Donnerstag, 24. Februar 2011

#Streitfall #Babyklappe (...) zur anonymen Kindesabgabe diskutierte der #Deutsche #Ethikrat [via idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutscher Ethikrat, Ulrike Florian, 24.02.2011 16:48

Streitfall Babyklappe

Ein Jahr nach Veröffentlichung seiner Stellungnahme zur anonymen
Kindesabgabe diskutierte der Deutsche Ethikrat mit Vertretern aus Praxis,
Medien und Politik, welche Entwicklungen es seither gab.

Im November 2009 hatte der Deutsche Ethikrat empfohlen, die gesetzliche
Grundlage für eine vertrauliche Kindesabgabe zu schaffen und die
illegalen, aber bislang geduldeten Angebote von anonymer Geburt sowie
Babyklappen aufzugeben. Begleitend sollten die öffentlichen Informationen
über die bestehenden umfangreichen legalen Hilfsangebote für Schwangere
und Mütter in Not- oder Konfliktsituationen verstärkt werden.

Christiane Woopen, stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, führte zu
Beginn in die Überlegungen des Rates ein. Zwar wurden Angebote anonymer
Kindesabgaben mit der Absicht eingerichtet, Kindstötungen und Aussetzungen
zu verhindern. Es sei jedoch unter Berücksichtigung von statistischen
Daten und Erkenntnissen aus der forensischen Psychiatrie unwahrscheinlich,
dass dies tatsächlich gelingt. Darüber hinaus sei die Not- oder
Konfliktsituation der Frauen durch eine Abgabe des Kindes nicht schon
gelöst. Man müsse davon ausgehen, dass in vielen Fällen das Leid der
Frauen, die ohne Einbindung in einen Beratungskontext das Angebot einer
anonymen Abgabe angenommen haben, später nur um so größer sei. Die
Angebote hätten schwerwiegende Folgen für die psychische Entwicklung der
Kinder, die unter der Anonymität ihrer Herkunft lebenslang leiden können,
sowie für Mütter und manchmal auch Väter, denen der Kontakt zu ihren
leiblichen Kindern lebenslang verschlossen sei. Woopen betonte: "Es geht
also nicht um einen Wertekonflikt zwischen dem Recht auf Leben und dem
Recht auf Kenntnis der Herkunft, sondern um zusätzliche Hilfen für die
Frau."

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat 2009
die erste bundesweite Studie zu Fallzahlen, Angeboten und Kontexten der
anonymen Kindesabgabe beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Auftrag
gegeben. Zielsetzung, Methodik und erste Ergebnisse dieser Studie stellte
Joelle Coutinho, wissenschaftliche Referentin in diesem Projekt, vor.
Neben einer Erhebung der Fallzahlen und Verfahrensabläufe mithilfe
bundesweiter schriftlicher Befragungen von 591 Jugendämtern und 343
Anbietern anonymer Kindesabgabe sowie qualitativer Interviews untersucht
die Studie auch die psychosoziale Situation und Motivation betroffener
Frauen. Coutinho berichtete von großen Unterschieden bei den Motiven und
dem Professionalisierungsgrad der Träger sowie bei den Kooperationen und
Abläufen nach einer anonymen Kindesabgabe.

Maria Elisabeth Thoma, Bundesvorsitzende des Sozialdienstes katholischer
Frauen (SkF), berichtete über die Diskussion der Stellungnahme; letztere
sei in den einzelnen Verbänden des SkF unterschiedlich wahrgenommen
worden. Der Bundesverband des SkF habe sie ausdrücklich begrüßt. Die
Ortsvereine wollten die derzeit existierenden Babyklappen allerdings
aufrechterhalten, jedenfalls solange es noch keine gute, erprobte
Alternative gebe. Der Vorschlag des Ethikrates zu einer gesetzlichen
Regelung einer vertraulichen Geburt werde begrüßt, um endlich einen
verlässlichen rechtlichen Rahmen für vertrauliche Angebote zu haben.

Der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz stellte eine zusammen mit dem
Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl angefertigte Medienanalyse
zur Presseberichterstattung über die Stellungnahme des Ethikrates vor. Der
Ethikrat habe mit seinem Votum versucht, einer intuitiv plausiblen, aber
nur spekulativ begründeten Annahme, Babyklappen könnten Leben retten, die
empirische Basis zu entziehen. Die Auswertung zeige allerdings, dass eine
differenzierte Diskussion in den Medien nicht gelungen sei. Inhaltlich
aufgegriffen worden sei lediglich die Mehrheitsempfehlung, Babyklappen zu
schließen, womit der Ethikrat aber nicht habe überzeugen können. Es sei
nicht deutlich geworden, dass diese Empfehlung auf dem Hintergrund der
Überzeugung abgegeben wurde, dass kein Konflikt zwischen Lebensrecht und
Recht auf Wissen um die eigene Herkunft bestehe. Die Berichterstattung der
Medien habe aber genau diesen angeblichen Konflikt ins Zentrum gestellt.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsrunde mit Ingrid
Fischbach, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Ulrike Herpich-Behrens, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und
Forschung des Landes Berlin, Maria Geiss-Wittmann, Vorsitzende des Beirats
von Donum Vitae in Bayern, Volker Stollorz und Ratsmitglied Weyma Lübbe.

Ingrid Fischbach berichtete, dass alle Versuche der letzten Jahre, anonyme
Kindesabgaben zu legalisieren, ergebnislos verlaufen seien. Vor einer
Initiative zur gesetzlichen Regelung einer vertraulichen Kindesabgabe
warte man nun die Studie beim DJI ab. Insbesondere müsse geklärt werden,
aus welchen Gründen Frauen die legalen Angebote ablehnen und anonym
bleiben wollen und wie ihnen in dieser Situation am besten geholfen werden
könne. Eine anschließende rechtliche Regelung sei dringend erforderlich,
denn die aktuellen Angebote zur anonymen Kindesabgabe seien illegal.

Ulrike Herpich-Behrens erklärte, dass die Stellungnahme von den
Jugendämtern und der Senatsverwaltung als sehr hilfreich für ihre Arbeit
empfunden worden sei, da sie eine differenzierte Auseinandersetzung mit
den Problemen der Angebote ermögliche. Sie berichtete von ihr bekannten
besonders problematischen Fällen in Berlin und den Schwierigkeiten, die
durch eine fehlende Regulierung entstehen.

Maria Geiss-Wittmann betonte, dass man für den Schutz des Lebens vor allem
die Frauen erreichen müsse. Je besser dies gelänge, desto erfolgreicher
schütze man die Kinder. Ihr Verband sei mit den konkreten
Lösungsvorschlägen des Rates einverstanden, denen das eigene Modell der
anonymen Arm-zu-Arm-Übergabe bereits weitgehend entspreche. Insofern
befürworte sie die anonyme Geburt und anonyme Kindesabgabe. Die Babyklappe
lehne sie ab.

Weyma Lübbe hinterfragte das Argument "wenn nur ein einziges Leben
gerettet wird, hat es sich schon gelohnt". Der Ethikrat habe im Hauptvotum
nicht hinreichend deutlich dargelegt, dass seiner Ansicht nach Babyklappen
auch dann nicht gerechtfertigt seien, wenn die Behauptung einer
lebensschützenden Wirkung in sehr seltenen Einzelfällen tatsächlich
belegbar wäre. Eine minimale Risikoreduktion für eine Kindstötung, wie sie
durch Babyklappen bestenfalls geboten werde, lasse sich gegen andere Güter
und Rechte wie dasjenige auf die Kenntnis der eigenen Abstammung abwägen.
Eine derartige Abwägung fände auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen
ständig statt. Der Vorschlag der "vertraulichen Geburt mit vorübergehend
anonymer Meldung" sei aber vermutlich nicht als Alternative für denselben
Personenkreis realistisch, da es sich um Personen ohne hinreichendes
Vertrauen in persönliche Kontaktaufnahmen handle.

In der Diskussion mit dem Plenum wurden Fragen einer weiteren Duldung der
rechtswidrigen Angebote angesprochen sowie die Notwendigkeit, weiterhin
darüber nachzudenken, wie man Frauen in Not- und Konfliktsituationen mit
Hilfsangeboten erreichen kann. Fischbach betonte, dass der Gesetzgeber die
Verpflichtung habe, eine klare Regelung zu schaffen. Man müsse auch damit
rechnen, dass die anonym abgegebenen Kinder den Staat später für ihr
Schicksal, die eigene Herkunft nicht zu kennen, verantwortlich machen
werden.

Der Audiomitschnitt der Veranstaltung sowie die Stellungnahme sind unter
http://www.ethikrat.org abrufbar.

Arten der Pressemitteilung:
Wissenschaftliche Tagungen

Sachgebiete:
Gesellschaft
Philosophie / Ethik
Politik
Recht

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/forum-bioethik/streitfall-babyklappe

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news410666

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution703



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