Montag, 24. Januar 2011

"Aufschwung XXL"-Kampagne geht weiter [#genial #innovativ #digital - #alternativlos (lol)]


"Aufschwung XXL"-Kampagne geht weiter

(Nachdenkseiten)
http://www.nachdenkseiten.de/?p=8097#more-8097

Ein Blick in die bundesdeutsche Medienberichterstattung zum Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung zeigt: Das propagandistische Medientrommelfeuer ("XXL-Aufschwung", "Wirtschaftswunder", "Kaufrausch", "Jobwunder") wird unvermindert fortgesetzt.

Allem Anschein nach setzen unsere zum weit überwiegenden Teil der schwarz-gelben Bundesregierung nahestehenden Medien alles daran, im "Superwahljahr" 2011 Union und FDP nach Kräften zu pushen.

Zumal die Wähler möglicherweise auch im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen an die Wahlurne gerufen werden. So schreibt tagesschau.de unter der Überschrift:

Jahreswirtschaftsbericht 2011: Mit "Siebenmeilenstiefeln" in den Aufschwung
Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr um einen halben Prozentpunkt angehoben. Im neuen Jahreswirtschaftsbericht geht sie von einem Zuwachs von 2,3 Prozent im laufenden Jahr aus. Bislang hatte sie nur 1,8 Prozent Wachstum für 2011 erwartet. 2010 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar um 3,6 Prozent gestiegen.

Anmerkungen unseres Lesers G.K.:

  1. Die Medienkampagnen zum "XXL-Aufschwung" werden auch anläßlich der Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichtes der Bundesregierung fortgesetzt. So schreibt beispielsweise das Handelsblatt unter der Überschrift "Jobwunder forciert deutschen XXL-Aufschwung": "Beschäftigungsentwicklung auf Rekordniveau, Wachstumsprognose kräftig angehoben, EU-Defizit-Grenzmarke wieder unterschritten: Besser kann es derzeit eigentlich nicht laufen für Deutschland und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Der FDP-Politiker stellte heute einen Jahreswirtschaftsbericht vor, der tatsächlich ein Anlass ist, in Jubelstimmung auszubrechen."

    Und ein dpa-basierter Artikel der Frankfurter Rundschau trägt die Überschrift: "Brüderle: Aufschwung ohne Ende". "Aufschwung ohne Ende"? Vor dem Hintergrund der Internetblase zur Jahrtausendwende und des erneut im Vorfeld der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2009 von zahlreichen Medien und Wirtschaft-"Experten" hinausposaunten Gefasels vom angeblich "immerwährenden Wachstum" ist es mehr als erstaunlich, daß die Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Rundschau eine derart substanzlose Überschrift kritiklos in die Welt setzt.

  2. In der Medienberichterstattung ist im Zusammenhang mit dem BIP-Wachstum des Jahres 2010 erneut von einem "Rekordwachstum seit der Wiedervereinigung" die Rede. Auch die von tagesschau.de veröffentlichte Grafik zeigt dieses angebliche "Rekordwachstum" des Jahres 2010. In der Vergangenheit wurde in der Medienberichterstattung jedoch fachlich korrekt stets das um eine unterschiedliche Anzahl von Arbeitstagen bereinigte BIP-Wachstum veröffentlicht. Dieses bereinigte Wirtschaftswachtum betrug im Jahre 2010 jedoch lediglich 3,5 Prozent und liegt somit knapp unterhalb der Wachstumsrate des Jahres 2006 in Höhe von 3,6 Prozent und auf dem Niveau des Jahres 2000 (ebenfalls 3,5 Prozent). Das durchsichtige Interesse, einen "Wachstumsrekord" seit der Wiedervereinigung in die Welt hinauszuposaunen, läßt die Mainstream-Medien eine sachlich korrekte Berichterstattung über den Haufen werfen.
  3. tagesschau.de schreibt: "Deutschland sei mit "sensationellen Zahlen" in Europa am besten durch die Krise gekommen, sagte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts: "Wir gehen mit Siebenmeilenstiefeln voran, manch andere trotten im Gänsemarsch hinterher.""

    Hinter dieser Brüderle-Aussage steckt eine gehörige Portion Dreistigkeit und Unverfrorenheit. Denn das von den deutschen Neoliberalen forcierte parasitäre Lohn- und Sozialdumping trägt maßgebliche Mitverantwortung für die ökonomischen Schieflagen in zahlreichen Staaten der Eurozone. Die von den hiesigen Neoliberalen diktierten Spar- und Lohnsenkungsprogramme an die Adresse der notleidenden Staaten werden die dortigen Probleme und insbesondere die Situation der dort lebenden Arbeitnehmer weiter verschärfen. Vor allem in diesen europäischen Staaten wird man die arrogante Großkotzigkeit Brüderles und seiner Kabinettskollegen sehr genau registrieren. Selbst der jeglicher "Linkslastigkeit" unverdächtige Altkanzler Helmut Schmidt kritisierte kürzlich die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse und die daraus drohenden Gefahren für zukünftige ökonomische Entwicklung in Deutschland und Europa. In den vergangenen Monaten kritisierte Schmidt des weiteren zur Recht die, wie er sich ausdrückte, "wilhelminische Großspurigkeit" der schwarz-gelben Regierungspolitiker. Helmut Schmidt: Europa brauche weder einen "deutschen Oberkommandierenden", noch einen "deutschen Schulmeister". Schwarz-Gelb und die zahlreichen sie unterstützenden Medien scheinen jedoch mit der Parole "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" an schleche alte Zeiten anknüpfen zu wollen.

    Die hiesige Politik und die deutschen Medien versuchen zwar den Eindruck zu erwecken, der Wachstumsbeitrag der Außenhandelsüberschüsse werde im laufenden Jahr gegenüber den Vorjahren abnehmen. Doch selbst das Herbstutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der deutsche Leistungsbilanzüberschuss auch im Jahre 2011 weiter zulegen wird: von 127,9 Mrd. Euro in 2010 auf 142,3 Mrd. Euro in 2011. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die Neuverschuldung der übrigen Wirtschaftsnationen gegenüber Deutschland wird im laufenden Jahr um weitere 142,3 Mrd. Euro anwachsen.

    Brüdele und nahezu alle deutschen Mainstreammedien verschweigen zudem den Preis, den die deutschen Arbeitnehmer für die Exportfixierung seit vielen Jahren zahlen: Real stagnierende oder gar sinkende Löhne und Gehälter, deutliche Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze, Einschnitte in die Sozialetats, wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen. Sollten die übrigen Staaten der Eurozone der deutschen Forderung nachkommen, den hiesigen Wirtschaftskurs zu kopieren, dann dürften den deutschen Arbeitnehmern in nicht allzu ferner Zukunft erneut massive "Opfer" auf dem Altar der "Wettbewerbsfähigkeit" abverlangt werden.

  4. tagesschau.de schreibt: "Der Aufschwung werde auch durch eine wachsende Kauflust der Verbraucher befeuert. Die real verfügbaren Einkommen der Bürger werden 2011 um 3,4 Prozent steigen, sagte Brüderle. Nachdem die Konsumausgaben im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent gestiegen waren, werden sie laut Bundesregierung 2011 voraussichtlich um 1,6 Prozent zulegen."

    Es wird der Eindruck erweckt, die Einkommen "der" Deutschen würden im laufenden Jahr real um 3,4 Prozent ansteigen. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, denn das verfügbare Einkommen beinhaltet auch die in 2011 erneut deutlich überdurchschnittlich steigenden Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen. Doch selbst innerhalb der Arbeitnehmerschaft dürften wegen der kräftig steigenden Unternehmensgewinne die Spitzenverdiener über deutlich ansteigende Gratifikationen und Bonuszahlungen überdurchschnittliche Gehaltszuwächse erzielen. Die Löhne und Gehälter der Durchschnitts- und Geringverdiener hingegen dürften auch im laufenden Jahr nur unterdurchschnittlich zulegen. Dies gilt erst recht für die Bezieher von sog. Transfereinkommen. So werden beispielsweise die Rentner im laufenden Jahr reale Einkommenseinbußen erleiden. Ob vor diesem Hintergrund (Stichwort: hohe Sparquote der Spitzenverdiener) die realen Konsumausgaben – wie von der Bundesregierung prognostiziert – tatsächlich um 1,6 Prozent steigen werden, ist zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen. Doch selbst ein Anstieg der Konsumausgaben um 1,6 Prozent wäre weit von einem "Konsumboom" (wie in zahlreichen Medien behauptet) entfernt. Die privaten Konsumausgaben würden selbst bei einem Anstieg um 1,6 Prozent erneut schwächer als das prognostizierte Bruttoinlandsprodukt (2,3 Prozent) wachsen. Das Hochjubeln des Konsums verfolgt das durchsichtige Ziel, von dem seit vielen Jahren betriebenen Lohn- und Sozialdumping und der darauf basierenden Exportforcierung der deutschen Wirtschaft sowie der daran vor allem im europäischen Ausland geäußerten Kritik abzulenken.

  5. tagesschau.de schreibt: "Weiter sagte Brüderle, dass die Zahl der Beschäftigten in Deutschland durch den anhaltenden Aufschwung im Jahresschnitt nochmals um mehr als 300.000 auf 40,8 Millionen steigen werde. Die Arbeitslosigkeit werde im Jahresdurchschnitt auf 2,94 Millionen Menschen ohne Job oder auf eine Quote von etwa 7,0 Prozent zurückgehen. "Wir befinden uns auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung. In einigen Regionen lassen sich schon manche Stellen nicht mehr besetzen", sagte Brüderle."

    Dieser Passus beinhaltet das komplette propagandistische Arsenal in Sachen "Jobwunder". Hierzu folgende Anmerkungen:

    Beim Vergleich der heutigen Beschäftigtenzahlen mit jenen früherer Jahre wirkt sich besonders gravierend aus, daß der Anteil der Vollzeitarbeitsplätze reduziert und im Gegenzug der Anteil der zumeist prekären, nicht vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer drastisch angestiegen ist. Dies führt zu einer deutlichen Aufhübschung sowohl der Arbeitslosenstatistik als auch der Beschäftigungsstatistik: Obwohl die Zahl der von den Beschäftigten abgeleisteten Arbeitsstunden von 52 Milliarden Stunden in 1991 um 7,7 Prozent auf 48 Milliarden Stunden in 2008 (dem Jahr vor dem Abschwung, d.h. in etwa vergleichbar mit der heutigen Situation) abgesunken ist, hat sich die Zahl der Beschäftigten in diesem Zeitraum erhöht. Der Beschäftigungsanstieg trotz Rückgang des Volumens der geleisteten Arbeitsstunden resultiert ausschließlich aus einer Aufspaltung ehemaliger Vollzeitarbeitsplätze in zumeist prekäre Teilzeitarbeitsplätze und Mini-/Midijobs sowie aus der Einführung von 1-Euro-Jobs.

    Die sehr große Kluft zwischen der von der Bundesagentur für Arbeit ausgewiesenen Arbeitslosigkeit und dem tatsächlichen Mangel an Arbeitsplätzen zeigt die im Juni 2010 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Pressemitteilung

"Rund neun Millionen Menschen wünschen sich (mehr) Arbeit".

Diese Pressemitteilung des Statistische Bundesamtes enthält eine

Grafik auf Basis von Daten des Jahres 2009, welche aufzeigt, daß im europäischen Vergleich insbesondere in Deutschland die Lücke zwischen der offiziell ausgewiesenen Erwerbslosenquote und der sog. Quote des ungenutzten Arbeitskräftepotenzials sehr hoch ist.

Die Qualität der Arbeitsplätze ist seit vielen Jahren deutlich abnehmend, was sich auch im drastisch angewachsenen deutschen Niedriglohnsektor widerspiegelt:

  • drastische Zunahme von Mini-/Midijobs und Teilzeitjobs (Teilzeitarbeit: geringere Anzahl bezahlter Arbeitstunden sowie zusätzlich ein lt. Analyse des Statistischen Bundesamtes um ca. 23% geringerer Stundenverdienst gegenüber Vollzeitarbeitskräften),
  • drastische Ausweitung der Leiharbeit,
  • Einführung der 1-Euro-Jobs,
  • deutliche Zunahme zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse.

Der von Brüdele behauptete angebliche Arbeitsplatzmangel ist die Fortsetzung der Kampagne zum angeblichen "Facharbeitermangel". Siehe hierzu den NachDenkSeiten-Beitrag

"Wie Sie vom Spiegel an der Nase herum geführt werden. Beispiel angeblicher Fachkräftemangel" und die in diesem Beitrag dokumentierte Widerlegung dieser Behauptung durch das DIW.

Die ständige Herumreiten auf dem angeblichen "Facharbeitermangel" soll einer verstärkten Zuwanderung von Arbeitskräften Vorschub leisten, um so auch in Zukunft den Druck auf die Arbeitnehmereinkommen aufrechtzuerhalten.

  • tagesschau.de schreibt: "Die maßgeblichen Risiken für den Aufschwung kommen nach Angaben der Regierung aus der Weltwirtschaft. "Es ist zu erwarten, dass das weltwirtschaftliche Wachstum in diesem Jahr etwas an Fahrt verliert." Dabei wirkten sich die Konsolidierungsprozesse in den USA und Japan, vor allem aber auch in europäischen Staaten aus. Verwiesen wird auch auf protektionistische Gefahren."

    Konjunkturelle Risiken aus den exorbitant hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen für Deutschland sowie die übrigen Staaten der Eurozone (auch hinsichtlich des aus den hohen deutschen Außenhandelsüberschüssen resultierenden Eurokurses, der für die unter Wettbewerbsschwäche leidenden Eurozonenstaaten zu hoch ist) möchte die Bundesregierung nicht sehen. Risiken aus den an zahlreiche Eurozonen-Staaten gerichteten Spar- und Lohnsenkungsdiktaten möchte die Bundesregierung ebenfalls nicht erkennen. Sie verweigert sich allem Anschein nach sogar der Einsicht, daß die hohen deutschen Außenhandelsübeschüssen den von ihr beklagten protektionistischen Gefahren Vorschub leisten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung praktiziert die Methode "Haltet den Dieb", sprich: Schuld an eventuell geplatzten Wachstumsträumen sind stets nur die Anderen.

  • FAZIT: Ein Blick in die Medien zeigt, daß diese sich ganz überwiegend als unkritische Lautsprecher der schwarz-gelben Bundesregierung verstehen. Die ökonomische und soziale Situation in Deutschland wird mit hochtrabenden Superlativen schöngeschrieben und -gesendet. Kritische Anmerkungen, beispielsweise zu den massiv geschönten Arbeitslosen- und Beschäftigungsstatistiken, zu der drastischen Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze, zu der auch weiterhin ungleichen Verteilung des zusätzlich erwirtschfteten Volkseinkommens, zu den Gefahren und negativen Nebenwirkungen der hohen deutschen Außenhandelsüberschüsse oder zu dem vor allem im europäischen Ausland nicht verborgen bleibenden großspurigen und arroganten Aussenauftritt der schwarz-gelben Bundesregierung: Nahezu komplette Fehlanzeige.


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