Mittwoch, 29. Juni 2011

"D. #deutschen #Forderungen #an d. #Ausland übersteigen d. #Verbindlichkeiten um fast 700 Milliarden Euro." [via Junge Welt]

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Bankrotteure bitten zur Kasse

Hintergrund. Wie, warum und bei wem nehmen Länder Kredite auf? Wer muß sie letztlich zurückzahlen, und wer profitiert davon? Über Mythen und Wirklichkeit im Zusammenhang mit Staatsschulden

Der Irrsinn endet nicht von selbst, er muß beendet werden
Der Irrsinn endet nicht von selbst, er muß beendet werden (Demonstration in Berlin unter dem Motto »Die Krise heißt Kapitalismus«, 12.6.2010)
Foto: Christian Ditsch/Version
Deutschland hat zwei Billionen Euro Schulden, lesen wir, das sind
ungefähr 24000 Euro für jeden Einwohner. Deutschland?
Jeder Einwohner? Ich habe keine Schulden. Nun, der Staat sei bei
seinen Bürgern verschuldet. Schulden bei mir? Nicht, daß
ich wüßte! Und wieso soll ich Gläubiger der
Staatsschuld und zugleich Schuldner sein? Kann das mal jemand
erklären? Sind die BRD oder ihre Bürger vielleicht
gegenüber dem Ausland verschuldet? Eigentlich nicht, im
Gegenteil. Die deutschen Forderungen an das Ausland
übersteigen die Verbindlichkeiten um fast 700 Milliarden Euro.
Es ist verrückt: Was man in einigen Zeitungen zu lesen und von
manchen Politikern darüber zu hören kriegt, macht einfach
keinen Sinn.
Wenn die Bundesfinanzagentur, die das Schuldenmanagement des Bundes
betreibt, Schuldenpapiere verkauft, tut sie das nicht auf mein
Geheiß und sie verkauft diese auch nicht an mich. Sie agiert
im Auftrag der Bundesregierung, die zwar vorgibt, dabei meine
Interessen zu vertreten, aber so ganz sicher bin ich mir da nicht.
Und weil ich wie die meisten Bürger gar kein Geld habe, um
Bundesanleihen zu kaufen, müssen es andere sein, die das tun.
Ungefähr die Hälfte der Staatsschuldenpapiere
Deutschlands besitzen ausländische Banken, Pensionsfonds,
andere Staaten und ausländische Privatpersonen. Die andere
Hälfte gehört Banken, Versicherungen, diversen
Vermögensfonds, Beziehern hoher Einkommen und Besitzern
großer Vermögen im Inland. Halten wir also zunächst
fest: Die Regierung verschuldet sich, und sie tut das, ohne mich zu
fragen, in meinem Namen. Und die Gläubiger, diejenigen, die
der Regierung Geld leihen und damit Renditen einfahren, sind
diejenigen, die sowieso schon das meiste verdienen und besitzen.
Sie verwenden diese handelbaren Papiere sogar wie Geld, können
sie be- oder verleihen und machen damit noch mal Profit.

