Dienstag, 26. Oktober 2010

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Aufschwung oder Strohfeuer

(Nachdenkseiten)

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  1. Wirtschaft in Champagnerlaune
    Euphorie wohin man schaut in Deutschlands Wirtschaft: Die Unternehmen wollen dank des Booms in den kommenden zwölf Monaten kräftig einstellen. Die Regierung hebt ihre Wachstumsprognose deutlich an, und der Einzelhandel ist so glücklich wie seit 20 Jahren nicht. (…) Gute Geschäfte melden Hotels, Gaststätten und Reiseveranstalter. Die Gewissheit, dass der eigene Job sicher ist und demnächst höhere Löhnen winken, führt dazu, dass beim Verbraucher das Geld locker sitzt.
    Quelle:
Stern

Anmerkung unseres Lesers G.K.: Bis zum Überdruss und darüber hinaus wird das mediale Lied vom "Wirtschaftswunder" und "Jobwunder" gesungen. Der Einzelhandel "boomt"? Im Zeitraum Januar bis August 2010 ist der reale Einzelhandelsumsatz im Vergleich zum Vorjahr gerade einmal um 0,9% angestiegen, nachdem er im Jahre 2009 um 2,5% eingebrochen war. Hätten sich die übrigen Komponenten des Bruttoinlandsprodukts in den vergangenen 10 Jahren so schlecht entwickelt wie der Einzelhandelsumsatz sowie der gesamte Private Verbrauch, dann wäre selbst die massiv geschönte offizielle Arbeitslosenzahl von rund 3 Millionen deutlich höher.
Ein anschauliches Beispiel für die auch vom Stern betriebene Schönfärberei der Wirtschaftslage liefert dessen Behauptung, die Gaststätten meldeten gute Geschäfte. Der hier zitierte Stern-Artikel wurde am 20. Oktober veröffentlicht. Fünf Tage zuvor, am 15. Oktober, meldete das Statistische Bundesamt zur Entwicklung des Gastgewerbeumsatzes des Monats August 2010: "Gastgewerbeumsatz August 2010 real 2,7% niedriger als im August 2009″. Für den Zeitraum Januar bis August 2010 heißt es in dieser Mitteilung: "Von Januar bis August 2010 setzte das Gastgewerbe insgesamt in Deutschland nominal 1,7% mehr, real aber 1,1% weniger um als im entsprechenden Vorjahreszeitraum."
Quelle:

Statistisches Bundesamt
Von angeblich "guten Geschäften" der Gaststätten also keine Spur!
Die Überschrift des Stern-Beitrages ("…mehr Gehalt") suggeriert, für die Arbeitnehmer stünde ein kräftiger Anstieg der Löhne und Gehälter ins Haus. Aus dem Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute lässt sich jedoch entnehmen, dass die realen Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im kommenden Jahr nur minimal um 0,4% ansteigen werden. "Kräftige Lohnerhöhungen", wie sie von nahezu allen Medien behauptet werden, sehen anders aus.
  • Ulrike Herrmann: Irgendetwas vielleicht richtig gemacht
    Noch im Frühjahr ging die Regierung davon aus, dass die Wirtschaft im Jahr 2010 nur um 1,4 Prozent wachsen werde. Tatsächlich scheint auch Brüderle ein wenig ratlos zu sein, warum Schwarz-Gelb mit diesem starken Aufschwung gesegnet wurde. "Irgendetwas haben wir richtig gemacht", kommentierte er etwas hilflos, als er am Donnerstag die Regierungsprognose vorstellte. Dieser Satz von Brüderle ist zwar vage, aber treffend. Tatsächlich hat die Bundesregierung kaum Wirtschaftspolitik betrieben – und sich auf konzeptlose Klientelpolitik beschränkt. Schon der Koalitionsvertrag war verräterisch. Das Kapitel "Der Weg aus der Krise" stand zwar ganz vorn – umfasste aber nur 4 der insgesamt 132 Seiten. Zudem war dort kein klares Konzept zu finden, sondern nur eine bunte Ansammlung der diversen Lieblingsthemen aus beiden Parteien.
    Die Statistik spricht jedoch nicht dafür, dass es diese Politik war, die den Aufschwung ausgelöst hat. Stattdessen ist vor allem die Nachfrage aus dem Ausland gestiegen. So legte der Export im August 2010 um 28,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert zu. Für die Firmen erfreulich: Sie werden von ihren Profiten weniger versteuern müssen. Denn von der Öffentlichkeit kaum bemerkt wurde zu Jahresbeginn mit dem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" auch die Besteuerung von Unternehmen verändert. Für Betriebe ist es nun noch einfacher, ihre Gewinne ins Ausland zu verschieben. Das technische Wort heißt "Funktionsverlagerung". Jetzt kann zum Beispiel eine Entwicklungsabteilung über die Grenze verlagert werden, kurz bevor das Patent angemeldet wird. Die Forschungskosten werden zwar weiterhin bei den hiesigen Finanzämtern geltend gemacht – aber der Profit fällt dann offiziell im Ausland an. Der SPD-Finanzexperte Lothar Binding schätzt, dass allein dieses Steuergeschenk 2,5 Milliarden Euro in die Kassen der deutschen Unternehmen spült.
    Quelle:
  • taz
  • Michael Schlecht: Aufschwung XL oder Strohfeuer?
    Wirtschaftsminister Brüderle redet vom "XL-Boom" und jubelt: "Der Aufschwung ist da, und zwar mit voller Kraft." Und BILD feiert den "Germany Superstar". Sicher, kaum ein entwickeltes Industrieland hatte im ersten halben Jahr ein so hohes Wachstum wie Deutschland. Und es wäre schön, wenn es so weiter ginge.
    Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland 2009 wie kaum ein anderes vergleichbares Land mit minus 4,7 Prozent beim Wirtschaftswachstum eingebrochen war. Mit dem jetzigen Wachstum ist das Produktionsniveau von 2008 noch nicht wieder erreicht. Die entscheidende Frage ist, ob die starke Erholung im ersten halben Jahr nur ein konjunkturelles Strohfeuer, oder der Startschuss für langfristig höhere Wachstumsraten war. Die Regierung geht von letzterem aus. Sie hat das Ende der Krise ausgerufen und will spätestens zum 1. Januar 2011 aus den konjunkturstützenden Maßnahmen aussteigen.

    Mit einem Anteil von 61 % gehen die deutschen Exporte in die EU.

    Deutsche Exporte

    Doch Europa spart sich in die Krise:

    Europa spart in der Krise

    Der private Konsum hat seit 2002 im Durchschnitt nur 0,1 Prozentpunkte Wachstumsbeiträge erbracht. Deshalb erfordert eine Stärkung des privaten Konsums weit mehr, als jetzt von Brüderle und Co. angedacht.

    Wachstumsbeiträge

    Das deutsche Lohndumping hat einen Namen: Agenda 2010 mit Befristungen, Lohndumping, Minijobs und Hartz IV. So wurde nicht nur der Sozialstaat mit Füßen getreten, sondern die Unternehmer erhielten auch eine Streitaxt zur Eroberung ausländischer Märkte.

    Lohnstückkosten

    Quelle:

  • Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Bundestagsfraktion DIE LINKE (dort Download)



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