Samstag, 17. Juli 2010

Wenn man mitmachen muss, wird es unerträglich" Sven Regener über den Chauvinismus von Fußballfans


"Wenn man mitmachen muss, wird es unerträglich"

Der Autor und Sänger Sven Regener über den Chauvinismus von Fußballfans,

seine Angst vor Menschenmassen und eine Radtour während des WM-Endspiels 1974

(Potsdamer Neueste Nachrichten - 10-07-10 - Seite 25)


Sven Regener, ich habe Sie in Verdacht, dass Sie gar kein echter Fußball-Fan sind. Haben Sie ein Alibi?

Vielleicht spüren Sie, dass ich früher immer gegen Fußball war. Weil alle dafür waren. Bei den großen Turnieren waren die ganzen Dödel, die man so kannte, durchweg für die deutsche Mannschaft. Ich fand das unfair. Das ist doch auch irgendwo parteiisch, so ein krudes Sportverständnis.

Es ist Ihnen also egal, wer gewinnt?

Das Finale der Weltmeisterschaft 1974 war mir so egal, dass ich viel lieber der Frage nachgegangen bin, ob wohl irgendjemand während des Endspiels auf der Autobahn unterwegs sein würde. Ich bin also in Bremen-Ost mit dem Fahrrad auf die Autobahn gefahren – sie war leer! Erst nach zehn Minuten kam ein Auto vorbei – mit drei alten Omas drin (lacht). Irgendwann habe ich dann Rast gemacht bei einem Außer-Haus-Verkauf, wo natürlich auch Fußball lief, es war gerade Halbzeit. Da kam ein Typ rein, kaufte Bier und grummelte vor sich hin: "Jetzt muss aber mal was passieren! Was für eine Scheiße!" Ich dachte nur, oh, wie schön, die Holländer gewinnen – und als ich wieder zu Hause ankam, waren die Deutschen Weltmeister.

Wie haben Sie WM 1990 erlebt?

Damals dachte ich noch, mein Gott, dieser ganze Chauvinismus. Aber die Anderen sind doch genauso schlimm – es ist ja nicht so, dass die Argentinier, Holländer oder Italiener keine gnadenlos miesen Chauvinisten sind, wenn es um solche Sachen wie Fußball geht. Man muss da auch endlich mal mit sich ins Reine kommen: Die Deutschen sind gar nicht böser als die Anderen.

Diese Einsicht kam Ihnen wohl spätestens 2006 während des Sommermärchens.

2006 fand ich ganz okay. Das Problem ist ja: Erst wenn man da mitmachen muss, wird es unerträglich. Wenn man das Gefühl hat, jetzt wird es bedrohlich. Wenn man auf die Schnauze kriegt, weil man nicht dafür ist. Das ist eine Frage der persönlichen Neigung – die meisten Fußballfans haben augenscheinlich ihren Spaß daran. Ich persönlich gehe aber nicht ins Stadion. Das würde ich nie machen, da sind mir einfach viel zu viele Leute.

Moment! Sie gehen nicht mal ins Stadion?

Ich war mal bei den Reinickendorfer Füchsen gegen den MSV Duisburg, einem Relegationsspiel um den Aufstieg in die 2. Liga, 1989. Wir haben damals im Stadion die Fotosession zu unserem Album "Jimmy" gemacht. Und dann war ich noch einmal beim Spiel St. Pauli gegen Bielefeld. Und da muss ich ehrlich sagen, das brauche ich nicht, schön ist was anderes. Das hat mir damals für mein Leben gereicht.

Sie gehören also nicht zu denen, die sich nach früher sehnen und gern wieder in der Betonschüssel Fußball gucken würden.

Ich sehe den Fußball in den Amateurniederungen durchaus als Alternative zum Hochglanz. Ich wohne in der Nähe vom Jahn-Sportpark, da wird jeden Samstag Fußball gespielt, es wird noch geschwitzt und gebrüllt: "Ich haue dir auf die Schnauze, du Arschloch, gib doch mal ab!" Das kann man alles haben, wenn man auf solch einen Umgangston steht. Aber ich geh' nicht hin. Da sind mir einfach zu viele Menschen.

Scheuen Sie die Massen denn auch bei Konzerten mit Ihrer Band Element of Crime?

Das sollten weder die Fans in den Fußballstadion persönlich nehmen noch die bei Konzerten. Ich stehe immer hinten – in der Nähe vom Notausgang. Wahrscheinlich eine leichte klaustrophobe Neurose, nichts Schlimmes, keine Panikattacken, einfach ein leichter Dachschaden, den ich habe.

Ist Ihre Rolle angesichts der vielen Fans, die bei einem Konzert etwas von Ihnen erwarten, vergleichbar mit der eines Fußballers?

Der Unterschied ist: Wir können nicht verlieren. Beim Fußball geht man entweder als Gewinner oder Verlierer vom Platz. Wenn wir uns als Band nicht allzu doof anstellen, kann uns nicht viel passieren. Wir gewinnen immer – davon kann Joachim Löw nur träumen.

Gibt es denn auch Gemeinsamkeiten zwischen Löws Job und Ihrem?

Die Faszination für Fußball und für Musik ist letztlich unerklärlich. Warum schaut man Männern zu, die einen Ball zwischen zwei Stangen treten? Warum hört man dasselbe Lied hundert Mal?

Während man sich über seinen Musikgeschmack von anderen abgrenzt, sucht man beim Fußball eher die integrative Kraft der Masse – in der Begeisterung, im Torschrei.

Ich glaube zwar nicht, dass man bei einem WM-Finale heute noch mit dem Fahrrad auf der Autobahn fahren könnte (lacht). Aber es stimmt: Menschen, die werktags völlig unterschiedliche Situationen vorfinden, sind sich plötzlich einig, sie jubeln gemeinsam. Aber sagen Sie, lebt Pico Schütz eigentlich noch?

Ja. Wie kommen Sie denn jetzt auf den?

Sorry, ich habe parallel an früher gedacht. Pico war doch 1965 in der Meisterelf von Werder Bremen! Und er wohnte bei uns um die Ecke! "Mensch, Pico, gut gespielt!", haben wir immer gerufen.

War das die gute, alte Zeit, von der immer alle reden: Pico Schütz am Gartenzaun?

Es gab ja keinen Gartenzaun, das war im Neubauviertel. Wenn es wenigstens einen Gartenzaun gegeben hätte!

Dann wäre es die gute, alte Zeit gewesen.

Ach, die hatte auch ihre Nachteile. Ich würde Pico gönnen, dass er so viel Geld verdient hätte wie Cristiano Ronaldo. Aber man kann die Zahnpasta nicht in die Tube zurück stopfen.

Das Gespräch führten Andreas Bock und Dirk Gieselmann.

http://www.pnn.de/fussball-wm/308931/


Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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