Donnerstag, 29. April 2010

--->>> Wer bestimmt, was eine gute Kindheit ausmacht? <<<--- [idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrike Jaspers, 28.04.2010 16:46

Wer bestimmt, was eine gute Kindheit ausmacht?

Schumpeter-Fellowship für Studie


FRANKFURT. Was macht eine gute Kindheit aus? Politiker, Pädagogen,
Eltern und Kinder beantworten diese Frage ganz unterschiedlich. Da
aber die verschiedenen Perspektiven die gegenseitigen Erwartungen und
Haltungen prägen, ist es wichtig sie zu kennen. Besonders die
Professionellen im Erziehungsbereich benötigen diese Information, denn
ihr Handeln beruht oft auf unausgesprochenen Annahmen, und so werden
die vielfach nachgewiesenen Bildungsungleichheiten eher verstärkt als
abgebaut. Die Frankfurter Junior-Professorin Dr. Tanja Betz wird in
einer Studie Kinder, Eltern, Erzieher und Lehrer unter anderem in
Frankfurt zu Wort kommen lassen und ihre Antworten auswerten.

Finanzieren kann die 34-jährige Bildungsforscherin diese auf fünf
Jahre angelegte Studie, weil die VolkswagenStiftung ihr soeben ein mit
mehr als einer halben Million Euro dotiertes Schumpeter-Fellowship
bewilligte. Seit 1. März hat Tanja Betz eine Junior-Professur an der
Goethe-Universität im Fachbereich Erziehungswissenschaften und am
Frankfurter LOEWE-Forschungszentrum IDeA ("Research on Individual
Development and Adaptive Education of Children at Risk").

"Ein spannendes Vorhaben" freut sich die Sozialwissenschaftlerin, die
zuvor die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik am Deutschen
Jugendinstitut in München geleitet hat. Für den wissenschaftlichen
Koordinator von IDeA, Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, komplettiert Tanja
Betz hervorragend das Team aus Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, das sich zum Ziel gesetzt hat, die individuellen
Lernprozesse von Kindern besser verstehen zu lernen: "Der Fokus, den
Frau Betz in ihrer Forschung setzt, entspricht genau der Zielsetzung
unseres Zentrums: Wir wollen dazu beitragen, dass die Lernumgebungen
in Kindergärten und Schulen zukünftig so gestaltet werden können, dass
die individuelle Förderung unter Berücksichtigung der Stärken und
Schwächen jedes einzelnen Kindes gelingen kann."

"Mein Projekt soll klären, wie die in politischen Berichten und
Programmen verbreiteten Leitbilder 'guter Kindheit' von Kindern,
Eltern und den Professionellen im Elementar- und Primarbereich
aufgegriffen werden und welche auch unbeabsichtigten Wirkungen diese
Leitbilder entfalten", erläutert Betz. Sie will mit ihrer breit
angelegten Studie in Erfahrung bringen, welche milieuspezifischen
Vorstellungen, gegenseitigen Erwartungen und Praktiken diese
unterschiedlichen Akteursgruppen haben. Bei einer Untersuchung, die
Betz vor einigen Jahren in Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz
gemacht hat, konnte sie feststellen: Insbesondere Elterngruppen mit
Migrationshintergrund erwarten, dass der Kindergarten auch zur
Schulvorbereitung der Kinder beiträgt und dies deckt sich auch mit den
Vorstellungen der Erzieherinnen. Allerdings konnten die Erzieherinnen
in ihren Arbeit mit heterogenen Gruppen, die eigenen Vorstellungen nur
bedingt umsetzen und blieben hinter ihren Ansprüchen zurück, wenn es
beispielsweise um die Schulvorbereitung ging. "So kann sich aus
Verschiedenheit schnell Ungleichheit entwickeln – und das bereits im
Kindergarten", sagt Betz.

In Betz' Forschungsansatz spielen die Kinder mit ihren Aussagen eine
genauso wichtige Rolle, wie die der anderen befragten Gruppen – das
ist neu, denn in den meisten Studien werden Kinder als Anhängsel von
Familien betrachtet oder als "Noch-nicht-Erwachsene". Der Anspruch,
Kinder als "gleichberechtigte" Gruppe einzubeziehen, stellt sich schon
bei der Konzeption des Fragebogens. Die Bildungsforscherin zu ihrem
Ansatz: "Wir wollen herausfinden, ob Kinder, die dem gleichen sozialen
Milieu angehören, ihr Leben auf ähnliche Art und Weise interpretieren
und gestalten." Wie nehmen Kinder soziale Strukturen und damit auch
Ungleichheitsverhältnisse wahr? Wie stellen sich Kinder den jeweiligen
Anforderungen, die in Kindergarten und Schule erwartet werden?
"Darüber hinaus wollen wir Einstellungen, Haltungen und
Handlungsmuster von Kindern und Erwachsenen mit Macht- und
Abhängigkeitsbeziehungen in Verbindung bringen", so Betz. Die Fragen,
die uns hier beschäftigen werden, sind: Wer bestimmt mit, was eine
"gute Kindheit" ausmacht? Welche Erwartungen tragen Professionelle in
Kindertageseinrichtungen und Grundschulen an Kinder und ihre Eltern
heran? Haben alle gesellschaftlichen Gruppen dieselbe Chance diese
Erwartungen und Normen umzusetzen?