Refundierung der Schuld

Und ich bin derjenige, der mit seinen Steuern die Zinsen bezahlen
muß. Na ja, vielleicht bin ich es auch nicht. Wenn eine
Bundesanleihe fällig wird und die laufenden Zinsen zu
entrichten sind, fragt sich die Bundesregierung, warum soll sie
gerade jetzt die Steuerzahler, von denen sie ja wiedergewählt
werden will, dazu heranziehen? Sie nimmt also lieber einen neuen
Kredit auf und begibt eine neue Anleihe. Das wird nicht an die
große Glocke gehängt, kaum jemand merkt es. Die
Schuldentilgung überläßt sie künftigen
Regierungen und Steuerzahlern, so wie die früheren Regierungen
auch ihr Kreditverpflichtungen hinterlassen haben. Eigentlich ganz
bequem.
Das Verfahren (Refundierung der Schuld) ist uralt. Es funktioniert
so lange, wie mögliche Anleihekäufer genug
überschüssiges Finanzvermögen haben und
überzeugt sind, daß sie ihre Zinsen bekommen und am Ende
den Anleihebetrag zurückkriegen. Außerdem sollte sich
der Kauf einer Staatsanleihe mehr als andere Geldanlagen lohnen,
zumindest aber sicherer sein. Dieser Mechanismus funktioniert auch
im privaten Bereich, wenn ein Fondsverwalter immer aufs neue
willige und liquide Anleger überzeugen kann, ihm ihr Geld
anzuvertrauen. Er zahlt damit seine »älteren«
Gläubiger aus, obwohl der Fonds, in den eingezahlt wird,
vielleicht gar nicht profitabel verwendet wurde. Vor einiger Zeit
hatte der US-Finanzier Bernard Madoff ein solches Pyramidenspiel im
Kettenbriefverfahren mit Superreichen aufgezogen. Es wird nach
einem ähnlichen Betrüger aus den 1920er Jahren auch
Ponzi-Spiel genannt. Madoff genoß als ehemaliger Vorsitzender
der Nasdaq-Börse das Vertrauen der Anleger, bereitwillig
übergaben sie ihm ihre Finanzen. Sein Spiel flog auf, als in
der Krise trotz seiner Reputation niemand mehr Geld bei ihm anlegen
konnte und wollte. Die Pyramide brach zusammen, er konnte den
Schuldendienst nicht mehr aus neuen Anleihen bezahlen und wanderte
in den Knast. Seine Gläubiger verloren nicht weniger als 50
Milliarden Dollar. Auch beim Anleihegeschäft des Staates sind
die Existenz liquider Privatmittel im Inland (zur inneren
Verschuldung) und/oder im Ausland (äußere Verschuldung)
und das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit die entscheidenden
Voraussetzungen dafür, daß eine wachsende Staatsschuld
tragbar bleibt. Madoff hatte gar nicht so unrecht, als er aus dem
Gefängnis heraus seine Kritiker angiftete, der ganze Staat sei
ein Ponzi-Game.



Aber ich habe in diesem Spiel die Arschkarte gezogen. Wenn es die
Regierungen immer weiter betreiben, steigt die Verschuldung. Und wo
es wachsende Verbindlichkeiten gibt, da gibt es wachsende
Vermögen. Ich bin also am Ende der Schuldner, und andere sind
die Gewinner. Halt, sagt man mir, du bist auch ein Gewinner, weil
die Regierung mit den Krediten Investitionen vorgenommen und das
öffentliche Vermögen gemehrt hat. Schön
wär’s! Das öffentliche Bruttovermögen –
dessen Miteigentümer ich angeblich bin – ist zwar
größer geworden, aber die Schulden sind viel
stärker gestiegen. Der Saldo, das Reinvermögen des
Staates, hat sich von 800 Milliarden Euro Anfang der 1990er Jahre
auf 192 Milliarden Euro im Jahr 2009 (aktuellere Zahlen liegen
nicht vor) verringert, die BRD ist verarmt. Und wo ist das ganze
Vermögen hin? Nun, die Banken haben ihr Reinvermögen auf
450 Milliarden Euro etwa verdreifacht und die nichtfinanziellen
Kapitalgesellschaften um etwa 50 Prozent auf 1,5 Billionen
gesteigert. Das meiste Vermögen liegt bei privaten Besitzern,
die vor zwanzig Jahren über reichlich vier Billionen Euro
verfügten und deren Reinvermögen sich auf 8,5 Billionen
mehr als verdoppelte, was einer jährlich vierprozentigen
Verzinsung entspricht. Und es ist kein Geheimnis, daß diese
Güter höchst ungleich verteilt sind. Den oberen zwei
Zehntel der Bevölkerung gehören 80 Prozent davon, dem
reichsten Zehntel allein über 60 Prozent. Die unteren
Schichten haben nichts und weniger als nichts, sie sind wie der
Staat verschuldet. Die Formel »öffentliche Armut bei
privatem Reichtum« ist also höchst
überarbeitungsbedürftig; öffentlicher und privater
Armut steht der ungeheure private Reichtum weniger gegenüber.
An dieser Verteilungsspirale haben die Regierungen eifrig
mitgedreht. Jahr für Jahr fließen den
Staatsgläubigern je nach Zinsstand zur Zeit zwischen 60 und
70, in den kommenden Jahren sogar bis an die 100 Milliarden Euro zu
– jedes Jahr, wohlgemerkt. Das sind in den letzten zwanzig
Jahren über 1,3 Billionen Euro, die der Staat zum Aufpumpen
der Vermögensblase beigetragen hat. Die müssen zwar
versteuert werden, aber ohne daß etwas übrig bleibt,
werden die Besitzenden dem Staat wohl kaum Geld leihen, ganz davon
abgesehen, daß sie die Regierungen dazu gebracht haben, ihre
Steuern immer weiter zu senken.

Abhängigkeit vom Finanzkapital


Und dann gibt es noch die Aasgeier der Finanzwelt, die am Abfall
der Schulden verdienen. Die Gläubiger wollen sich vor einem
Kreditausfall schützen, und diese Versicherungen, die Credit
Default Swaps, kosten Prämien. Wenn die Versicherer, diverse
Spekulanten und die Rating­agenturen die Zahlungsfähigkeit
eines Staates schlechtreden, können höhere Prämien
kassiert werden. Bei ihren Zinsforderungen berücksichtigen das
die Käufer der Anleihen – und der Staat muß
höhere Zinsen zahlen. Am Ende kommt es vielleicht genau wegen
solcher Spekulationen zu Zahlungsschwierigkeiten. Deutschland ist
zwar momentan davon nicht betroffen, bei einigen Euro-Ländern
ist das jedoch der Fall. Hier zeigt sich in besonders eklatanter
Weise die Abhängigkeit eines verschuldeten Staates von den
Finanzjongleuren, die den Kreditmarkt beherrschen. Der ehemalige
Bundesbankpräsident Axel Weber forderte sogar die
»Disziplinierung« der Politik durch »den
Markt«. Den Schaden haben die Steuerzahler; ganz zu schweigen
von der Demokratie.



Manche sagen, es sei gut, wenn sich der Staat verschuldet, weil
damit ein intergenerativer Lastenausgleich stattfinde. Wenn zum
Beispiel eine Brücke mit Steuergeldern gebaut worden war,
hatte er damit die damalige Generation belastet, und auch ich
hätte heute den Nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Das
wäre doch ungerecht. Aber egal, ob steuer- oder
kreditfinanziert, die Vorfahren hätten diese Kosten auf jeden
Fall tragen müssen, weil man von noch nicht Lebenden nichts
borgen kann. Wenn der Staat ein Vorhaben mit Krediten finanziert,
sind seine Gläubiger immer Angehörige der existierenden
Generation, und die Güter und Leistungen, die er braucht, sind
ebenfalls von ihr produziert. Ob steuer- oder kreditfinanziert, die
öffentliche Investition wird immer – von
Auslandskrediten abgesehen – von der jeweils lebenden
Generation bezahlt. Es kann also nicht richtig sein, einfach nur
verschiedene Altersstufen zu unterscheiden. Vielmehr müssen
Gläubiger und Schuldner, im speziellen Fall Steuerschuldner,
in damaligen, gegenwärtigen und künftigen Generationen
unterschieden werden. Meine hat nicht nur die Staatsschulden von
damals geerbt, sondern – abgesehen vom öffentlichen
Vermögen, das mit diesen Investitionen geschaffen wurde, wenn
es denn geschaffen wurde – natürlich auch die damit
untrennbar verbundenen Forderungen. Nur das in der heutigen
Generation eben die Erben der reichen Gläubiger und die Erben
mit der Arschkarte unterschieden werden müssen. Die
Steuerschuldner zahlen den Kredit an die Erben der
Staatsgläubiger zurück. Schuldensumme und Forderungssumme
sind innerhalb jeder Generation gleich groß.



Der Nutzen aus öffentlichen Investitionen steht in keinem
Bezug zu Laufzeit, Verzinsung und Tilgung der Verbindlichkeiten aus
Staatspapieren. Außerdem wird diejenige Generation der
Steuerzahler, bei der diese Schuld schließlich zur Tilgung
ansteht, keineswegs gerecht behandelt, weil sie allein belastet
wird (die Erben der Gläubiger verbuchen das in dieser Zeit als
Einnahme), während die nachfolgenden und die
Zwischengenerationen nur den Nutzen und keine Kosten haben. Erfolgt
keine Tilgung, sondern nur eine Refundierung der Schuld, leisten
die künftigen Steuerzahler den Schuldendienst weiter, obwohl
die Vermögen, in die vor Jahrzehnten investiert wurde,
vielleicht gar nicht mehr existieren. Die Brücke ist
womöglich längst zusammengebrochen, weil wegen der
Zinsbelastung das Geld zu ihrem Erhalt gefehlt hat. Ist es in den
Unterhalt einer Armee von Erwerbslosen geflossen (von anderen
Armeen ganz zu schweigen), die nicht beschäftigt wurden, weil
sie zu wenig Profit erwirtschaftet hätten, sind die
kreditfinanzierten Mittel aufgezehrt, konsumiert worden. Das
Erwerbslosenheer von vier Millionen Menschen kostete im vergangenen
Jahrzehnt dem Staat jährlich zwischen 70 und 90 Milliarden
Euro. Ohne diese Ausgaben hätte er locker ausgeglichene
Haushalte hinlegen können. Und all das soll vernünftig
und gerecht sein?

Steuern oder Schulden


Die Regierung hätte die Mittel für öffentliche
Investitionen auch über Steuern auf jenes Vermögen
aufbringen können, aus dem diese Kredite gespeist worden
waren. Zieht sie eine Schuldenaufnahme vor, handelt es sich
lediglich um diejenige Finanzierung, die politisch am ehesten
durchgesetzt werden kann. Die Staatsgläubiger gehören in
der Regel jener Schicht an, die über die Mittel verfügt,
die auch für eine Steuerfinanzierung zur Verfügung
stünden. Aber dies ist zugleich jene Schicht, die über
den politischen Einfluß verfügt, eine höhere
Besteuerung ihrer Einkommen und Vermögen zu verhindern oder
sogar Steuersenkungen für sich durchzusetzen. Also nehmen die
Regierungen bei ihnen lieber Kredite auf. Zu einer solchen
Geldanlage sind die Vermögenden gerne bereit, denn die vom
Staat angebotene Verzinsung ist akzeptabel und sicher; man kann
sich die Hände reiben. Ein guter Teil der Steuersenkungen
für sie wurde durch Steuer- und Abgabensteigerung sowie
Gebührenerhöhung an anderer Stelle wieder herausgeholt.
Das »Netto vom Brutto« hat sich bei den
Arbeitseinkommen kontinuierlich verringert (nur bei den
Schwerverdienern wurde durch Senkung der Spitzensteuern
gegengehalten), während es sich bei den Kapitaleinkünften
sukzessive erhöht hat. Das Argument der Gerechtigkeit zwischen
Generationen ist also nur vorgeschoben. Gerecht wäre es, wenn
angesichts des vorhandenen Reichtums der Vermögenden diese
nicht in Form von verzinslichen Staatsanleihen, sondern durch
Anhebung der progressiven Steuerkurve am oberen Ende sowie durch
eine angemessene Besteuerung der Kapitaleinkommen, Vermögen
und Vermögenstransfers stärker zur Finanzierung des
Gemeinwesens herangezogen würden.



