter im Bahnhofbuffet Zürich empor. Und zwar, wie sie betonte, im Buffet Zürich 1. Klasse. Sie war klassenbewusst, meine Mutter. Übrigens, meine Tante, auch in Höngg wohnhaft, war Lehrerin und Sozialistin, und sie unter-stützte das Arbeiterhilfswerk. Durchaus möglich, dass sie zu den Mitgründerinnen der proletarischen Kinderhilfe gehörte. Damals.
 
Für Menschen in der Arbeitswelt
 
75 Jahre SAH Zürich. Das sind 75 Jahre Sozialhilfe. 75 Jahre praktische Sozialpolitik an der Basis. Das bedeutet eine Vielzahl einzelner Angebote, wohl weit über 100 verschiedene Formen der Unterstützung von Menschen, die in unserer Arbeitswelt Hilfe benötigen.
 
Vom Assessment über die AVIG-Orientierung in arabischer, albanischer oder portugiesischer Sprache, über berufliche Eignungs-Abklärungen, Rechtsberatung, von der Vermittlung von Stundenarbeit bis zur Stellenvermittlung für Langzeiterwerbslose, Bewerbungs-Training, Kinderferienlager, Bildungstage, Arbeitstraining, Gesundheitsförderung, Deutschkurse, usw. usf..
 
Besonders angetan bin ich von den SalSAH- und SAHltinbocca-Angeboten, einfach weil ich zuhause immer gern zum Abendessen gekocht habe und mich dabei vom Bundeshaus erholen konnte. Am besten beim Zwiebeln hacken für die Salsa, da konnte man sich wieder einmal richtig ausweinen. Ich möchte endlich etwas Neues lernen in der Küche, also wenn ihr da einen Platz frei habt ( … ).
 
Freiwllige Sozialarbeit
 
Das SAH wendet sich aber nicht nur an Betroffene, sondern es bietet auch Möglichkeiten der freiwilligen Sozialarbeit an. Und es vermittelt zwischen Gemeindebehörden oder Sozialversicherungen, Unternehmen oder Privaten und den Betroffenen. Eine riesige gesellschaftliche und soziale, kulturelle und politische Integrationsarbeit wird hier tagtäglich verrichtet. Und dies, seit 1932 in Zürich die Proletarische Kinderhilfe, als Vorläuferin des Arbeiterhilfswerks, gegründet wurde.


 


Das SAH Zürich ist eine Perle der traditionellen Arbeiterbewegung. Es ist aber heute auch ein Kern einer mo-dernen, solidarischen Schweiz. Ich komme darauf zurück.
 
Eine absolute Wohltat, das will ich Ihnen hier auch noch sagen, für einen politischen Bürger mindestens, ist die Lektüre des SAH-Leitbilds. Da steht doch: „Wir engagieren uns dafür, dass alle Menschen hier in Würde und sozial gesichert leben können, unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht.“ So ein einfacher und kluger Satz enthält nicht einmal das sozialdemokratische Parteiprogramm. Und da steht auch: „Wir setzen uns – auf der Grundlage der Menschenrechte – für Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft ein.“ Das sind grosse Worte und der Satz klingt wohl etwas pathetisch, aber das SAH Zürich macht ihn glaubwürdig durch die vielen Tatbeweise.
 
Und schliesslich: „Wir arbeiten für Menschen, die aus individuellen oder strukturellen Gründen benachteiligt sind.“ Das sagt mehr als: wir arbeiten für benachteiligte Menschen. Denn wir alle sind die Verlierer in unserer u.a. vom Konsum, vom Profitdenken strukturierten neoliberalen Wirtschaftsgesellschaft. Wir, die arbeitenden Menschen und nicht nur die hier arbeitenden Ausländer, sind in diesen Prozessen zu Fremden geworden.


