Dienstag, 14. Dezember 2010

#Heimerziehung: #Sehr #viele #Orte #des #Bösen [Neues Deutschland]


Heimerziehung: Sehr viele Orte des Bösen

Von Regina Stötzel

(Neues Deutschland)

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186434.heimerziehung-sehr-viele-orte-des-boesen.html

Runder Tisch empfiehlt Entschädigungszahlungen für belegte Folgeschäden / Betroffene protestieren

Der Verein ehemaliger Heimkinder nennt die Empfehlungen des Runden Tischs Heimerziehung »beschämend«. Vorgesehen sind Entschädigungszahlungen aus einem Fonds mit zunächst 120 Millionen Euro.

Friedhelm Münter rollt ein Plakat aus im Berliner Haus der Pressekonferenz. Als »Erziehungsobjekt« bezeichnet sich der 58-Jährige, der bis zu seiner Volljährigkeit von Heim zu Heim gereicht wurde, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« klagt er an. In einer kleinen Broschüre schildert er Demütigungen, Prügel, Missbrauch und viele Grausamkeiten mehr.

Es habe »sehr viele Orte des Bösen« gegeben, sagt Antje Vollmer (Grüne) bei der Pressekonferenz des Runden Tischs Heimerziehung, den sie zwei Jahre lang moderiert hat. So viele, dass sich alle pauschal entschuldigen – Vollmer für den Runden Tisch, Johannes Stücker-Brüning von der Deutschen Bischofskonferenz für die Kirchen, Georg Gorrissen vom Sozialministerium Schleswig-Holsteins für Bund und Länder.

Vollmer erkennt an, dass das Rechtsverständnis der jungen Bundesrepublik beim Umgang mit Kindern und Jugendlichen »sehr unterentwickelt« gewesen sei, Stücker-Brüning, dass die Züchtigungsmethoden in kirchlichen Heimen nicht mit dem Evangelium vereinbar waren.

Es ist die Rede vom »System Heimerziehung« und vom »Zwang zur Arbeit«, aber nicht von einem »Unrechtssystem« und von »Zwangsarbeit« – und nicht von pauschalen Entschädigungen, wie sie die Betroffenen gefordert haben.

»Man muss zu uns kommen«, sagt Vollmer. Wer seine Ansprüche »plausibel« darlegen kann, hat gleich drei Möglichkeiten: Entschädigung für nicht anerkannte Arbeitsjahre aus dem 20 Millionen umfassenden Rentenausgleichsfonds, Hilfen aus dem 100 Millionen enthaltenden Fonds für Folgeschäden sowie gegebenenfalls Entschädigung aus den Töpfen des noch tagenden Runden Tisches zu sexuellem Kindesmissbrauch.

»Wir haben nicht alles, aber wir haben vieles erreicht«, sagt Hans-Siegfried Wiegand, Vertreter der Betroffenen am Runden Tisch. Die Forderung nach einer Opferrente von 300 Euro für alle ehemaligen Heimkinder bzw. eine Einmalzahlung von 54 000 Euro sei zurückgewiesen worden. Doch als der Runde Tisch kurz vor Schluss zu scheitern drohte, konnten er und seine Mitstreiter immerhin aushandeln, dass der Fonds »nach oben offen« sein werde und alle Antragsteller berücksichtigt würden.

Sein Vertreter am Runden Tisch, Jürgen Beverförden, spricht bei der Pressekonferenz des Vereins ehemaliger Heimkinder, die von der SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier moderiert wird. Auch Beverförden betont die erreichten Erfolge, etwa dass sexuell missbrauchte Heimkinder »die gleiche Entschädigung wie die Bürgersöhne in Internaten« bekommen sollen.

Klaus Dickneite, Vertreter ehemaliger Heimkinder mit Behinderung, bezeichnet das Ergebnis dagegen als »erzwungen und erpresst«. Monika Tschapek-Güntner, Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder, nennt die Summe von 120 Millionen »beschämend für diese Bundesrepublik«.

Alle können sich die angeblich »unbürokratische« Entschädigung noch nicht recht vorstellen, wenn doch in Anträgen »die schädigende Wirkung der Heimerziehung« dargelegt werden muss. Sie empfehlen den Betroffenen dennoch, die Anträge zu stellen und für mehr zu kämpfen. Tschapek-Güntner kündigt an, auf die Opferrente zu klagen – notfalls »bis zum Europäischen Gerichtshof«.


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