Zu den Legenden über die Verschuldung gehört auch die
These, wir lebten »über unsere Verhältnisse«
und müßten deshalb sparen. Wie die Analyse gezeigt hat,
sind nicht einfach »wir« verschuldet, und es sind auch
nicht »die« Bürger Nutznießer oder
Gläubiger der Staatsschuld. Also können es auch nicht
»wir« sein, die über die Verhältnisse leben.
Nachdem dies klargestellt ist, sollte dennoch gefragt werden, ob,
und wenn ja, wer bei einer Verschuldung über seine
Verhältnisse lebt. Unterstellt, der Staat in der Gestalt der
Regierung sei der demokratisch legitimierte Wahrer unser aller
Interessen. Nehmen wir weiter an, seine Steuerpolitik belaste alle
Bürger in gerechter Weise, und seine Ausgaben kommen allen
angemessen zugute. Unterstellen wir ferner, bei einer
Kreditaufnahme würden wir alle Anleihen kaufen und damit im
selben Maße Gläubiger des Staates werden und an den
Zinsen partizipieren. Was wäre dann unter »über
unsere Verhältnisse leben« zu verstehen? Das hier
charakterisierte Gemeinwesen kann schwerlich über seine
Verhältnisse leben, wenn der Staat nur nach innen, seinen
Bürgern gegenüber, verschuldet ist. Denn
»wir« sind zwar in der einen Tasche verschuldet, haben
aber in der anderen Tasche dafür eine Anleihe als Forderung.
Über seine Verhältnisse lebt ein solches Gemeinwesen nur
dann, wenn es netto nach außen verschuldet ist und die
Forderungen des Auslands höher als seine an das Ausland sind.
Dies ist, wie gesagt, in Deutschland nicht der Fall.



Heben wir jetzt die Fiktion der Identität von Staat und
Bürger und eines gerechten Gemeinwesens auf. Jeder, der einen
Kredit aufnimmt, sei es ein Unternehmen, ein Privathaushalt oder
eine Regierung, tut das, weil seine momentane Einkommens- und
Vermögenssituation die Finanzierung eines bestimmten Vorhabens
nicht zuläßt. Letzteres kann aus freien Stücken
geplant sein, etwa die Investition eines Unternehmens oder der Kauf
eines Autos oder ein Hochschul­erweiterungs­programm. Die
Entscheidung kann auch einer Notlage entspringen, was zum Beispiel
der Fall ist, wenn eine Naturkatastrophe die Beschäftigung und
die Staatseinnahmen sinken läßt, die Beseitigung der
Folgen aber Mehrausgaben erfordern. Den
»Verhältnissen« entspricht eine solche
Kreditaufnahme immer dann, wenn zu erwarten ist, daß der
Schuldner in der Lage sein wird, den künftigen Schuldendienst
pünktlich zu leisten. Die von der Bundeskanzlerin Angela
Merkel zur Begründung ihres Sparkurses zitierte
schwäbische Hausfrau, die angeblich wisse, daß man nicht
mehr ausgeben kann, als man habe oder verdiene, würde sich
für Merkelsche Ratschläge schön bedanken. Mit dieser
Weisheit hätte sie sich ihr berühmtes Häuschen im
Grünen nie und nimmer kaufen können.



Aber der Staat ist alles andere als eine schwäbische Hausfrau.
Seine Hoheitsrechte, die Steuerhoheit, die Währungshoheit und
das Gewaltmonopol, erlauben es ihm, den Schuldendienst unter nahezu
allen Bedingungen aufrechtzuerhalten. Reichen Steuererhöhungen
und Sparprogramme nicht aus, könnten die Schulden mittels der
Ausgabe neugedruckten Papiergeldes bezahlt werden (Monetarisierung
der Staatsschuld) oder ganz bzw. teilweise gestrichen werden
(Haircut). Stünden gesetzliche Regelungen solchen
Lösungen entgegen, könnte man sie ja ändern. All
dies muß natürlich politisch durchgesetzt werden und
wird zu Konflikten darüber führen, welche sozialen
Schichten mehr oder weniger belastet werden sollen. Die
Staatsgläubiger jedenfalls sind, wenn es hart auf hart kommt,
auch einer gewaltsamen, womöglich diktatorischen Lösung
nicht abgeneigt. Dies gilt für die innere Verschuldung
uneingeschränkt, auch wenn es unschöne Nebenwirkungen und
Risiken gibt. Für die äußere Verschuldung trifft
das freilich nur bei entsprechenden außenpolitischen
Machtverhältnissen zu. Hier liegt eine Achillesferse der
Staatsverschuldung, was anhand des politisch und ökonomisch
schwachen Griechenlands studiert werden kann. Als Deutschland und
Frankreich 2003 als erste Euro-Länder gegen die Schuldenregel
verstießen, wurde sie kurzerhand geändert. Kann eine
Regierung diese Maßnahmen nicht durchsetzen, muß sie
den Bankrott erklären.

Destruktive Vermögensbildung


Über seine hoheitlichen Rechte verfügt der Staat bereits
zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Kreditaufnahme. Die
schwäbische Hausfrau, die ihr Häuschen nach einer
etwaigen Katastrophe wieder aufbauen muß, hat keine Wahl.
Wenn die Versicherung nicht genügend zahlt, wird sie einen
Kredit aufnehmen müssen. Sparen geht nicht, sie hat ja alles
verloren. Aber eine Regierung hat immer die Option, Steuern und
Abgaben zu erhöhen oder einen Kredit aufzunehmen. Es besteht
kein Zwang, sich zu verschulden. Und tut sie es dennoch, sind
dafür politische Gründe und die Machtverhältnisse
ausschlaggebend. Letzteres gilt übrigens auch für die
deutschen Länder und Kommunen. Sie können keine
eigenständige Steuer- und Finanzpolitik machen, es bleiben oft
nur Kreditaufnahme oder Sparhaushalte als Option, und das Diktat
der Schuldenbremse beraubt sie selbst dieser letzten
Wahlmöglichkeit.



Wenn also vom »über die Verhältnisse leben«
gesprochen wird, impliziert dies stillschweigend, daß die
Regierung die Steuern nicht erhöhen und nicht zu anderen
Mitteln der Entschuldung greifen will oder kann, aber immer brav
die Zinsen an die Gläubigern zahlen möchte. Das Argument,
Steuererhöhungen seien wachstumsfeindlich, stimmt so nicht. Es
hängt davon ab, wo sie greifen. Werden die Vermögen
potentieller Staatsgläubiger höher besteuert, ist das
keineswegs wachstumsschädlich. Ganz im Gegenteil, damit wird
die effiziente Allokation (Verteilung) ansonsten brachliegenden
Vermögens gewährleistet, weil es einer besseren Nutzung
zugeführt wird. So könnten die Sanierung kaputter
Brücken oder auch Ausgabensteigerungen im kulturellen und
Bildungsbereich erfolgen. Letztere sind zwar aus kurzfristiger
Sicht konsumtiv, somit keine Vergrößerung des
öffentlichen Vermögens, aber ihr längerfristiger
Nutzen ist unbestreitbar.



Aber wie ist es mit den kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen in
der Weltwirtschaftskrise? Wäre ohne sie und die
milliardenschwere Bankenrettung nicht alles viel schlimmer
gekommen? Stimmt! Wenn es in einer Rezession an Nachfrage fehlt,
weil zu wenig konsumiert wird und die Investitionen zu gering sind,
weil sie nicht ausreichend Profit abwerfen, kann der Staat die
fehlende Nachfrage ausgleichen. Er nimmt bei denjenigen Kredite
auf, die ihr Geld nicht ausgeben, sondern sparen, und gibt es
nachfragewirksam selbst aus. Würde er das nicht tun und
womöglich eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte
durch Sparen einleiten, wäre die Nachfrage noch niedriger. Die
Produktion, die Beschäftigung und die Einkommen würden,
wie in Griechenland zu erleben, weiter sinken.



Ist diese Logik nicht widersinnig? Stimmt auch! Der Staat kann zwar
so handeln, er kann aber auch anders. In der Krise saßen die
Banken auf ihrem Geld wie Dagobert Duck im Geldspeicher und waren
weder mit guten Worten noch kaum mit Barem herauszulocken, denn das
Verborgen war trotz hoher Zinsen zu unsicher (Kreditklemme).
Staatsanleihen sind da sehr willkommen, zwar niedrig verzinst, aber
immerhin sicher. Wenn jedoch zuviel gespart und zu wenig
nachgefragt wird, warum soll der Staat das brachliegende,
überakkumulierte Kapitalvermögen wiederum nur über
Kreditaufnahme abschöpfen, um mit dem Schuldendienst in der
nächsten Runde das Sparen und die Reichtumsblase erneut zu
fördern? Warum versucht er nicht wenigstens, diese destruktive
Vermögensbildung an der falschen Stelle und bei den falschen
Leuten zu reduzieren (wenn er sie denn nicht gänzlich
unterbinden kann), indem er für eine ausgeglichene Verteilung
sorgt und Überschüsse – wie es sogar das
Stabilitätsgesetz mit der Konjunkturabgabe vorsieht –
wegsteuert? In den zwanzig Jahren seit Beginn der 1990er hat der
Staat, wie wir gesehen haben, seinen Gläubigern 1,3 Billionen
Euro in Form von Zinsen zugeführt und damit, weil diese es
nicht vollständig konsumtiv oder investiv ausgeben, das Sparen
gefördert. Im selben Zeitraum hat er netto 0,9 Billionen
ausgabenwirksame Kredite aufgenommen. Das heißt, er hat die
Vermögensblase mit einem höheren Betrag als die Nachfrage
gefüttert. Und sein Bankenrettungsprogramm hat Reichtum
abgesichert, der jetzt, im Aufschwung innerhalb des
Wirtschaftszyklus, erneut Überakkumulation und Blasenbildung
befeuert.

Auf in den nächsten Crash


Steht alles wieder auf Anfang? Nicht ganz. Die Staatsgläubiger
kriegen kalte Füße. Das Ponzi-Spiel soll mal pausieren,
sie rufen nach Cash. Sie wollen keinen Haircut riskieren oder ihr
Vermögen in einer Inflation dahinschmelzen sehen. Steuern
erhöhen wollen sie auch nicht, es sei denn, es handelt sich um
indirekte für die Verbraucher. Aber wie kommen sie dann zu
ihrem Geld? Klar, der Staat soll sparen, um den Schuldendienst
aufrechtzuerhalten, denn diese Zahlungen sind ihnen sakrosankt.
Dafür wird die öffentliche Daseinsvorsorge geschreddert,
das öffentliche Eigentum privatisiert, es werden Rentner und
Hartz-IV-Bezieher geschröpft, soziale Leistungen, Kultur und
Bildung vielerorts geopfert oder verteuert. Nachdem auch infolge
der Vermögensblase die Wirtschaft in eine ihrer tiefsten
Krisen gerutscht war und die Bankrotteure mit Milliarden
Steuergeldern gerettet wurden, bitten sie zur Kasse, und die
Regierung führt das Inkasso durch. Und so geht es in den
nächsten Crash. Wie dieser Irrsinn endet? Gar nicht, wenn er
nicht beendet wird.



Dr. oec. habil. Jürgen Leibiger ist Dozent für
Volkswirtschaftslehre an der Sächsischen Verwaltungs- und
Wirtschaftsakademie Dresden. 2010 veröffentlichte er im Verlag
PapyRossa das Standardwerk für eine alternative Finanzpolitik
»Reclaim the Budget – Staatsfinanzen
reformieren«



Vom Autor erscheint im August: Bankrotteure bitten zur Kasse.
Mythen und Realitäten der Staatsverschuldung, PapyRossa,
Köln 2011, etwa 220 Seiten, ca. 12,90 Euro, ISBN
978-3-89438-466
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