 


Die Globalisierung gibt uns nicht das Gefühl, hier zuhause zu sein. Wir alle sind die Opfer der betriebswirtschaftlichen Ideologie geworden, welche heute die weltweite Basis des Unternehmertums ist. Der Effizienzwahn, gekoppelt mit dem Irrglauben ewigen Wachstums, produziert bei den Mitarbeitenden vor allem eines: Stress. Viele unter ihnen fallen infolge Krankheit dauerhaft aus dem Arbeitsprozess. Deshalb wohl bastelt man in der innovativen Finanzwirtschaft, so habe ich kürzlich gelesen, an einem neuen Typus von Unternehmen, der gänzlich ohne Fabriken und damit auch ohne Arbeitende auskommen soll.
 
Das SAH ist Teil einer grossen Bewegung, die den Kern einer solidarischen Schweiz darstellt. Damit wir eine solche entwickeln können, müssen wir auch politisch aktiver werden.
 
Entsolidarisierung in der Gesellschaft
 
Der zentrale, die soziale und solidarische Qualität einer Gesellschaft bestimmende Faktor ist die Arbeit. Wir arbeiten für andere. Wir arbeiten für uns.


 


Wer keine sinnvolle Arbeit verrichten kann, verarmt. Nicht nur im ökonomischen, auch im geistigen Sinn. Dieser Armut gegenüber steht der materielle Reichtum. Gesellschaftlich ist der Reichtum dann sinnlos, wenn er nur gerade Besitz oder Erbschaft  darstellt. Aus der Spanne zwischen Armut und Reichtum liest sich die Asozialität, die Entsolidarisierung einer Gesellschaft ab. In der Schweiz haben wir es damit sehr weit gebracht.
 
Aus dem Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) geht hervor: Der grösste Teil der Bevölkerung hat am wachsenden Reichtum in unserem Land nicht nur keinen Anteil.


 


Durch die Erhöhung der indirekten Steuern und Gebühren und Abgaben sowie der Kopfprämien für die Krankenkassen haben viele Leute weniger Geld zum Leben als noch vor gut zehn Jahren. Demgegenüber gibt es heute sieben mal mehr Gehaltsmillionäre, annähernd 3‘000. Die höchstbezahlten Manager haben ihre Löhne real um über 20% steigern können, während die tiefen Löhne um ca. 2% gestiegen sind. Anhand der Vermögensverteilung sieht man deutlich, wie die Reichen noch reicher geworden sind.


 


Die Hälfte des Gesamtvermögens gehörte 1997 noch etwas über 4% der Bevölkerung. Heute gehört die Hälfte des ganzen Vermögens 2 % der Bevölkerung. So sieht also das Robotbild einer Sozialpolitik mit umgekehrten Vorzeichen aus.  Es ist die asoziale Politik der ungehemmten Reichtumsakkumulation. Gefördert durch kommunale und kantonale Siedlungs- und Steuerpolitiken und durch die bundesweite Erleichterung der Unternehmenssteuern.
 
Geld bestimmt die Politik
 
Das Geld, der Besitz bestimmt auch und gerade die Politik. Die grösste Partei in diesem Land hat am meisten Geld. Das ist kein Zufall. Wir wissen nicht, wieviel und woher sie das Geld hat, aber wir wissen, was sie damit tut. Sie investiert es in Wahlen und Abstimmungen.


 


Und gewinnt. Auch das ist kein Zufall. Und sie schlägt mit ihrer medialen Macht zum Beispiel die öffentliche Sozialpolitik sturmreif. Was heisst das? Die Bezüger öffentlicher und privater Sozialhilfe werden stigmatisiert und verachtet.


 


Als Scheininvalide behandelt, die uns auf der Tasche liegen. Ich habe in meiner Arbeit für die „Hälfte“ einen IV-Bezüger kennen gelernt, der aufgrund dieser kollektiven Verachtung in seiner Nachbarschaft richtig und dauerhaft krank wurde. Er musste umziehen und er ist damit nicht gesund geworden.
 
Das Misstrauen gegenüber Sozialhilfeempfängern schleicht sich mittlerweilen in die Gesetze ein. Zwei Beispiele. Im Kanton Bern kann jemand nur Sozialhilfe beanspruchen, wenn er auf den Schutz seiner persönlichen Daten verzichtet. In Basel kann ein Sozialhilfeempfänger ohne Einkünfte und Vermögen zu Zwangsarbeit verpflichtet werden. Verläuft diese nicht zur Zufriedenheit der kantonalen Verwaltung, kann sie die Leistungen bis zu 100 % kürzen.   
 
Mit ihrem vielen Geld bringt die Milliardärenpartei aber auch grundrechtswidrige Volksinitiativen an die Urne und sorgt mit einer menschenverachtenden Propagandawalze dafür, dass diese auch angenommen werden.  Stichworte: Minarettverbot und Ausschaffung krimineller Ausländer. Oder sie sorgt in den nationalen Wahlen dafür, dass sich in der Schweiz die grösste rechtsextreme Partei Europas breit macht.
 
Wir haben eine direkte Demokratie, aber sie ist zur Aktionärsdemokratie geworden. Sie funktioniert nach dem Prinzip der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft: nicht der Mensch zählt dort, sondern der Besitz.
 
Wir sollten staatspolitisch und sozialpolitisch aktiv werden. Staatspolitisch: Wir sollten die direkte Demokratie schützen. Die Finanzierung der Parteien ist als erstes gesetzlich zu regeln. Der Missbrauch der Volksrechte muss bekämpft werden. Und wir sollten sozialpolitisch aktiv werden. Die Umverteilung um 180 Grad drehen, von oben nach unten.
 
Grundeinkommen durch Reichtumssteuer
 
Die Linke hat das schon vor mehr als 75 Jahren versucht. In den zwanziger Jahren haben die Sozialdemokraten und die Kommunisten in Deutschland eine Volksinitiative zur Enteignung der Fürsten zur Abstimmung gebracht. Natürlich ohne Erfolg. Zur selben Zeit lancierte in der Schweiz die Linke mit den Gewerkschaften die Vermögensabgabeinitiative.


 


Die grossen und grössten Vermögen sollten zur Tilgung der während des Weltkriegs entstandenen Staatsschulden herbeigezogen werden. Es kam zu einer historischen Abstimmungsschlacht.


 


Über 86% der Stimmbürger gingen zur Urne. Und fast alle stimmten für die Reichen.


 


Nach den vergeblichen Versuchen mit den Reichtumssteuer-Initiativen in den letzten dreissig Jahren sollten wir wieder einen neuen, aber einen ganz anderen  Anlauf starten. Wir leben ja in einem Land der Minderheiten und bis jetzt haben wir in den Abstimmungen meistens die Minderheit der Reichen in den Schutz genommen. Es wäre an der Zeit, einmal etwas für die grosse Mehrheit, etwas für alle zu tun.
 
Es ist heute eine Idee, eine Utopie im Umlauf, die man für die Umverteilung von oben nach unten gezielt einsetzen könnte: das bedingungslose Grundeinkommen. Seine heutigen Verfechter wollen es über Konsumsteuern finanzieren. Einfacher und sozialer wäre es, wenn ein Grundeinkommen für alle über die Abschöpfung des immensen Reichtums in der Schweiz finanziert würde. 
 
Eine solche Idee müssten wir hartnäckig verfolgen. Sie wäre die wirkliche Umverteilung. Dann wären wir auf dem Weg zu einer solidarischen Schweiz. Denkt daran: wir sind hier im Volkshaus. Von hier sind seit je die besseren Ideen hervorgegangen, als jene aus den Häusern der Volkspartei. Und vielleicht, wenn das SAH Zürich den 150. Geburtstag hier feiert, dann gibt es diese solidarische Schweiz.


 


via























Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen