Mittwoch, 25. Mai 2011

#Friedensgutachten 2011 [via idw]

 

Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Bonn International Center for Conversion (BICC), Susanne Heinke,
24.05.2011 13:32

Friedensgutachten 2011

Friedensprojekt Europa neu beleben, Solidarität mit den Nachbarn üben

Die fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstitute präsentieren am
24. Mai vor der Bundespressekonferenz das Friedensgutachten 2011. Es
bewertet den arabischen Frühling als historischen Wendepunkt und die
europäischen Reaktionen darauf als unzureichend. Das Gutachten fordert
eine neue europäische Mittelmeerpolitik. Die Militärintervention in Libyen
und das Flüchtlingsdrama auf Lampedusa zeigen die Zerrissenheit der EU,
die sich in der schwersten Krise seit ihrer Gründung befindet. Das
Gutachten fordert Integration statt nationaler Alleingänge.

Es bilanziert internationale Interventionen und Stabilisierungsmissionen,
überprüft die neue NATO-Strategie und warnt vor der Selbstermächtigung
militärischen Engagements. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen
einen Beitrag zur Stärkung der UNO leisten.

Das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der
Universität Hamburg, die Hessische Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung, das Bonn International Center for Conversion, das
Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg und die Forschungsstätte
der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. in Heidelberg stellen im
aktuellen Friedensgutachten fest:

Europa ist mitschuldig an der jahrzehntelangen politischen und sozialen
Stagnation in der arabischen Welt, gegen die sich nun die Menschen
erheben. Die EU-Staaten haben sich mit politischen Tauschgeschäften, bei
denen Autokraten Erdöl und Erdgas lieferten, Flüchtlinge abfingen und
dafür günstige Kredite sowie Waffen erhielten, zu Komplizen repressiver
Regime gemacht. Im Rahmen einer neuen Mittelmeerpolitik muss die EU ihre
Agrarmärkte öffnen, damit in den südlichen Partnerländern dringend
benötigte Arbeitsplätze entstehen. Sie sollte ihr Know-how beim
demokratischen Umbau vormals autokratisch regierter Staaten zur Verfügung
stellen. Rüstungsexporte in Spannungsgebiete und an Gewaltherrscher
verbieten sich.

Das Friedensgutachten warnt vor einer unkalkulierbaren Eskalation im
Libyenkrieg. Die Militärintervention zeigt von Woche zu Woche deutlicher,
dass sich der Schutz der Zivilbevölkerung und die Absicht der Interventen,
das Regime zu stürzen, schwer vereinbaren lassen. Der UN-Sicherheitsrat
hat in seiner Resolution 1973 militärische Zwangsmittel autorisiert, um
die Zivilbevölkerung zu schützen, und zugleich eine sofortige Waffenruhe
im Bürgerkrieg verlangt. Daran erinnert das Gutachten und fordert, ohne
Vorbedingungen über ein Ende der Gewalt zu verhandeln. Warum sollte
Deutschland nicht zwischen Tripolis und Benghasi vermitteln?

Europa: Für Solidarität offensiv werben!

In der europäischen Außenpolitik dominieren nationale Alleingänge.
Renationalisierung und Populismus prägen auch die Euro-Krise. Ein
Scheitern des Euro würde das Ringen um Einflusssphären wiederbeleben und
die nur schwach entwickelte gemeinsame Außenpolitik endgültig begraben.
Effektive Bankenkontrollen und wirksame Finanzhilfen für die schwächeren
Mitglieder der Europäischen Union sind nötig, um den Zentrifugalkräften in
der EU Einhalt zu gebieten. Die Bundesregierung darf Solidarität nicht
zähneknirschend üben, sondern muss offensiv dafür werben.

Zur europäischen Identität gehört nationale, gesellschaftliche und
kulturelle Vielfalt. Immigranten gegen Benachteiligte ohne
Migrationshintergrund auszuspielen gefährdet den gesellschaftlichen
Frieden. Festungspolitik ist inhuman. Das hohe Gut der Freizügigkeit im
Schengenraum ist zu verteidigen. Das Gutachten fordert eine Reform des
Einbürgerungsrechts und eine Asylpolitik in Übereinstimmung mit der
Menschenrechtscharta. Die Grenzschutzbehörde Frontex ist gemeinsam mit den
Nachbarstaaten zu reformieren und gehört unter die Kontrolle des
Europäischen Parlaments. Gegen ausländerfeindlichen Populismus und
Wählerfang am rechten Rand mahnt das Friedensgutachten Aufklärung und
europapolitisches Engagement aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kirchen,
Gewerkschaften und Regierung an.

Afghanistan, NATO, Bundeswehr: "Vernetzte Sicherheit" auf den Prüfstand

In Afghanistan ordnet die Aufstandsbekämpfung (COIN) zivile Anstrengungen
einer militärischen Logik unter. Die Förderung von Entwicklungsprojekten
an die Bereitschaft zu zivil-militärischer Kooperation zu binden,
gefährdet Projekte und Projektträger. Zur Befriedung des Landes sind
Initiativen für regionale Waffenstillstandsvereinbarungen geboten, um eine
Abzugsperspektive glaubhaft mit dem Ziel der Beendigung militärischer
Gewalt zu verbinden. Die Bundesregierung sollte sich auf der Petersberg-
Konferenz im Dezember hierfür starkmachen.

Den Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Europa halten die
Friedensforscher für ein falsches Signal. Die NATO riskiert damit, einen
neuen Stolperstein in den westlich-russischen Beziehungen zu schaffen. Das
Gutachten warnt davor, bei der Bundeswehrreform die deutschen Streitkräfte
maßgeblich zu einer Interventionsarmee umzuformen oder Militäreinsätze für
eine gesicherte Rohstoffversorgung vorzusehen. Die etwa 6.900 deutschen
Soldaten im Ausland stehen mit wenigen Ausnahmen unter dem Kommando der
NATO. Die nordatlantische Militärallianz ist jedoch kein Ersatz für die
UN-Friedenssicherung. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen dazu
beitragen, dass die UNO ihre Friedensmissionen effektiviert. Andernfalls
nimmt die Glaubwürdigkeit der Weltorganisation Schaden.

Pressekontakt:
Margret Johannsen
IFSH
0178–8197418
johannsen@ifsh.de

Arten der Pressemitteilung:
Wissenschaftliche Publikationen

Sachgebiete:
Gesellschaft
Politik
Wirtschaft

Weitere Informationen finden Sie unter
<
www.friedensgutachten.de>


Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news424723

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution445



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