Donnerstag, 24. Juni 2010

Satt, sauber, still? - Arbeit in der Pflege (Gottes Wort im Kirchenjahr)


 


Kirche und Arbeitswelt

Satt, sauber, still? - Arbeit in der Pflege

(Gottes Wort im Kirchenjahr 2003; Lesejahr B, Band 3, Echter Verlag)


Lesung:

Jak 5,14-15; Evangelium: Lk 10,25-37

Die Pflege - sowohl die häusliche und ambulante als auch die stationäre - ist ins Gerede gekommen: »Satt, sauber, still«! Mehr sei leider nicht mehr drin, hört man Leute aus den Pflegediensten klagen. Abgerechnet wird nach vorgegebenen Leistungs-Modulen, die peinlich genau zu dokumentieren sind. Keine Zeit für ein aufmunterndes Wort oder menschliche Zuwendung. »Für eine Streicheleinheit gibt´s kein Modul«, meint sarkastisch eine Altenpflegerin. Den Pflegenden macht ein gewaltiger Zeit- und Kostendruck zu schaffen, seitdem das Gesundheitswesen marktwirtschaftlich organisiert ist und bei den Versicherungen »Milliardenlöcher« klaffen. Pflegekräfte wechseln häufig die Stelle oder gar den Beruf - kein gutes Zeichen! Viele sind oder fühlen sich krank. Der Druck führt zu Konflikten untereinander und Mobbing am Arbeitsplatz.

Solche Signale lassen bei der Kirche gleich drei Alarmsirenen schrillen:

- Krankheit, Alter, überhaupt Pflegebedürftigkeit sind Ernstfall menschlichen Lebens. Sie verlangen ganzheitliche Zuwendung und nicht nur Behandlung körperlicher Symptome. Kranke und Alte sollten durch die Pflegenden Gottes Ja zum Menschen auch im Leiden erfahren dürfen. Heilung ist das Ziel, das bedeutet nicht selten Neuorientierung, Korrektur des bisherigen Lebensentwurfs, »Bekehrung« und Mobilisierung aller eigenen (Abwehr-)Kräfte. Das bedarf der Unterstützung durch Medizin, Pflege und Seelsorge gleichermaßen. Erst recht gilt dies für die »Endstation«, die Sterbebegleitung.

- Kirche ist Anwältin der menschlichen Arbeit. Auf dem Hintergrund ihrer Arbeitsethik kann sie nicht einfach zulassen, dass Arbeitende an ihrer Arbeit zerbrechen, zerrieben werden im reinen Wirtschaftlichkeitsdenken, jede Arbeitszufriedenheit verlieren und sich gar selbst noch durch Mobbing zerreiben - und dies ausgerechnet im hochsensiblen Bereich der Pflege, wo es um Menschen und nicht um Maschinen geht.

- Die Kirche ist als eine der größten Anbieterinnen von Pflege selbst Teil des Systems. Das erhöht die Brisanz. Sie muss dem »Pflegenotstand« in ihren eigenen Einrichtungen also auch strukturell begegnen.

Menschen würdig pflegen

Die Geschichte vom barmherzigen Samariter (Evangelium) verrät, woran sich menschenwürdige Pflege entscheidet:

- »Als er ihn sah ....« Auf das Sehen kommt es an! Sehen wir überhaupt, dass der Pflegebedarf in unserem Lande enorm zunimmt? Die Bevölkerung wird dank der modernen Medizin immer älter, die Lebenserwartung steigt. Doch mit ihr steigt auch die Altersdemenz in erschreckendem Maße. Dem muss eine verantwortliche Gesundheitspolitik Rechnung tragen.

- «... hatte er Mitleid mit ihm«. Im Unterschied zu Priester und Levit, den Tempeldienern, geht der Samariter nicht an dem Schwerverletzten vorbei. Seelsorge ist immer ganzheitliche Heils-Sorge. Sich Kranken, Alten und Sterbenden zuzuwenden ist nicht »Beiwerk«, sondern gehört zum »Proprium« der Kirche, denn »nicht die Gesunden, sondern die Kranken brauchen den Arzt«. Standen nicht die Heilungswunder im Mittelpunkt der jesuanischen Verkündigung?

- »Er ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie.« Der Samariter, vielleicht ein durchreisender Geschäftsmann, lässt alles stehen und liegen und wendet sich diesem Schwerverletzten zu und leistet die damals übliche sachgerechte und menschengerechte Notfallversorgung. Jeder, »der vorbeikommt«, ist gefragt. Pflege ist unser aller Angelegenheit, sei es, dass wir Angehörige tatsächlich zu Hause pflegen, oder sei es, dass wir dafür finanziell einzuspringen und für eine solidarische Gesundheitspolitik einzutreten haben. Menschen würdig pflegen - das geht uns alle an!

- »Er brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn«. Der Samariter fungiert nicht nur als »Leistungserbringer«, sondern zuletzt gar noch als »Kostenträger«. Pflege ist kostbar, sie kostet. Sie darf an den Kosten nicht scheitern. »Satt, sauber, still«? Ein Pflegestandard auf diesem Niveau wäre ein Skandal, zumal in einem der reichsten Länder der Welt.

Selbstverständlichkeiten? Banalitäten? Keineswegs! Denn die Pflege ist unter die Knute der Ökonomie geraten. Statt »Mitleid« - mitzuleiden mit Alten und Kranken - dominiert nun reines Kosten-Nutzen-Denken. Anders kommen auch die kirchlichen Pflegeeinrichtungen nicht mehr auf ihre Kosten! Nichts gegen Wirtschaftlichkeit und Effizienz! Aber menschenwürdige Pflege lässt sich nicht nach »Schlüsseln« definieren, auf »Module« reduzieren und in ihrem Preis gleich gar nicht nach Angebot und Nachfrage regulieren.

Gesundheit ist keine Ware!

Jesu Beispiel folgend, haben christliche Gemeinden sich immer schon in vorbildlicher Weise der Alten und Kranken angenommen. Im leidenden Menschen erkennen wir den leidenden Christus. In unserer Aufmerksamkeit und Sorgfalt für die Leidenden spiegelt sich unsere Liebe zu ihm. Natürlich können wir in einer pluralen Gesellschaft diese Standards nicht einfach übertragen, wohl aber müssen wir uns aktiv einbringen in die Diskussion um Pflegenotstand und Gesundheitsreform. Menschen würdig pflegen ist eine Herausforderung für eine humane Gesellschaft. Über die Förderung »personnaher Dienstleistungen« wie die Pflege könnte auch die Arbeitslosigkeit ein Stück weit überwunden werden. Liberalisierung und Privatisierung der Pflege schaffen keine Arbeitsplätze, sondern vernichten sie.

Alle Glieder unserer Gemeinde sollten sich sorgfältig all der Menschen annehmen, die zu Hause Angehörige zu pflegen haben. Wie dankbar sind die oft für ein Gespräch, eine Unterstützung, eine zeitweise Vertretung. Unsere volle Aufmerksamkeit verdienen aber auch die Pflegeberufe. Seitdem das marktwirtschaftliche Modell auf die Pflege übertragen wird, haben sie den Kostendruck auszuhalten. Die Pflege muss so organisiert, ausgestaltet und auch bezahlt werden, dass diese Arbeit in jeder Hinsicht »attraktiv« wird auch für junge Frauen und Männer. Würdevolle Pflege wird ihnen dann selbst zum Gewinn.

Paul Schobel

Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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