Donnerstag, 19. August 2010

Neue Diagnosemethoden für Online-Rollenspielsucht [idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Dr. Victoria Meinschäfer,
18.08.2010 11:14

Neue Diagnosemethoden für Online-Rollenspielsucht

Das Thema "Online-Rollenspielsucht" ist noch relativ neu und weitgehend
unerforscht. Das Fehlen einer standardisierten Diagnostik führte bisher zu
uneinheitlichen und oft zu hohen Schätzungen bezüglich der Anzahl
betroffener Spieler. Psychologen der Heinrich-Heine Universität
beschäftigen sich nun mit dem besonderen Suchtpotenzial dieser Art von
Computerspielen. Am Lehrstuhl für Klinische Psychologie von Prof. Dr.
Reinhard Pietrowsky haben sie einen Fragebogen zur Diagnostik von Online-
Rollenspiel-Sucht entwickelt.

Ritter, Hexer, Elfen, Zwerge – die bunten, meist mittelalterlich
inspirierten Fantasiegestalten sind spätestens seit Tolkiens Megaseller
"Der Herr der Ringe" nicht bloß etwas für Kinderbücher. Auch in der
Landschaft der Computerspiele sind sie fest etabliert. "World of
Warcraft", das wohl bekannteste Online-Rollenspiel, hat heute schon
weltweit über zehn Millionen Nutzer zu verzeichnen.

Es sind größtenteils junge Männer über 20, die den märchenhaften

Fantasiewelten im Comicstil erliegen.

 

Sie sitzen Stunde um Stunde vor ihrem Computer, erkunden
virtuelle Traumlandschaften oder kämpfen gegen finstere Monster.
Neben einem großen Unterhaltungswert bergen die Spiele aber auch Risiken:
Online-Rollenspiele machen süchtig, so heißt es. Und die in den Medien
kursierenden Zahlen angeblich Betroffener sind erschreckend hoch.

 

Diese neue Form der Suchtkrankheit ist noch weitgehend unerforscht, erste
Studien kommen aber auf Werte, nach denen bis zu 20 Prozent der Spieler
abhängig sind.

Das liegt laut Frank Meyer, Diplom-Psychologe am Lehrstuhl für Klinische
Psychologie, allerdings hauptsächlich an der noch sehr ungenauen
Diagnostik: "Unter Internet- oder Computerspielsucht wird erst einmal
alles gefasst. Dabei müssen Online-Rollenspiele gesondert untersucht
werden." Es sind nämlich gerade ihre Besonderheiten gegenüber anderen
Computerspielen, die ihr Suchtrisiko ausmachen.

Zwei wesentliche Merkmale dieser so genannten "Massive Multiplayer Online
Role- Playing Games" (MMORPGs) erhöhen die Gefahr der Abhängigkeit. Zum
einen sind diese Spiele äußerst sozial angelegt. "Was aus meiner Sicht das
Suchtpotential ausmacht, ist die Verbindung  der Eigenschaften klassischer
Computerspiele mit der sozialen Funktion des Internets", erklärt Meyer.
Während der Nutzer klassischer Computerspiele meist allein oder in kleinen
Gruppen spielt, umfasst die Spielergemeinschaft hier Millionen. Und nicht
nur das: Anstatt lediglich gegeneinander anzutreten, werden Zusammenarbeit
und Hilfsbereitschaft sofort belohnt.

Das ermöglicht nicht nur die Kontaktaufnahme, wie es zum Beispiel beim
Chat der Fall ist, es befördert sie sogar. In der virtuellen Welt des
Computerspieles begegnen sich die Mitspieler, sprechen sich an und helfen
sich. Die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme ist so strukturell bedingt
niedrig. Der Nutzer lernt schnell andere Spieler kennen und wird auf
diesem Weg in ein soziales Netz eingebunden. Es entstehen Verpflichtungen
nach dem "Hilfst Du mir, helfe ich Dir"-Prinzip.

Die Nutzer dieser Online-Rollenspiele sind oft in festen Gemeinschaften
organisiert. Mehrere Spieler schließen sich zu einer so genannten "Gilde"
zusammen, um mit gegenseitiger Hilfe schneller im Spiel aufzusteigen. Eben
diese Gruppenstruktur erhöht auch den sozialen Druck, regelmäßig am Spiel
teilzunehmen.

Denn das zweite wichtige Merkmal, das das Suchtpotential steigert, ist die
auf Dauer angelegte Beschaffenheit von Spielfigur und -welt. Prinzipiell
gibt es kein Ende des Spiels, weder durch einen endgültigen Sieg, noch
durch ein klassisches Game Over. Es läuft immer weiter, auch wenn der
Spieler gerade nicht teilnimmt. In der Zeit sind andere Nutzer aktiv und
verändern die Spielsituation. Das kann die Angst auslösen, den Anschluss
zu verpassen und so das massive Spielen befördern.

In der Suchtdiagnostik finden diese Besonderheiten der Online-Rollenspiele
bisher kaum Berücksichtigung: "Hier werden Kriterien herangezogen, die der
Diagnosepraxis für andere Abhängigkeiten, wie zum Beispiel dem
Alkoholismus, entstammen. Doch ist die Übertragung sehr schwierig und
wurde in der Vergangenheit von Psychologen und Spielern zu Recht
kritisiert. Es ist nicht das gleiche, ob ich zehn Stunden spiele oder zehn
Stunden Bier trinke", erklärt Meyer das Problem. Genau das hat das Team
von Prof. Pietrowsky zum Anlass genommen und einen Fragebogen speziell zur
Diagnostik von Internet-Rollenspiel-Sucht entwickelt.

Dafür wurden alle bisher gängigen Diagnosekriterien zusammengestellt und
weitere hinzugefügt, die die Wissenschaftler aus Befragungen von
Onlinespielnutzern gewonnen haben. "Was die Merkmale der Spiele angeht,
sind die Spieler die Experten, nicht wir", stellt Meyer fest. "Unser
Fragebogen deckt viele verschiedene Inhalte ab. Das ermöglicht uns eine
sehr breite Messung von Suchtfaktoren", bewertet er  Den neuen Fragebogen
gibt es mittlerweile nicht mehr nur auf deutsch, sondern zusätzlich auf
englisch, spanisch, russisch und neuerdings auch auf chinesisch.

Das wichtigste Ziel ist aber nicht die Diagnostik, sondern die Hilfe für
die Betroffenen.

Hier wird künftig auf zwei Ebenen vorgegangen. Nicht nur die unter
Abhängigkeit leidenden Spieler sollen erreicht werden, sondern auch die
praktizierenden Psychologen. Sie erhalten zum einen mit dem Fragebogen ein
Diagnosewerkzeug, werden zum anderen aber auch ausreichend geschult, um
derartige Suchterkrankungen therapieren zu können. "Ich denke, dass im
Grunde die gleichen Maßnahmen angewendet werden können wie beispielsweise
bei klassischer Spielsucht. Nur muss dabei einiges berücksichtigt werden",
erläutert Meyer. "Zum Beispiel gibt es bei dieser Art von Onlinespielen
verschiedene Nutzungsmotive. Sucht ein Spieler vor allem eine gewissen
Nervenkitzel für sein Leben oder Anerkennung, sollte man anders vorgehen
als bei jemandem, für den die sozialen Aspekte des Spiels besonders
wichtig sind."

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu anderen Suchtkrankheiten besteht
in der Hartnäckigkeit, mit der die positiven Anreize zum Spielen einladen.
Selbst bei einer Abhängigkeit mit akutem Leidensdruck bleiben die
positiven Verstärker nahezu unverändert erhalten. Bei anderen
Abhängigkeiten nimmt das Leiden meist mit der Zeit zu, während die
positiven Effekte aufgrund von Toleranzentwicklung stetig nachlassen. "Für
Online-Rollenspiele scheint dies nicht zu gelten, da sie ständig um neue
Anreize erweitert werden und auch das soziale Netzwerk der Spieler für
Betroffene weiterhin erfahrbar bleibt.

Von der Verteufelung der Spiele, wie sie derzeit stattfindet, hält Meyer
nichts: "Das läuft genau dem zuwider, was wir eigentlich erreichen wollen.
So schrecken wir die Spieler ab, anstatt Zugang zu ihnen zu bekommen. Um
ihnen helfen zu können, ist es wichtig, die Betroffenen und ihre
Begeisterung für das Spiel zu verstehen."

Kontakt:
Dipl.-Psych. Frank Meyer 0211- 81-12275

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsprojekte

Sachgebiete:
Medien- und Kommunikationswissenschaften
Pädagogik / Bildung
Psychologie

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news382903

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution223

Posted via email from 01159 Dresden Löbtau-Süd und Umgebung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen