Donnerstag, 21. Oktober 2010

#Widerstand #dauert an - Sarkozy hofft vergebens auf Spaltung der Protestfront [Neues Deutschland]


Der Widerstand dauert an

Von Ralf Klingsieck, Paris

Sarkozy hofft vergebens auf Spaltung der Protestfront

(Neues Deutschland)
http://www.neues-deutschland.de/artikel/182404.der-widerstand-dauert-an.html
 

Die Protestaktionen gegen die Rentenreform von Präsident Nicolas Sarkozy halten an. Sie gewinnen sogar noch an Intensität. Die Regierung hofft indessen darauf, die Reform noch während der am Wochenende beginnenden Herbstferien zu verabschieden und damit der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Egal ob und wann der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, das Rentengesetz verabschiedet – die Gewerkschaften wollen am kommenden Dienstag oder Mittwoch erneut zu einem landesweiten Streik- und Aktionstag aufrufen. Zwar dürfte die Beteiligung wegen der Ferien geringer ausfallen als am 19. Oktober, als bei 290 Demonstrationen im ganzen Land nach Angaben der Gewerkschaften 3,5 Millionen Menschen auf die Straße gingen, doch die Kampfentschlossenheit ist größer denn je.

Das liegt vor allem an der verhärteten Position des Präsidenten und seiner Regierung, die die undemokratisch zustande gekommene Reform um jeden Preis durchdrücken wollen. Sie sind zu keinerlei substanziellen Abstrichen oder gar einer Neuaufnahme der Reform durch echte Verhandlungen mit allen Partnern bereit. Sarkozy fährt eine »Doppelstrategie«: Einerseits lässt er es bewusst auf eine »Verwesung« der Situation ankommen und setzt darauf, dass sich die von den Streikfolgen betroffenen und entnervten Franzosen über kurz oder lang »desolidarisieren«. Andererseits rechnet er mit einer Spaltung der bisher einheitlichen Front der Gewerkschaften und trägt dazu durch »Lockangebote« bei.

Als es Anfang des Jahres zu einem Konflikt um die geplante Schließung einer Raffinerie in Dünkirchen kam, erkannten die Gewerkschaften, dass sie dort mit relativ wenig streikenden Mitarbeitern einen »Lebensnerv« der Wirtschaft treffen und Druck auf die Regierenden ausüben können. Der Fortbestand der Raffinerie in Dünkirchen konnte damals für mindestens fünf Jahre gesichert werden. Diese Erfahrung nutzen die Gewerkschaften jetzt im Landesmaßstab. So stehen alle zwölf Raffinerien des Landes seit Tagen still. Weil die Arbeiter des Ölhafens von Marseille seit drei Wochen streiken, kommt auch kein Nachschub. Die Blockade der Treibstoffdepots durch die Streikenden, die von solidarischen Franzosen aus anderen Bereichen unterstützt werden, hat dazu geführt, dass mehr als ein Drittel aller Tankstellen schließen mussten.

Zwar ordnete Sarkozy am Mittwoch an, die Blockade der Depots durch massiven Polizeieinsetz zu brechen, doch führte das bisher nicht zur Wende der Situation. Polizei und Streikende spielen Katz und Maus: Sobald die Polizisten wieder abgerückt sind, werden die Blockaden erneut aufgenommen oder die Tankfahrzeuge werden nach dem Verlassen der Depots ein paar Straßenecken weiter gestoppt und am Weiterfahren gehindert. Alle Depots durch Polizisten ständig offen zu halten und alle Tankfahrzeuge unter Polizeischutz zu stellen, dazu fehlt es der Regierung an Personal.

Unter dem Treibstoffmangel leiden nicht nur die vielen Franzosen, die für den Weg zur Arbeit oder für die Ausübung ihres Berufs auf das Auto angewiesen sind, sondern auch der Straßengütertransport. Schon zeichnen sich dadurch Probleme bei den Zuieferungen für die Industrie und bei der Versorgung des Handels ab. Die Bahn ist da keine Alternative, denn die SNCF hat am Mittwoch bekannt gegeben, dass wegen der wiederholten Eisenbahnerstreiks in den vergangenen zwei Wochen nur zehn Prozent ihrer planmäßigen Güterzüge fahren konnten.

Die Führer der großen Gewerkschaftsverbände hatten noch vor Tagen über einen schrittweisen Ausstieg aus den Aktionen nach der defintiven Abstimmung über das Rentengesetz nachgedacht. Inzwischen aber ist von Ausstieg keine Rede mehr. Angesichts der auch für sie überraschenden Kampfentschlossenheit ihrer eigenen Basis und der Unterstützung durch Schüler und Studenten, die mit ungebrochenem Elan auf die Straße gehen, sind die Gewerkschaftsführer übereinstimmend der Meinung, dass man den Druck auf Sarkozy und die Rechtsregierung fortsetzen muss. Andeutungen aus der Regierung, dass man über ein vereinheitlichtes und dadurch vereinfachtes Rentenberechnungssystem nach Punkten nachdenkt, wie einzelne Gewerkschaften wie die CFDT schon seit Jahren vergebens fordern, können die neue Einheitsfront nicht aufbrechen.

Selbst die bevorstehende Verabschiedung des Reformgesetzes bedeutet keinen Schlusspunkt. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss der Text, der in der Nationalversammlung und im Senat durch Abänderungsanträge in unterschiedlicher Weise verändert wurde, durch die paritätische Kommission beider Kammern vereinheitlicht werden. Anschließend muss das Gesetz noch durch den Verfassungsrat geprüft werden. All dies kann Wochen dauern. Das Kräftemessen zwischen einem selbstherrlichen Präsidenten und den vielen kampfentschlossenen Franzosen wird also wohl andauern.


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