Dienstag, 25. Mai 2010

Was kostet schlechte Führung? [idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Kassel, Christine Mandel, 21.05.2010 10:42

Was kostet schlechte Führung?

Kasseler Arbeitspsychologe erforscht gesundheitliche Auswirkungen


Kassel. Schlechte Führung macht Mitarbeiter krank. Die Zahl der
psychischen Erkrankungen unter Arbeitnehmern hat sich seit 1990
verdreifacht, meldet der Gesundheitsreport des Bundesverbands der
Betriebskrankenkassen (BKK) 2009. Zehn Prozent aller
Arbeitsunfähigkeitstage sind darauf zurückzuführen. Die Hälfte davon
steht in direkter Verbindung mit dem Führungsverhalten. Das hat
verheerende Folgen für Personal, Betriebe und die deutsche
Volkswirtschaft, weiß Prof. Dr. Oliver Sträter, Leiter des Fachgebiets
Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Kassel. Er
erforscht den Zusammenhang von Führungsverhalten und
Arbeitsproduktivität.

Fehlzeiten infolge psychischer Belastung am Arbeitsplatz mindern das
Bruttoinlandsprodukt um fünf Milliarden Euro jährlich. "Die Zunahme
dieser Erkrankungen ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt Sträter.
Auf schlechte Führung zurückzuführen seien außerdem Erkrankungen des
Herz-Kreislaufsystems, des Verdauungssystems, des Muskel-Skelett-
Systems. In der BKK-Statistik nicht mitgezählt sind alltägliche
Reaktionen auf schlechte Führung: Dienst nach Vorschrift, innere
Kündigung, mangelnde Kreativität. "Das führt zusätzlich zu
Produktivitätseinbußen", erklärt Sträter. Spitzenreiter der Statistik
sind Organisationen, in denen tendenziell rigide Führungsmechanismen
herrschen. Dazu zählen der öffentliche Dienst und Verwaltung, das
Gesundheitswesen und das Versicherungsgewerbe.

Warum Führung krank machen kann
Aus der Grundlagenforschung ist bekannt, dass der Mensch über einen
bei allen Personen gleich ablaufenden Verarbeitungszyklus verfügt.
Dieser wirkt auch in Führungssituationen. Stetig vergleichen
Vorgesetzte sowie Mitarbeiter Handlungen, Erfahrungen und
Wahrnehmungen anderer Personen mit den eigenen - und das im 100
-Millisekunden-Takt. Gibt es Unterschiede, löst der so genannte
"zentrale Vergleicher" im limbischen System negative Emotionen aus.
Folglich bewertet der Vorgesetzte die Leistung seiner Mitarbeiter
schlecht, obwohl dies nicht der Fall ist. "Die vegetative Steuerung
des Menschen durch das emotionale und kognitive System bei
Führungsverhalten wird unterschätzt", sagt Sträter.

Ein Beispiel: Ein Vorgesetzter erteilt einen Arbeitsauftrag an einen
Mitarbeiter. Dieser stellt den Auftrag seinen Erfahrungen gegenüber.
Der Mitarbeiter stellt fest, dass diese dem Auftrag widersprechen und
teilt die Bedenken seinem Vorgesetzten mit. Der Chef nimmt das wahr
und vergleicht die Aussagen des Mitarbeiters mit seinen. Weil er
selbst auf andere Erfahrungen zurückgreift, kommt es zu einem inneren
Ungleichgewicht. Nun hat der Vorgesetzte zwei Möglichkeiten, das
Missverhältnis zu lösen: 1. Er entscheidet, den Widerspruch zu
verstehen und den Mitarbeiter in die Entscheidung mit einzubinden. 2.
Er stellt die eigenen Erfahrungen über die des Mitarbeiters und weist
an, den Auftrag wie gefordert auszuführen.

Der "Lidl-Effekt": Kontrolle statt Vertrauen und Toleranz
Die erste Entscheidung entspricht gesunder Führung. Vorgesetzter und
Mitarbeiter klären Widersprüche und gelangen gemeinsam zu einer
Lösung, die beide zufrieden stellt. "In 70 Prozent der Fälle
entscheidet sich die Führungskraft jedoch für den zweiten Weg", weiß
Sträter aus seinen Studien in verschiedenen Unternehmen. Der
Mitarbeiter ist gezwungen, die Diskrepanz anders zu verarbeiten. Wie
ein Blitzableiter lenkt er das Ungleichgewicht auf sein vegetatives
System. Als Folge der Frustration steigt die Herzrate, er verbringt
schlaflose Nächte, beschwert sich bei Kollegen.

Damit setzt sich eine Spirale in Gang. Der Mitarbeiter zieht sich in
die innere Kündigung oder Krankheit zurück, während das Misstrauen des
Chefs wächst. Seinen Ärger kompensiert er durch Kontrolle. Sträter
bezeichnet das als "Lidl-Effekt": Der Vorgesetzte überprüft den
Mitarbeiter immer stärker, um ihn in die "richtige Bahn" zu leiten und
bewertet ihn zunehmend negativer. Der Druck auf den Mitarbeiter
steigt. Beide geraten in einen emotionalen Zustand, dem sie nur noch
vegetativ begegnen können.

Zug anstelle von Druck
Der Grund für unheilvolles Führen (z. B. Zeitdruck) sei oft ein
systemisches Problem der gesamten Organisation, führt Sträter aus.
Dies kann nicht allein durch Trainings der Führungskräfte gelöst
werden; der ganze Betrieb muss seine Führungsprinzipien überdenken.
"Führen wird oft mit Kontrolle verwechselt", sagt der Kasseler
Arbeitspsychologe. Viele Vorgesetzte unterschätzten die Loyalität und
das Potenzial ihrer Mitarbeiter. Statt eigene Erfahrungen in den
Vordergrund zu stellen, sieht Sträter die Lösung darin, Erfahrungen
und Konzepte der anderen zu verstehen und erst dann mit eigenen Zielen
abzugleichen. So zieht der Vorgesetzte das Personal über seine Ziele
und Erfahrungen in das gewünschte Verhalten. Zur gesunden
Kommunikation eignet sich nach Sträters Forschung besonders das GROW-
Modell (Goals-Reality-Options-Will): Die Führungskraft erfragt
Bedenken des Mitarbeiters, gleicht diese mit eigenen Zielen ab. Dann
erstellt er Optionen, die beiden Seiten gerecht und verbindlich
festgelegt werden. Das macht Führung gesund - und damit Betriebe
produktiver und sicherer.

dm
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Info
Prof. Dr. Oliver Sträter
tel (0561) 804 4210
e-mail <straeter@uni-kassel.de>
Universität Kassel
Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse

Sachgebiete:
Psychologie

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Prof. Dr. Oliver Sträter



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