Dienstag, 27. Juli 2010

Die Initiative "Aufbruch - Anders besser leben" ist ein offenes Netzwerk, das Menschen ermutigen will ... (Kurskontakte 164)

 

"Zu Hause ist dort, wo man verstanden wird"

Wolfram Nolte sprach mit Franziska Heimrath über die Gruppe "Anders  besser leben" in München.

Die Initiative "Aufbruch – Anders besser leben" ist ein offenes Netzwerk, das Menschen ermutigen will, gemeinsam mit anderen konkrete Schritte in eine zukunftsfähige Lebensweise zu gehen. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 haben sich bereits in mehr als zwanzig Städten Aufbruch-Gruppen gebildet. Franziska Heimrath erzählt von dem vielfältigen Leben der Münchener Gruppe.

Wolfram Nolte: Franziska, du engagierst dich in der Münchener Gruppe der Initiative "Anders besser leben". Wie lange gibt es die Gruppe und wie setzt sie sich zusammen?
Franziska Heimrath: Im April haben wir unseren fünften Geburtstag gefeiert. Mittlerweile hat sich ein fester Kreis von zwölf Frauen und Männern herausgebildet, sehr altersgemischt, und auch sonst sehr verschieden. Wir wohnen in München oder im nahen Umfeld, in alle Richtungen verstreut, bis zu 45 Kilometer auseinander, einige allein oder mit Familie oder Lebenspartner. Eine von uns interessiert sich für eine Lebensgemeinschaft, die sich gerade bildet.

● Was sind deine Beweggründe, bei dieser Gruppe mitzumachen?

Unsere Beweggründe, in die Gruppe zu kommen sind natürlich unterschiedlich. Gemeinsam ist uns der tiefe Wunsch, zu einer Veränderung der Welt beizutragen, um auch künftigen Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Wir sehen auf diesem Weg an erster Stelle die Veränderung des persönlichen Lebensstils in Richtung einer nachhaltigen Lebensweise.
Auf diesem Weg unterstützen wir uns gegenseitig, dabei ist uns aber die Eigenverantwortung wichtig. Jeder entscheidet selbst, wann er was verändert, es gibt kein Muss und Soll. Jeder Weg wird respektiert. Es geht auch nicht um leidvollen Verzicht, sondern wir machen die Erfahrung, dass es genussvoll sein kann, den eigenen Lebensstil "vom viel Haben zu mehr Sein" hin zu entwickeln.
Ich persönlich hatte schon immer Interesse an neuen Wegen, weil ich mich schnell eingeengt fühle von Zwängen und Regeln, die nicht nachvollziehbar sind. Außerdem bin ich Idealistin und strebe nach Gerechtigkeit. Und etwas Neues entwickeln ist auch sehr spannend!

● Was kann man sich unter "mehr Sein" vorstellen?

Mehr Wissen über mich, über die tiefen Zusammenhänge dieser Welt, auch mehr Zufriedenheit, Erfüllung. In unseren monatlichen Treffen haben wir dazu viele Themen diskutiert, Informationen erarbeitet und ausgetauscht, z. B. Ökostrom und Energiesparen, Elektrosmog, Kleidung, fairer Konsum, Resteverwertung, ethische Geldanlagen, einfach weniger verbrauchen und mehr Zeit für andere haben.
Aber Information ist nicht unser vorrangiges Interesse, das Wissen ist nicht das Wesentliche, sonst hätte sich vielleicht bisher schon mehr verändert auf dieser Welt. Die spannenderen Themen, die vielleicht auch mehr verändern, weil sie nicht nur im Kopf bewegt werden, lauten z. B.: Gewaltfreie Kommunikation, Krisen, Tod, Rituale, Spiritualität (bei uns insbesondere die Beschäftigung mit Buddhismus und Tiefenökologie) oder Entwicklung der persönlichen krea­tiven Fähigkeiten. In dieser Richtung liegt "mehr Sein".

● Gibt es eine Gruppenleitung?

Es gibt keine hierarchische Struktur, keine Gruppenleitung. In der Moderation der Abende und in der Vorbereitung wechseln wir uns ab. Jeder bringt ein, was er zeitlich und inhaltlich geben kann. Und wer denkt, so ein informativer Abend sei trocken, der kennt die Spiele nicht, die dabei schon erfunden wurden!

● Was für Spiele?

Wir sind eine kreative Gruppe, wir singen, tanzen, spielen. Wir haben Ralf, der Gitarre spielt und schöne Lieder erfindet, Maria, die Spiele auch zu trockenen Themen kreiert, Barbara und andere, die Tänze anleiten. Wir genießen die Vielfalt der unterschiedlichen Eigenarten und die vielen Ideen von uns allen. Wir feiern mit allem, was dazugehört, machen auch mal Ausflüge, gehen ein Wochenende zusammen auf eine Berghütte. In einem feierlichen Ritual haben wir einen Baum gepflanzt, mitten in München, eine kleine Ulme. Auch die Vorbereitungs-Teams haben oft viel Spaß miteinander.
Der Höhepunkt unseres Festes zum 5. Geburtstag war z. B. der "Retten-Rap", eine Persiflage auf die Ideale, die Welt retten zu wollen, das war bühnenreif! Also auch Humor ist wichtig.

● Was ist dir sonst noch wichtig an eurem Gruppenleben?

Gerade die achtsame Kommunikation, die wir in der Gruppe pflegen, ist etwas Besonderes und äußerst wohltuend. Es gibt einen Redestein, der rundum wandert, d. h. jeder kommt zu Wort. Wer spricht, hat die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, jeder spricht von sich, es gibt keine wertenden Kommentare. Auf diese Weise entsteht schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre voller Tiefe und Verbundenheit und gegenseitiger Achtung. Es war so auch nie schwierig, z. B. bei der Planung von Aktionen einen Konsens zu finden. An diese Art des Austauschs sind wir schon so gewöhnt, dass der Unterschied zur Kommunikation in anderen Gruppen oder Teams uns oft überrascht.

● Was hält eure Gruppe zusammen?

Für viele in der Gruppe ist es wichtig, Gleichgesinnte zu haben, nicht nur, damit wir uns gegenseitig unterstützen, um unser eigenes Verhalten zu ändern, sondern um mal nicht den alternativen Exoten abgeben zu müssen. Das ist eine Rolle, die im Alltag oft anstrengend ist. Um es mit Christian Morgenstern zu sagen: "Nicht da ist man zu Hause, wo man seine Wohnung hat, sondern da, wo man verstanden wird".
Es gibt auch bei einigen den tiefen Wunsch nach einer alternativen Lebensgemeinschaft. Wir sind als eine "Teilzeit-Lebensgemeinschaft" durchaus eine Alternative zum Ausstieg, den es beispielsweise bedeuten würde, in ein Ökodorf zu gehen, und damit viel Vertrautes hinter sich zu lassen. In der Gruppe leben wir Gemeinschaft, jeder von seinem Wohnort aus, eingebunden ins bisherige Berufs- und Privatleben. Bei so viel Nähe entstehen auch Netzwerke untereinander, da helfen wir uns z. B. auch im Garten oder beim Umzug.
Gerade diese Verbindung kann sehr fruchtbar werden, weil unsere persönlichen Veränderungen so auch von anderen gesehen werden. Das ist Außenwirkung ganz ohne Aktionen, Info-Stände etc. – Vorbildfunktion versus Missionierung!

● Seid ihr also nicht nur auf eure Gruppe konzentriert?

Nein, natürlich nicht. Auch zu anderen Organisationen oder Initiativen gibt es Verbindungen: gemeinsame Aktionen, Flohmärkte, Info-Stände. Wir nehmen auch am europäischen UN-Dekade-Projekt MOOSE (Models of Sustainability Education) teil, zusammen mit SOL (Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil/Österreich), ecolnet (Südtirol) und einer Agenda 21-Gruppe aus Kalabrien. Besonders mit SOL verbindet uns viel. Gerade komme ich aus Wien, wo wir das 30-jährige Bestehen von SOL gefeiert haben. Dabei haben wir auch schon wieder über neue gemeinsame Projekte nachgedacht.
Eine wichtige Verbindung gibt es auch zur Tiefenökologie, wie Joanna Macy sie lehrt und praktiziert. Einige von uns habe die "Grande Dame" der Tiefenökologie schon persönlich erlebt und haben sich von ihrer Begeisterung anstecken lassen. Besonders wichtig sind uns ihre Spiele und Rituale oder auch die Übungen zur Verarbeitung von Gefühlen, besonders der Verzweiflung über den gegenwärtigen Zustand unserer Erde.
Ein Ritual verbindet uns besonders mit ihr und vielen anderen Menschen auf der Welt. Es entstand bei einem Besuch von Joanna Macy bei den Menschen in Nowosybkow, die vom Fallout nach dem Unglück in Tschernobyl besonders betroffen waren. Sie tanzte mit ihnen den Ulmen-Tanz (ein Bachblüten-Tanz von Anastasia Geng), der ihnen das Vertrauen zueinander und zum Leben zurückgab. Jetzt ist daraus ein weltumspannendes Ritual entstanden, und auf der ganzen Welt tanzen Menschen diesen Tanz an jedem Vollmond um 20 Uhr in Erinnerung an die Betroffenen von Nowosybkow, an ihr Leiden und das Leiden aller Geschöpfe sowie für das Vertrauen in die gemeinsame Kraft. So verbinden wir uns seelisch regelmäßig auch mit Menschen, die wir gar nicht persönlich kennen. Und wir können so spüren, dass an vielen Orten der Erde Menschen in unserem Sinn agieren.

Franziska Heimrath (53) hat drei erwachsene Kinder, lehrt an einer Berufsfachschule, tanzt und musiziert gerne, engagiert sich für Familienarbeit und lernt gerne etwas Neues, z.B. gerade eine ganzheitliche Körperarbeit.

Posted via email from 01159 Dresden Löbtau-Süd und Umgebung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen