Donnerstag, 31. März 2011

Wege zum Kommunismus - Nach der Wahl in Baden-Württemberg: Grüne Wertkonservative mit Vergangenheit [via ND]


Wege zum Kommunismus

Von Jürgen Amendt
(Neues Deutschland)
http://www.neues-deutschland.de/artikel/194382.wege-zum-kommunismus.html

Nach der Wahl in Baden-Württemberg: Grüne Wertkonservative mit Vergangenheit

»Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren.«
Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Linkspartei

»Wo kämen wir hin, wenn alle sagten: wo kämen wir hin; und niemand ginge, um einmal nachzuschauen, wohin man käme, wenn man ginge.«
Kurt Marti, Schweizer Pfarrer und Schriftsteller

»Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.«
Wolf Biermann, Liedermacher und DDR-Bürgerrechtler

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Als sich der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) in den 1980er Jahren auflöste, landeten die Genossen noch den ganz großen Coup: Das ursprünglich für drei Millionen DM erworbene Gebäude seines Frankfurter Hauptquartiers ging im Tausch für ein »Öko-Haus« im Wert von 30 Millionen DM an die Commerzbank. So jedenfalls wird es erzählt, und kolportiert wird auch, dass die Banker erstaunt gewesen sein sollen über die Zähigkeit und Hartnäckigkeit, mit der die Nachlassverwalter des KBW unter Führung von Joscha Schmierer die Verhandlungen führten. Das ist die Ironie der Geschichte: Kommunisten als pfiffige, gewiefte Geschäftemacher, die aus einer Immobilie 1000 Prozent Kapital schlagen.

Ist das der Kommunismus, vor dem uns Gesine Lötzsch warnte, als sie Anfang des Jahres über die verschiedenen Wege zum Kommunismus spekulierte, die man nur gehen müsse, um zu schauen, wohin sie uns führen? Auf jeden Fall ist der KBW mehr als eine Anekdote der deutschen Geschichte – denn Geschichte ist der KBW streng genommen nie geworden. Rund zweieinhalbtausend Mitglieder zählte die Organisation zu ihren besten Zeiten, von einem Zentralkomitee autoritär geführt, kadermäßig organisiert und ideologisch geschult. Viele stammten aus wohlhabenden, gutbürgerlichen Elternhäusern.

Das Geld war bei den Kommunisten des KBW deshalb nie knapp. Die Infrastruktur des KBW wurde zum nicht geringsten Teil vom Vermögen der Eltern sowie von Erbschaften finanziert. Man sympathisierte mit Chinas Mao, Kambodschas Pol Pot, sah sich als politische Avantgarde, als Speerspitze einer Arbeiterbewegung, ohne Teil von dieser zu sein noch jemals werden zu wollen.

Die Wege zum Kommunismus führten auf verschlungenen Pfaden wieder zur Quelle, zum Ursprung des Denkens zurück – zu jenem Ausgangspunkt der Revolte gegen die Verlogenheit des bürgerlichen Liberalismus der Elternhäuser, der Toleranz sagte, aber Repression meinte.

Die, die diese Wege gingen, waren dabei durchaus erfolgreich: Joscha Schmierer wurde unter Joschka Fischer (zu KBW-Zeiten als sogenannten Sponti ein Widersacher) Mitarbeiter im Planungsstab des Außenministeriums, Ralf Fücks leitet heute die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung, Reinhard Büttikofer ging ebenfalls zu den Grünen und war von 2002 bis 2008 deren Bundesvorsitzender. Aus den einstigen Linksradikalen wurden Vordenker des grünen Realo-Flügels.

Doch auch andere Parteien und Organisationen profitierten von der KBW-Kaderausbildung: Ulla Schmidt ging zur SPD und war in der rot-grünen Schröder-Regierung Bundesgesundheitsministerin; Horst Löchel, der wie Ulla Schmidt in den 1970er Jahren bei Bundestagswahlen für den KBW kandidierte, machte Karriere als Banker und lehrt heute Wirtschaftswissenschaften an der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai. Franz Wittenbrink, der zu den Mitbegründern des KBW zählt, ist heute als Komponist, Musiker und Regisseur erfolgreich.

Der Jurist Eberhard Kempf schließlich machte sich einen Namen als Verteidiger von Prominenten – u.a. vertrat er den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, im sogenannten Mannesmann-Prozess, der die Korruptionsvorwürfe gegen eine Reihe von prominenten Wirtschaftsführern aufdecken sollte.

Bleibt die entscheidende Frage: Gingen mit der Karriere auch die einstigen Überzeugungen flöten? Der Vorwurf des Renegatentums geht einem leicht über die Lippen. Und der Vowurf liegt nahe. Denn nur die wenigsten wie Ursula Lötzer oder Christiane Schneider, die beide heute für die Linkspartei in Landesparlamenten sitzen, haben auf dem einmal eingeschlagenen Weg zumindest die Richtung beibehalten.

Was aber, wenn die Frage falsch gestellt ist, weil es in der Politik eigentlich nie um Überzeugungen geht, sondern stets um den Versuch, das Machbare zu organisieren? Darum, im stetigen Hin und Her zwischen Fortschritt und Bewahren die vorantreibende Mitte zu finden. Keine Seilschaft hat die Ex-KBW-Funktionäre und -Mitglieder letztlich dorthin gebracht, wo sie heute als Politiker, Juristen, Künstler, Unternehmer stehen.

Verbunden werden diese ehemaligen Kommunisten durch das dünne Band einer bestimmten Erkenntnis: Wer den Dogmatismus und die unbedingte Intoleranz einer kommunistischen Kaderorganisation durchlebt, vielleicht sogar durchlitten hat, weiß die Segnungen des bürgerlichen Liberalismus zu schätzen, dessen repressive Toleranz, der die Abweichung von der Norm bekämpft, aber immer erträgt, als Geistesvorteil zu begreifen.

Die Kommunisten des KBW waren Wertkonservative, und Wertkonservative sind sie geblieben. Einer von ihnen, ein Ehemaliger, wird aller Voraussicht nach der nächste Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg sein: Winfried Kretschmann, Gymnasiallehrer, AStA-Vorsitzender und während seines Studiums von 1973 bis 1975 Mitglied des KBW.


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