Freitag, 16. April 2010

Zum 75. Geburtstag der Dichterin Sarah Kirsch - Pirol unter Krähen (ND - 16-04-2010)


Pirol unter Krähen

Zum 75. Geburtstag der Dichterin Sarah Kirsch

Von Gunnar Decker


Die Nachricht kommt am 4. August 1977 zuerst im RIAS: Sarah Kirsch verlässt das Land. Eine von denen, die nach der Biermann-Ausbürgerung endgültig genug haben von der DDR. Franz Fühmann, dieser stille Bewunderer Sarah Kirschs, für den Weggehen nie ein Weg sein wird, ist schockiert und schickt ein Telegramm: »Sarah liebe Schwester der Pirol hat die ganze Nacht geweint. Sollen denn hier nur mehr die Krähen krächzen?«

Fühmann hatte eine bewundernde Besprechung von Sarah Kirschs Gedichten geschrieben, mit dem Titel: »Vademecum für Leser von Zaubersprüchen«. Nun also ist auch sie fort, eine Dichterin, über die es bei Fühmann heißt: »Eine Warnung: wir betreten Zaubergelände. Der Wanderer wappne sich gegen Magie.« Nun musste er sich gegen deren drohende Abwesenheit wappnen. Am meisten erschüttert Fühmann, dass es zwar viele Leser, aber nicht die Funktionäre bedrückt, dass da wieder eine so wichtige Stimme der Literatur der DDR den Rücken kehrt. Eine, die durch die von Stephan Hermlin veranstalteten Lyrikabende an der Akademie - zusammen mit Volker Braun oder Wolf Biermann – Anfang der 60er Jahre bekannt wurde. »Lyrikbewegung« nannte sich das, aber es war, wie die Politik schnell merkte, kein kontrollierbares Nachwuchsforum für den Bitterfelder Weg, sondern hier wuchs Neues.

Ja, Sarah Kirschs Gedichte sind enger als mitunter vermutet mit der DDR verwoben – auch und gerade in dem Willen, sich aus ideologischer Instrumentalisierung zu befreien. Mit dem November 1976 erledigte sich das Projekt einer eigenständigen, also auch unabhängigen DDR-Kunst endgültig. Das 11. ZK-Plenum 1965 mit seiner Verbotspolitik und das Ende des Prager Frühlings 1968 hatten da bereits vorgearbeitet.

Fühmann, Sarah Kirschs scheuer Freund, ist schockiert, er will das nicht hinnehmen, schreibt wütend-beschwörende Briefe, geht zu Funktionären – alles umsonst. Sigrid Damm bekommt zu lesen: »Wie ich es sehe, glaube ich, daß es zu spät sein wird; wie ich sie kenne, wird sie nicht mehr zurück wollen, und sicher wird sie Ihnen auch die Frage gestellt haben, die nicht an Sie persönlich geht: Wo ist denn die Kälte? Ich weiß, daß es dort eisig kalt ist, aber wie soll man den Zustand bei uns bezeichnen? Vielleicht als den schönen Mief voll Sauerstoffmangel, in dem es sich oft schwerer atmen läßt als in der Eisluft, und dann ist es eine müßige Frage, welcher Tod vorzuziehen ist: Ersticken oder Erfrieren.«

Für Sarah Kirsch die Entscheidung, sich aus der Geschichte tief in die Natur zurückzuziehen. In diesem Exil lebt sie heute noch, im intimen Gespräch mit Pfanzen und Tieren. Eine Idylle? Ich glaube, dass auch für sie Heiner Müller Wort über Heine zutrifft: Die Wunde ist vernarbt, aber schief.

Noch einmal Franz Fühmann, dieser Don Quichotte der späten der DDR, der klarer sieht als die meisten, aber der, obwohl er die Hoffnung inzwischen längst verloren hat, nicht aufhört auszusprechen, was die Offiziellen in diesem Land nicht hören wollen. Wieland Förster unterrichtet er über einen Besuch bei Kurt Hager in Sachen Sarah Kirsch: »Ich beneide die Sarah, die weiß, woran sie ist, sie muß einen Job finden, um Arbeitslosenunterstützung zu bekommen, ein halbes Jahr irgendwo arbeiten, ich kann mir vorstellen, daß sie lächelnd sagt: gut, geh ich als Klofrau, aber ich kann schreiben, was ich will und veröffentlichen auch. – Das eben verstand der Herr Professor nicht – wie könne man bloß so kleinlich sein, meinte er, und seine persönlichen Sonderwünsche über das Großeganze stellen - wenn das Großeganze sage, daß man falsch liege, so solle man sich bitteschön richtig legen und nicht darauf beharren, daß das Großeganze falsch liege. – Ich versuchte ihm zu erklären, daß Literatur und Kunst eben da begönnen, wo man anders liege als jedermann; er lächelte wieder; sehr nachsichtsvoll, und sagte, das sei alles sehr interessant, nur wisse er nicht, warum das dem Sozialismus nützen solle, daß man ihn anders ansähe als das Großeganze.« Daß ihr Weggang ein Verlust sei, habe auch der Herr Professor Hager zugegeben, sicher, ein Verlust, aber daran gehe der Sozialismus nicht kaputt. »Da gab ich ihm recht. Daran geht der nicht kaputt. Er freute sich, daß ich ihm recht gab, und wir trennten uns in herzlichem Einverständnis. Du, ich habs satt.«

Nur noch die Krähen krächzen? Nein, es gab immer noch einige, die sich weiter aufrieben, daran, dass sich die Verhältnisse so beharrlich weigerten, sich verändern zu lassen – und so direkt in den Untergang steuerten. Sarah Kirsch hat weiter geschrieben, wunderbare Gedichte, deren Melancholie beim Lesen schmerzt.

Zu ihrem 75. Geburtstag ist ein schön ausgestatteter Band in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen. Er heißt »Krähengeschwätz«. Ein schockierender Titel, hat man Fühmanns verzweifeltes Telegramm im Ohr – oder doch nur die zweifelhafte Ankunft in einer Normalität, in der Krähen auch nur Vögel sind? Der Band enthält Notate von 1985 bis 1987. Worte tief im Moor, das Drama der Stille. Wie immer bezaubern die Gedichte, die zu den innigsten der deutschen Gegenwartsliteratur gehören. In »Pflanzenleben« lese ich: »Mir war verliehn Immergrün Eisenkraut / In Kränze binden auf einfache Art / Liebe gewinnen solang ich sie suchte / Tollkirsche Aronstab meine Begleiter / Als ich mich von den Häusern entfernte / Graureiher flogen die Moorlilie blühte.« Im Gedicht »Schneewärme«: »Den Winter lebte ich / im Packeis gefangen. / Gottes Löwin die Sonne / Hinterm Erdstern verbrannt. // In der Dämmerung fand ich Tote Seelen die Schatten/Erstarrer Seen und Flüsse / Blank ohne Leben.«

Da ist sie, die Magie der Sprache, für die die Worte eine eigene Welt sind, von der sich die Dichterin etwas erwartet: Lebensbestärkung gegen den Tod, der die Natur in kühler Mechanik durchkreist. Doch Sarah Kirschs Prosa legt die Kehrseite der gesteigerten Wortspannung im Gedicht bloß. Der Alltag wird so immer alltäglicher, die Prosa prosaischer. Ein Phänomen, das man von Gottfried Benn kennt, der seine hochempfindliche Wortwelt mit preußischer Schnoddrigkeit gegen die zudringliche Außenwelt abpanzerte. In »Krähengeschwätz« – ein Titel, der wie eine Selbstverletzung klingt – ereignet sich ähnliches: »Auch bin ich zu den Kranichsteiner Literaturtagen hingebrummt, wozu ich verpflichtet war und lesen musste, da ich Knete vom Literaturfond bekommen hatte. Man las wohl auch um einen Preis, aber die Jury war so bescheuert, dass ich den Ausgang schon wusste (2. September 1986).« Der objektive Zynismus der Verhältnisse, hier steht er ganz unlyrisch nackt da.

Doch der Pirol hat die heute ihren 75. Geburtstag feiernde Dichterin nicht verlassen, trotz der schwatzenden Krähen um sie herum: »Wie ein Pirol lebe ich / In den Kronen der Bäume / Berühre den Boden nicht / Liebe die Wolken aber der /Falsche Kaiser wimmert / Nach meiner Seele.«

Sarah Kirsch, Krähengeschwätz, DVA, 175 S. 17,95 €.

Posted via email from 01159 Dresden Löbtau-Süd und Umgebung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen