Donnerstag, 18. November 2010

--->>> Frühwarnsystem für ungeprüfte Therapien angemahnt <<<--- [idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Frank A. Miltner, 17.11.2010 15:01

Frühwarnsystem für ungeprüfte Therapien  angemahnt

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Parkinson-
Gesellschaft (DPG) halten nach einem Todesfall und weiteren schweren
Zwischenfällen nach Stammzell-Transplantationen beim XCell-Center in
Düsseldorf ein Frühwarnsystem für gefährliche Therapien für dringend
angebracht.

Mitte Oktober 2010 enthüllte die "Wirtschaftswoche", dass bereits am 12.
August ein Kleinkind durch das private Therapiezentrum XCell-Center in
Düsseldorf behandelt und anschließend an einer Gehirnblutung verstorben
war. Dem eineinhalbjährigen Jungen aus Italien waren adulte Stammzellen
aus dem eigenen Beckenknochen in das Gehirn transplantiert worden. Diese
Methode bietet das Unternehmen mit Geschäftssitz in den Niederlanden zur
Behandlung verschiedener Krankheiten des Zentralen Nervensystems für
mehrere tausend Euro an. In den Niederlanden ist der Eingriff nicht
erlaubt, daher war die Firma nach Deutschland umgesiedelt, wo derartige
Eingriffe möglich sind.

Frühzeitige Warnung führte nicht zu den richtigen Konsequenzen

Bereits im Juni 2009 warnten die DGN und die DPG gemeinsam vor den
Behandlungsmethoden des XCell-Centers, nachdem vom diesem Institut
behandelte Patienten bei Neurologen vor-stellig geworden waren. Denn für
die vom XCell-Center angebotene Behandlungsform fehlt – gemäß
übereinstimmender Stellungnahmen mehrerer Fachgesellschaften – der
wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit. Das Verfahren ist potenziell
mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden, die im Falle des tragischen
Verlaufs bei dem Kleinkind eingetreten sind. Neben dem allgemeinen Risiko
einer Gehirnblutung durch einen neurochirurgischen Eingriff ist
beispielsweise auch bekannt, dass injizierte Stammzellen Tumore erzeugen
können. Weltweit ist die sichere Handhabung von Stammzellen für
medizinische Zwecke ein großes Forschungsgebiet, aber es gibt dafür noch
keine zugelassenen Therapieformen.

Da im Fall des XCell-Centers keine wissenschaftliche Nutzenbewertung
vorliegt, setzten sich 2009 die Fachgesellschaften DGN und DGP mit den
zuständigen Behörden in Verbindung, forderten vom  XCell-Center eine
fachliche Stellungnahme und betrieben intensive Pressearbeit, unter
anderem auch mit Unterstützung einer Patientin, die vom XCell-Center
erfolglos gegen die Parkinson-Krankheit behandelt worden war. Da viele
Patienten aus dem Ausland angeworben werden, wurde von den beiden
Fachgesellschaften auch eine englischsprachige Warnung herausgegeben.

Schnelleres Eingreifen notwendig

Umso bedauerlicher ist es, dass die Behandlungen durch das XCell-Center
nicht verhindert werden konnten, bevor es zu einem Todesfall und weiteren
schweren Zwischenfällen kam. Das Unternehmen nutzte eine rechtliche
Grauzone aus, denn neue Therapien müssen erst ab 2012 bei der Europäischen
Zulassungsbehörde beantragt werden. Ein rechtlich möglicher sogenannter
ärztlicher Heilversuch dürfte nach der Anzahl behandelter Patienten, die
vom XCell-Center im Internet mit 3000 angegeben wird, offenbar nicht mehr
vorliegen. Auch während der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seit
Ostern 2010 konnte das XCell-Center Patienten aus der ganzen Welt
behandeln.

Nach dem Todesfall stufte das Paul-Ehrlich-Institut die Anwendung als
bedenklich im Sinne von § 5 Absatz 2 AMG ein. Dem Gesetz nach ist es
verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder bei
einem anderen Menschen anzuwenden. Erst nach Eingang dieses Gutachtens vom
Paul-Ehrlich-Institut im Herbst 2010 hat die zuständige Behörde, die
Bezirksregierung Köln, reagiert: Das XCell-Center unterlässt nach eigenen
Angaben seither die umstrittene Therapie der Zellinjektion in das Gehirn.
Es setzt aber weiterhin die Injektion von Stammzellen in das Blut und den
Gehirnwasserraum fort – Verfahren für die ebenso der wissenschaftliche
Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aussteht.

Möglichkeiten für ein schnelles Moratorium schaffen

Die DGN und die DPG mahnen daher an, bei derart offensichtlichen Gefahren
eines ungeprüften Therapieverfahrens im Sinne der Patienten früher
einzuschreiten. Beispielsweise durch ein  Frühwarnsystem, das bis zur
endgültigen Klärung zu einem Moratorium, also einem vorläufigen Stopp der
Therapie, führt. Denn die Sicherheit der Patienten steht an vorderster
Stelle, nicht juristische Prozesse, die sich über Monate und Jahre
hinziehen können. Die schnelle Intervention durch ein Moratorium stünde
nach Überzeugung der DGN und der DPG nicht im Widerspruch zur ärztlichen
Therapiefreiheit, sondern wäre ein weiterer Beleg für die weltweit
herausragende Qualität und Qualitätssicherung der Medizin in Deutschland,
wie sie zum Beispiel in Form von Ethikkommissionen für klinische Studien
oder in der Pharmakotherapie mit den Rote-Hand-Briefen bereits längst
etabliert sind. Die DGN und die DPG bieten dabei sehr gerne ihre
Unterstützung an.

Unterzeichner
Prof. Dr. Heinz Reichmann (Dresden),  1. Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie
Prof. Dr. Dr. Wolfgang H. Oertel (Marburg), 1. Vorsitzender der Deutschen
Parkinson-Gesellschaft

Literatur und Quellen
Stellungname der DGN/DPG vom 23. Juni 2009
http://www.dgn.org/pressemitteilungen/769-pressemitteilung-23062009.html

Pressemitteilung der DGN/DGP vom 23. September 2009
http://www.dgn.org/pressemitteilungen/warnung-vor-behandlung.html

Hintergrund-Artikel in der Wirtschaftswoche vom 19.04.2010
http://www.wiwo.de/technik-wissen/stammzelltherapie-anbieter-locken-mit-
fragwuerdigen-versprechen-427726/

Bericht über den Todesfall in der Wirtschaftswoche vom 16.10.2010
http://www.wiwo.de/technik-wissen/schluss-mit-lebensgefaehrlicher-
stammzelltherapie-444443/

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen
Verantwortung, mit ihren mehr als 6500 Mitgliedern die neurologische
Krankenversorgung in Deutschland zu verbessern. Dafür fördert die DGN
Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der
Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion.
Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle
ist die Bundeshauptstadt Berlin.
www.dgn.org

Die Deutsche Parkinson-Gesellschaft ist eine Schwerpunktgesellschaft der
DGN.
www.parkinson-gesellschaft.de

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Tel: +49 (0)30- 531437-930
Fax: +49 (0)30- 531437-939
E-Mail: info@dgn.org

1. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Heinz Reichmann
2. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Günther Deuschl
3. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Wolfgang Oertel
Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter

Ansprechpartner für die Medien
Frank A. Miltner, Tel: +49 (0)89-461486-22, E-Mail: presse@dgn.org
Pressesprecher der DGN: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Arten der Pressemitteilung:
Buntes aus der Wissenschaft
Forschungs- / Wissenstransfer

Sachgebiete:
Medizin


Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news397373

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution1276


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