Ergebnisse ihrer Untersuchung bilden auch die wissenschaftliche
Grundlage für Konzepte, die in der Aus- und Weiterbildung der
Professionellen umgesetzt werden sollen. Dazu Betz: "Erzieher und
Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen benötigen ebenso wie Lehrer
und Lehrerinnen in den Grundschulen eine Vorstellung davon, welche
meist unbeabsichtigte Rolle ihnen bei der Verfestigung von
Bildungsungleichheiten zukommt. Wichtig ist es, dass sie sich damit
auseinandersetzen, wie ihre eigenen Annahmen und demzufolge ihr
Handeln die Bildungsbiografie von Kindern – trotz bester Absichten –
früh so beeinflussen kann, dass Kinder aus weniger privilegierten
sozialen Milieus das Nachsehen haben." Den Professionellen kommt in
all diesen Prozessen eine Schlüsselrolle zu und deshalb ist es
entscheidend, dass sie sich selbst bewusst werden, wie sie Kinder aus
unterschiedlichen sozialen Milieus und Kinder aus Zuwanderergruppen in
ihrer Gruppe einschätzen, was sie von ihnen erwarten und wodurch ihre
Maßstäbe geformt werden. Wichtig ist Betz dabei, den "schwarzen Peter"
nicht den Professionellen in die Schuhe zu schieben, sondern die Logik
der Organisationen auch mit in den Blick zu nehmen.

Zur Vita der neuen Junior-Professorin: Tanja Betz studierte
Psychologie, Pädagogik und Soziologie, schloss das Studium als Diplom-
Psychologin ab und promovierte in der Erziehungswissenschaft. Bereits
in ihrer Dissertation, die sie 2007 vorlegte und die mit dem
Förderpreis für den Wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Trier
ausgezeichnet wurde, beschäftigte sie sich mit "Ungleichen Kindheiten
am Beispiel der sozialen und ethnischen Strukturierung von Bildung".
Den Fragen nach dem Zusammenhang von prekären Lebenslagen mit den
Bedingungen von Bildung in Familien, Kindertagesstätten und
Grundschulen gilt auch weiter ihr besonderes Forschungsinteresse. 2007
wechselte sie zum Deutschen Jugendinstitut nach München, dem größten
außeruniversitären Forschungsinstitut im Bereich Kinder, Jugendliche
und Familie, das neben grundlagenorientierten auch praxisbezogene
Studien durchführt sowie Politik- und Praxisberatung macht. Dort hatte
Frau Betz ihren Schwerpunkt in der sozialwissenschaftlich fundierten
Politikberatung. Dazu gehörten Vorschläge zur Weiterentwicklung und
Steuerung des Systems der Bildung, Betreuung und Erziehung
beispielsweise über Kita-Gutscheine.

In Frankfurt lehrt und forscht die Juniorprofessorin am Institut für
Pädagogik der Elementar- und Primarstufe im Fachbereich
Erziehungswissenschaften, ihre Stelle ist zudem am LOWE-Zentrum IDeA
angesiedelt. Dieses Forschungsunternehmen der Goethe-Universität und
des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung
(DIPF) wird im Rahmen der hessischen Exzellenz-Initiative gefördert.

Die VolkswagenStiftung will mit dem Schumpeter-Fellowship Freiräume
für den exzellenten Nachwuchs in den Wirtschafts-, Sozial- und
Rechtswissenschaften schaffen: Junge Postdocs können bis zu fünf Jahre
eigenverantwortlich das von ihnen gewählte Thema erforschen und für
ihr Fachgebiet Neuland erschließen. In der jüngsten Entscheidungsrunde
kamen acht Nachwuchswissenschaftler zum Zuge.

Informationen: Junior-Prof. Dr. Tanja Betz, Institut für Pädagogik der
Elementar- und Primarstufe, Campus Bockenheim Tel: (069) 798- 23754,
betz@em.uni-frankfurt.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsprojekte
Personalia

Sachgebiete:
Gesellschaft
Pädagogik / Bildung
Politik
Psychologie



Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news366627

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution131

Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen