Mittwoch, 13. Oktober 2010

Die Vorurteile gegen Muslime werden geschürt und verbreiten sich [vai Nachdenkseiten]


Die Vorurteile gegen Muslime werden geschürt und verbreiten sich
(Nachdenkseiten)

Islamfeindlichkeit in Deutschland nimmt zu

Mehr als ein Drittel der Deutschen meint, ein Deutschland ohne Islam wäre besser.
Kein Wunder nach all der emotionalen Aufstachelung und Wiederholungen von Stereotypen, die nur einen kleineren Teil der Muslime charakterisieren, ist es, dass die Islamfeindlichkeit in Deutschland zunimmt.

Besonders seitdem die Rechten in Deutschland vom Antisemitismus und einer allgemeinen Ausländerfeindlichkeit auf pauschalen Antiislamismus umgeschaltet haben, scheinen sich die Reihen zu schließen, auf denen dann Menschen wie Sarrazin schwimmen, die sich offenbar keinerlei Gedanken machen, was sie bewirken, wenn sie durch das Spielen mit der Angst und primitiven Pauschalisierungen die Mehrheit gegen Minderheiten scharf machen.

Nach einer von Report Mainz in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage von Infratest dimap, haben 37 Prozent der Befragten der Aussage zugestimmt: "Ein Deutschland ohne Islam wäre besser." 44 Prozent sind der Ansicht, dass man sich seit Sarrazins Buch eher trauen kann, "den Islam offener zu kritisieren". Und mehr als ein Drittel macht sich "große Sorgen, dass sich der Islam in unserer Gesellschaft zu stark ausbreitet".

 
Ausgerechnet in einer Zeit, in der mehr Muslime auswandern als einwandern, und in der vor allem die besser gebildeten auswandern, während der Fachkräftemangel zunimmt, Deutschland also um Einwanderer werben müsste, um seinen Lebensstandard zu halten.

Report Mainz verweist auch auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Mittwoch veröffentlicht wird. Aus dieser gehe hervor, dass die Islamfeindlichkeit in Deutschland erheblich zugenommen habe. Der wissenschaftliche Leiter der Studie, Dr. Oliver Decker von der Universität Leipzig, konstatiert eine "deutlichen Zunahme an islamfeindlicher Einstellung". Die Menschen würden leichter Ressentiments äußern. Die Hemmschwelle scheint zu fallen, je öfter und lauter die Brandstifter werden, die mehr und mehr auch die Politiker wie den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer dazu führen, auf diese Stimmung zum Machterhalt zu setzen.

Allerdings ist auch interessant, wer in der Infratest-dimap-Umfrage stärker zum Antiislamismus neigt. Es sind stärker die Nicht-Berufstätigen, also vermutlich die Rentner und Arbeitslosen, die Geringverdiener mit einem monatlichen Einkommen unter 1500 Euro, die Wähler der Union, die Nichtwähler oder die "Sonstigen". Die Ostdeutschen stimmen eher der Aussage zu, dass ein Deutschland ohne Islam besser wäre, obgleich die Westdeutschen deutlich länger Erfahrung mit muslimischen Einwanderern haben. Das weist auf die bekannte Tatsache hin, dass oft die Ängste dort am größten sind, wo man am wenigsten Kontakt mit bestimmten Phänomenen hat.

Quelle 1: Telepolis
Quelle 2:
Umfrage Infratest dimap [PDF - 108 KB]

 
Nur wenige wandern ein
Das Bundesinnenministerium präsentierte gestern Zahlen. Demnach leben in Deutschland derzeit drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Dazu kommen etwa 330 000 Staatsangehörige aus arabischen Staaten, einschließlich Iran. Von den 400 000 Ausländern, die zuletzt jährlich einwanderten, waren maximal 22 000 Türken und 29 000 Araber. Freilich handelt es sich hier zumeist um Fälle von Familiennachzug.
Die Zuwanderung von Fachkräften ist überschaubar. So kamen im vorigen Jahr 2465 IT-Fachkräfte mit ausländischem Hochschulabschluss ins Land; davon waren 30 Türken und 16 Syrer. Hinzu gesellten sich 2418 weitere Fachkräfte mit ausländischem Hochschulabschluss, darunter 137 Syrer, 103 Türken und 49 Ägypter. Eine dritte Gruppe waren 4820 zugewanderte Fachkräfte mit einem deutschen Hochschulabschluss, sprich: junge Ausländer, die in Deutschland studiert haben und bleiben wollen – inklusive 258 Türken.

Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger  (http://www.ksta.de/html/artikel/1286192369936.shtml)

Dazu noch:
Seit 2008 wandern mehr Menschen aus Deutschland aus als ein. Schon seit 2006 ziehen mehr von hier in die Türkei als umgekehrt – in den vergangenen beiden Jahren beträgt der Saldo jeweils etwas mehr als 10 000 Menschen. Unter den Zuzüglern liegen Türken und US-Amerikaner mit je 30 000 auf Platz drei. Davor rangierten 2009 rund 56 000 Rumänen und 123 000 Polen. Und was die Araber angeht: Im vorigen Jahr kamen rund 20 000 Menschen nach Deutschland. Etwas mehr als 11 000 waren Kriegsflüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan. Die dürfen hier allerdings nicht arbeiten. Warum also beschäftigt sich ein deutscher Ministerpräsident mit einem Problem, das keines ist?


Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger  (http://www.ksta.de/html/artikel/1285337967944.shtml)

Deutschland ist ein Auswanderungsland

Sieht man sich die letzten Jahre an, dann ist Deutschland inzwischen ein Auswanderungsland.

 
Nachdem die Tendenz zur Netto-Abwanderung von Deutschen bis vor wenigen Jahren durch Zuwanderung von Ausländern mehr als ausgeglichen wurde, gab es 2008 eine Trendumkehr: Erstmals wanderten auch insgesamt mehr Menschen ab als ein.
Dieser Trend scheint sich zu stabilisieren.

Dass ein wesentliches Problem womöglich bei der Mehrheitsgesellschaft liegt, zeigte vor einem Jahr eine nichtrepräsentative Befragung der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung unter jungen deutschtürkischen Akademikern: 36 Prozent von ihnen sehen ihre Zukunft eher in der Türkei. Mit Deutschland könnten sie sich nicht identifizieren.

 
Es sei eben frustrierend, wenn ein türkischer Akademiker viermal mehr Bewerbungen schreiben müsse als sein deutscher Kommilitone, meinte der Leiter der Studie damals. Da kann auch jenes Jahr knapp werden, das seit 2009 allen ausländischen Uniabsolventen zugestanden wird, um sich einen Job in Deutschland zu suchen. Bisher mussten sie mit dem Examen in der Tasche praktisch sofort zurück.
 
Wo die Angst vor dem Fremden stärker ist als die vor Fachkräftemangel, hat eine engagierte Einwanderungspolitik wenig Chancen. Zu viele ukrainische Ärztinnen oder russische Ingenieure, deren Qualifikation in Deutschland nichts gilt, fahren deshalb Taxi, schrubben Büroräume oder hängen am Tropf des Staates. Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit hatte 2009 jeder vierte Hartz-IV-Empfänger mit Migrationshintergrund einen ausländischen Berufs- oder Hochschulabschluss.
Wichtig wäre vermutlich eine andere "Willkommenskultur".
 
Das Gefühl vieler Migranten, weniger anerkannt zu sein als ethnisch Deutsche – in einer Bertelsmann-Studie sagten dies im vergangenen Jahr 61 Prozent der Deutschtürken –, spiegelt sich in der rasant wachsenden Ablehnung des "Fremden" seitens der Mehrheitsgesellschaft. Ende September, auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte, sagten in einer Allensbach-Umfrage schon mehr als die Hälfte der Deutschen, sie hielten Muslime für eine Last.

Quelle: Zeit  (http://www.zeit.de/politik/2010-10/seehofer-zuwanderung-migranten-faq)

 

Umso weniger "nachvollziehbar", dass die Kanzlerin Seehofer beispringt:

 

Merkel springt Seehofer bei

"Bemerkenswerte Unkenntnis", "unanständig", "brandgefährlich": Die Rettungsversuche des bayerischen Ministerpräsidenten nach Äußerungen über einen Zuwanderungsstopp überzeugen weder Kritiker noch den Koalitionspartner. Die Kanzlerin schon.
Quelle: FR

 
Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist jedem klar, dass die Kanzlerin das Interview von Seehofer nicht selbst liest, aber man sollte doch meinen, die Referenten und ihre Sprecherin schon.  So bleibt es den Bürgern überlassen die kryptische Formulierung, die Darstellung des bayerischen Ministerpräsidenten sei für die Kanzlerin "sehr nachvollziehbar" zu ergänzen, "aber nicht hinnehmbar". Ein Bankeinbruch oder Handtaschenraub kann ja auch "nachvollziehbar" sein.

 

Studie von Christian Pfeiffer: Gemobbt wird immer die Minderheit

Deutsche wollen nicht neben Türken wohnen – viele Türken aber sehr gerne neben deutschen: Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gibt auf die angebliche "Deutschenfeindlichkeit" eine ganz eigene Antwort. Darüber, wer wen und wo mobbt, geben Befragungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) von mehr als 40.000 Viert- und Neuntklässslern aus den Jahren 2007 bis 2009 noch genauer Aufschluss.

 
Tatsächlich steigt mit dem Migrantenanteil das Risiko für deutsche Jugendliche, Opfer von Gewalt oder Mobbing zu werden. Sind mehr als zwei von drei Schülern aus Zuwandererfamilien, wurden 12 Prozent der deutschen Schüler im vergangenen Halbjahr gemobbt.
 
Ist weniger als ein Drittel Migranten in der Klasse, werden nur neun Prozent der Deutschen behelligt. Umgekehrt ist es allerdings genauso – je mehr Deutsche in der Klasse sind, desto größer die Gefahr für Kinder aus Zuwandererfamilien, schlecht behandelt zu werden. "Gemobbt werden die Minderheiten," kommentiert Christian Pfeiffer, Leiter des KFN, "das war schon immer so."

Quelle: FR

Anmerkung unseres Lesers G.K.: In einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung zum selben Thema heißt es darüber hinaus:
"Der KFN-Chef räumte ein, dass auch schlechte Erfahrungen deutscher Jugendlicher mit türkischen Altersgenossen zu diesem negativen Ergebnis beigetragen hätten. (…) Ein Forschungsbericht des Instituts hatte im Juni gezeigt, dass ein Viertel der befragten Nichtdeutschen schon einmal bewusst einen Deutschen beschimpft hatte; 4,7 Prozent hatten schon einmal absichtlich einen Deutschen geschlagen."


Zur Vervollständigung des Bildes wäre von Interesse, wieviel Prozent der Nichtdeutschen schon einmal von einem Deutschen beschimpft oder absichtlich geschlagen wurden.


Weiter heißt es in dem SZ-Beitrag:
"Auch äußerten türkische Realschüler und Gymnasiasten kaum Stereotypen gegenüber Deutschen, erklärte Pfeiffer. `Die sogenannte Deutschenfeindlichkeit von Muslimen ist ein Bildungsproblem.´"
Auch bei der Ausländerfeindlichkeit und speziell der Islamophobie scheint es sich um ein Bildungsproblem zu handeln, denn auch diese sind insbesondere in der Unterschicht vorhanden. Sarrazins Behauptungen stoßen also vor allem bei der Unterschicht auf Resonanz, die er aber genetisch ebenso wie die Muslime für dümmer hält. Die Unterschicht läuft Gefahr, sich von jenem rechten Rattenfänger einspannen zu lassen, der auch ihren eigenen Interessen massiv Schaden zufügt. Sarrazin und Co. setzen auf das uralte Spalterprinzip "Teile und herrsche".

Verdrängte Vielfalt

Vor 100 Jahren fand der erste "Deutsche Soziologentag" statt. Doch statt über Klassenfragen redete die junge Zunft über Rassentheorien. Die Rassentheorie diente dazu, von der Klassenfrage abzulenken und sie durch die Frage nach dem Volk und dem "Volkskörper" zu ersetzen.

 
Dies wurde durch Sombart spätestens auf dem Zweiten Soziologentag 1912 unverblümt ausgesprochen: "Aber wir wollen doch nicht das große augenblickliche Verdienst der Rassentheorie unterschätzen, dass sie uns von der Alleinherrschaft der materialistischen Geschichtsauffassung befreit, uns endlich wieder einen neuen Gesichtspunkt gegeben hat." Im Vergleich zur frühen amerikanischen Soziologie widmete sich die deutsche Soziologie kaum den Fragen nach Ethnizität und Nation. Und die Sozialisten wiederum waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, obsessiv internationalistisch orientiert und nicht in der Lage, die Bedeutung ethnonationaler Identitäten zu erkennen.
 
Die deutsche Soziologie war somit völlig unvorbereitet auf die nationale Raserei, die mit Beginn des Ersten Weltkrieges losbrach, und auf den wachsenden Antisemitismus und das Aufkommen des Faschismus danach. Selbst noch Jahrzehnte nach 1945 war sie nicht in der Lage, sich mit Migration und Ethnizität zu beschäftigen: Es fand sich keine intellektuelle Tradition, auf die sie hätte aufbauen können.

Heute kehren kulturalisierte Rasse-Ideen in die Debatte zurück, die Klassenlage jenseits des Kopftuchs wird dabei wieder unter den Teppich gekehrt. Wenig Fortschritt also seit 1910.
Quelle: taz

 

Wien Bürgermeisterwahl: Talent zur Angstmache

Allein auf Integration setzen, die eigene Klientel hysterisieren und keinerlei Angriffsflächen bieten: Die FPÖ feiert in Wien Triumphe, weil sie Hass schürt – und die Sozialdemokraten müde sind. Man muss damit rechnen, dass sich Heinz-Christian Strache für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) als ein noch größeres politisches Talent erweist als sein toter Mentor Jörg Haider.

 
Ein mäßiger Rethor, eher aufgeregt als charismatisch, ist er ein stetiger, zäher Arbeiter am Bindungsgeflecht zur eigenen Klientel. Strache schickt sich an, die FPÖ zu dem zu machen, was Haider gerne erreicht hätte: zur neuen Arbeiterpartei Österreichs.
 
Die Wahl in der Hauptstadt Wien am Sonntag belegt dies eindrucksvoll. In den tiefrot geprägten Arbeiterbezirken haben die Sozialdemokraten immens an die FPÖ verloren, die mancherorts auf über 30 Prozent kam.
 
Österreich hat keine linke Opposition, keine linke Alternative. Also laden Frust, Irritation, Angst ausschließlich die äußerste Rechte auf. Als Rapsode des Hasses schreckte Straches FPÖ nicht einmal davor zurück, in einem Wahl-Comic den rassisch untadeligen blond-blauäugigen Arierbuben dazu anzuhalten, dem dunklen "Mustafa" eins mit der Steinschleuder draufzubrennen. Taktisch klug hat sich die FPÖ allein auf das Ausländer-, das Integrationsthema geworfen, hat ihre Klientel hysterisiert und keinerlei andere Angriffsflächen geboten.

Quelle: SZ

Anmerkung Orlando Pascheit: Was für ein Glück, dass wir über solche Talente nicht verfügen. Allerdings, gesät wird viel, es fehlt nur der, der erntet.



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