Freitag, 22. April 2011

"Die fetten Jahre sind vorbei" heute (22.04.) 20:15 Uhr in #EinsFestival [ein #genialer #Film, immer wieder #sehenswert, #geniaaall!!!]


"Heilig sein ist Quatsch"  

[Interview mit dem Filmemacher Hans Weingartner im Falter]

FILM Für "Die fetten Jahre sind vorbei" wurde Hans Weingartner zum Filmfestival in Cannes eingeladen. Mit dem "Falter" sprach der Regisseur über das Freizeitangebot in seiner Heimat Vorarlberg, seine Zeit als Hausbesetzer und darüber, dass auch Revoluzzer keine Superhelden sein müssen. MAYA McKECHNEAY und MICHAEL OMASTA

Vor drei Jahren machte Hans Weingartner mit seinem Kinodebüt "Das weiße Rauschen" erstmals von sich reden. 1970 in Vorarlberg geboren, studierte Weingartner zunächst Neurowissenschaften in Wien, bevor er sich gänzlich aufs Filmemachen verlegte und 1994 nach Deutschland übersiedelte. Bis zum Ende der Neunzigerjahre folgten eine Reihe von Kurzfilmen und eine Ausbildung an der Kunsthochschule für Medien in Köln.


  Mit seiner zweiten Kinoarbeit sorgte Hans Weingartner heuer für eine mittlere Sensation. "Die fetten Jahre sind vorbei" wurde im Frühjahr als erster deutscher Wettbewerbsbeitrag seit 1993 zum Filmfestival nach Cannes eingeladen: Dies, so vermutet der Regisseur und Drehbuchautor, wohl nicht zuletzt deshalb, weil der Film zwei "typisch" französische Topoi in sich vereine – die Revolution und eine Dreiecksbeziehung.


Falter: Wenn man aus dem Film kommt, fragt man sich unwillkürlich: Was werden die jungen Revoluzzer Jan, Peter und Jule in zwanzig Jahren machen?

Hans Weingartner: Äh, ich hab nicht den blassesten Schimmer.

Sie kennen sie vermutlich recht gut.

Ja, trotzdem. Ich schätz mal, in Teil zwei tun sie sich mit Hardenberg zusammen und starten eine neue Bewegung. Oder sie sind genau so wie er, könnte durchaus sein. Finde ich auch nicht schlimm. Mir ist jemand, der sich in seiner Jugend politisch engagiert und rebelliert hat, lieber als jemand, der mit 18 der jungen ÖVP beitritt.

Muss man das sagen, wenn man aus Vorarlberg kommt?

Vorarlberg, das ist überhaupt so ein Thema. Es gibt für junge Menschen dort nur wenig Möglichkeiten sich, sagen wir mal, außerhalb der bürgerlichen Norm zu bewegen. Deswegen gehen alle nach Wien und fangen an, beim Falter zu arbeiten – oder nach New York.

Sie sind zum Filmemachen aus Österreich weggegangen. Hatten Sie das Gefühl, es gibt hier keine Möglichkeit, sich zu entfalten?

Ich hab damals keine Möglichkeit gesehen, weiter in Wien zu arbeiten, und einfach kein Geld gehabt, um Filme zu drehen. Außerdem hatte ich tierischen Liebeskummer und musste diese Stadt verlassen. Ich versuch schon auch das zu machen, was mir gut tut, und in Wien ging's mir halt nicht mehr gut. Ich hab damals einen Anruf bekommen aus Berlin: Du, wir sind da in einem besetzten Haus in Friedrichshain, es ist wunderschön, direkt an der Spree, und noch viel frei im Haus. Da hab ich meine Sachen ins Auto geschmissen, bin hingefahren und hab ein sehr glückliches Jahr dort verbracht.

Während der Zeit haben Sie keine Filme gemacht?

Überhaupt nichts. Ich hab einmal ein kurzes Porträt des Hauses gedreht, das wurde bei der Räumung dann von der Polizei konfisziert.

Inwiefern sprechen die Charaktere im Film auch für Sie selbst?

Die sprechen wie ich mit Anfang, Mitte zwanzig – also teilweise naiv, aber immer engagiert und idealistisch und wütend. Ich glaube ja, man sollte Filme immer nur über Lebensabschnitte machen, die man schon hinter sich hat.

Sie haben den Film zu zweit, mit Katharina Held, geschrieben. Ist es wichtig, jemand zu haben, mit dem Sie sich während der Drehbucharbeit austauschen können?

Extrem wichtig sogar. Ich bin leider so ein ungeduldiger Mensch, ich kann alleine gar nicht mehr lang genug sitzen, um ein Drehbuch zu schreiben. Wir haben das wirklich von Anfang bis Ende zusammen geschrieben, wie eine linke und rechte Gehirnhälfte.

Bei einigen Szenen, vor allem in den politischen Debatten auf der Almhütte, hat man den Eindruck, dass geschriebene mit improvisierten Dialogen wechseln. Wie viel darf noch beim Drehen passieren?

Gerade die Szenen waren schon zu neunzig Prozent geschrieben. So eine politische Diskussion kennt jeder aus seinem Leben von diversen Kneipenabenden oder WG-Essen, nur hat man sie noch nie in einem Film gesehen, weil es natürlich unheimlich riskant ist, dass alles in Gelaber ausartet. Wir haben versucht, dass immer auch diese persönliche Ebene mit reinkommt, sich das immer auch auf ihr eigenes Leben bezieht. Also wenn sie über Schulden sprechen, dann sprechen sie auch über Jules Schulden. Das ging aber nicht zu improvisieren, da hätte ich echte Globalisierungsgegner und einen Topmanager besetzen müssen.

Da zeigen Sie auch deutlich, wo Ihre Sympathien liegen; die Hütte erscheint als fast utopischer Ort, an dem alle gesellschaftlichen Mechanismen ausgehebelt sind, doch während Hardenberg sich entblößt, menschlicher wird ...

Das weiß man ja nicht! Vielleicht spielt er nur ein Spiel, ich will mich da gar nicht so festlegen lassen. Klar, dass meine Sympathien bei Jan, Peter und Jule liegen, aber ich zeig sie doch nicht als Superhelden. Sie wollen etwas bewegen, aber wenn Jan und Jule in die Villa von Hardenberg einsteigen, finden sie das natürlich auch cool. Und? Was ist schlimm dran? Überhaupt nix! Warum muss jemand, der an eine Sache glaubt und dafür kämpft, ein Heiliger sein? Ist doch Quatsch, dieses katholische Denken, Franz von Assisi und so.

Sind andere Stellen improvisiert?

Sehr viele, ja. Es gab zwar immer einen Dialogvorschlag, aber es ist eben nur ein Vorschlag: So oder so könnte das sein. Dann probiert man das mal aus und dann wird's meistens noch verändert. Ich find das immer spannend, weil Schauspieler, wenn sie voll in den Figuren drinnen sind, mir viel Neues über sie erzählen. Und ich mag einfach irrsinnig, wenn man sich nicht zu sehr festlegt im Vorfeld und dadurch mehr Lebendigkeit reinkriegt. Wobei ich nicht genau sagen kann, was diese Lebendigkeit ausmacht; vielleicht gerade das Nichtperfekte oder die Wiederholungen, die dann passieren. Man kann halt nicht alles planen. Oft spielt die Wirklichkeit einem die schönsten Dinge zu.

Es gibt im Kino auch nichts Langweiligeres als Perfektion. Trotzdem ist es überraschend, wie der Film auf großer Leinwand ausschaut – die Bildqualität ist zum Teil katastrophal, das Licht genauso. Hat es außer finanziellen noch andere Gründe, dass Sie mit Digitalvideo gearbeitet haben?

Man muss da natürlich gewisse Abstriche machen, gewinnt aber unheimlich an Freiheit. Anders wäre das auch niemals zu finanzieren gewesen, forget it, so ein Film nicht. Je mehr Kohle drinnen ist, desto mehr Leute reden mit, das ist einfach so. Außerdem hast du viel mehr Zeit am Set, viel mehr Zeit, was auszuprobieren, und du kannst diese Proben auch schon mitdrehen. Es sind viele Szenen in den Film gekommen, die eigentlich Probenszenen waren. Digitalvideo hat also nicht bloß praktische Gründe, man muss diese Gegenwartsästhetik schon auch bedienen. Ich würde mich sicher nicht trauen, auf Video einen historischen Film zu drehen.

Wussten Sie von Anfang an, dass der Film ein Happy End haben wird?

Happy End? Das ist eine Beleidigung.

Wieso das denn?

Du weißt doch gar nicht, was mit denen passiert! Vielleicht werden die alle erschossen oder landen im Knast. Sie sind die moralischen Sieger, aber haben kein Leben mehr, können nicht mehr nach Berlin zurück ...

Okay, sagen wir, das Ende lässt verschiedene Möglichkeiten offen, und jeder Zuschauer darf sich für die ihm angenehme Variante entscheiden.

Ich hab das hauptsächlich aus inhaltlichen Gründen gemacht. Es sollte doch ein optimistischer Film werden, der Lust auf Engagement macht. Ich find dieses Ende auch viel radikaler, als wenn am Schluss jeder für sich allein in irgendeiner hässlichen Gegend herumsteht. Das wäre vielleicht das typische Ende gewesen. Oder Jan wird erschossen, und Peter und Jule stehen mit Kinderwagen am Grab. Ich wollte das ganze Desillusionierende nicht. Ehrlich! Dass ich ein Happy End gemacht habe, damit der Film kommerziell erfolgreich wird, ist totaler Bullshit. Ich wollte von Anfang an, dass die drei am Schluss in Spanien sind, am selben Ort, wo auch "Das weiße Rauschen" endet. Ich kann's einfach nicht mehr sehen, dass die Rebellen im Kino immer sterben müssen.

Seit der Einladung nach Cannes letztes Frühjahr will man Sie in Österreich gern wieder vereinnahmen, wohingegen Sie in Deutschland klar als deutscher Filmemacher wahrgenommen werden. Macht das für Sie einen Unterschied?

Damit hab ich nix zu tun, Hauptsache, ich kann arbeiten. Ich lebe jetzt halt in Deutschland. Das kann sich auch schnell ändern, aber ich hab nicht das Gefühl, dass ich vereinnahmt werde. Ich denke in Deutschland auch nie darüber nach, dass ich Österreicher bin. Meistens redet man ja über den Film. Ich meine, den Leuten ist doch scheißegal, wer Hans Weingartner ist. Die gehen ins Kino, schauen sich den Film an und interessieren sich maximal für Daniel Brühl.

Müssen Sie jetzt nicht einen wirklich schlechten Film machen? So wie Sie ständig Preise abräumen, gehören Sie als Nächstes schon zum Establishment.

Genau, irgendwann hassen mich alle (lacht). Ich muss mir jetzt unbedingt vornehmen, einen ganz schlechten Film zu machen. Das ist die beste Herangehensweise, weil man sich ziemlich entkrampft. Angst ist der schlimmste Feind des Regisseurs.

Und wenn er trotzdem gut wird?

Dann probier ich's halt noch mal. Übrigens war's für mich sehr schön mit der Coop99 aus Wien zusammenzuarbeiten. Grad beim Schnitt hatte ich so eine Phase, wo ich total verzweifelt war und gedacht hab, dass das alles Scheiße ist. Antonin (Svoboda, Anm. d. Red.) und Bärbel (Albert, Anm. d. Red.) haben mich sehr aufgebaut. Vielleicht gibt's doch noch kulturelle Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland.

Wie reagiert Ihr idealer Zuschauer, ein Zwanzigjähriger, der sich den Film anschaut?

Ich hoffe, dass ganz viele Fünfzigjährige da reingehen. Achtzigjährige und Fünfzehnjährige.

Wenn man Interviews mit Ihnen liest, hat man das Gefühl, Sie erwarten sich schon, dass der Film gewisse Prozesse auslöst. Der Titel "Die fetten Jahre sind vorbei" ist ja als Aussage entsprechend formuliert.

Vielleicht überlegt der Zuschauer nach dem Film, ob er das Leben führt, das er immer führen wollte. Idealerweise versucht er dann sogar, sich politisch zu engagieren, aber ich stell da überhaupt keine Ansprüche. Ich hab den Film nicht mit dem Ziel gemacht, die Jugend politisieren, mobilisieren, revolutionieren zu müssen. Überhaupt nicht. Nein, ich wollte echt nur eine spannende Geschichte erzählen – wie kann man politisch aktiv sein, wo ist das Establishment und was bedeuten Ideale und Freundschaft. Ich hasse es, wenn ich in einen Film gehe und merke, der will mich in eine bestimmte Richtung drängen. Didaktik muss einfach subtil sein, sonst funktioniert sie nicht


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen