Mittwoch, 21. April 2010

--->>> Fernreisen sind "out" - Klimaerwärmung führt zu evolutionären Veränderungen des Vogelzugs<<<---

Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Leonore Apitz, 21.04.2010 11:00

Fernreisen sind "out" - Klimaerwärmung führt zu evolutionären
Veränderungen des Vogelzugs

Ergebnisse genetischer Studien an Zugvögeln erhärten die Theorie, dass
bei fortschreitender Klimaerwärmung Zugvögel innerhalb weniger
Generationen erst kürzere Strecken zurücklegen und später zu
Standvögeln werden können. In einem Selektionsexperiment mit
Mönchsgrasmücken konnten Francisco Pulido und Peter Berthold am Max-
Planck-Institut für Ornithologie feststellen, dass bereits nach zwei
Generationen gerichteter Selektion in einer Population von reinen
Zugvögeln erste Nichtzieher zu finden waren. Die evolutionäre
Verkürzung der Zugstrecke entspricht den erwarteten Änderungen im
Vogelzug als Überlebensstrategie und Anpassung an klimatisch bedingte
Umweltveränderungen. (PNAS, 5. April 2010)

Der Mensch ist seit Generationen an das Bild von Zugvogelschwärmen auf
ihrer Reise ins Überwinterungsgebiet im Herbst und an die mit lautem
Gesang verkündete glückliche Rückkehr im Frühjahr gewohnt. Der
richtige Zeitpunkt des Zuges ist abgestimmt auf Ressourcen wie Futter
und Habitate in den Durchzugs- und Brutgebieten. Auch für Zugvögel
gilt es, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Seit einigen Jahren kann man in der Natur und anhand von gesammelten
Daten feststellen, dass manche Zugvogelarten auf die erhöhten
Temperaturen und damit verbundenen Änderungen der Umwelt reagieren.
Die Mönchsgrasmücke ist eine der Arten, bei der die Veränderungen im
Zugverhalten am konsistentesten beobachtet werden konnten: Sie kehrt
früher an die Brutplätze zurück, legt früher Eier und verlässt uns
später im Herbst. Eine Population erschloss sich sogar ein neues
Überwinterungsgebiet auf den Britischen Inseln, anstatt bis nach
Spanien zu fliegen. Die große genetische Bandbreite dieser Art lässt
auf eine rasche Anpassung an veränderte Umweltbedingungen schließen
und steht damit modellhaft für Untersuchungen der Evolution des
Vogelzugs. Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für
Ornithologie wollten deshalb nun herausfinden, welche Mechanismen der
Anpassung an die Klimaerwärmung vorliegen und ob es innerhalb eines
Zeitraums mit besonderer Temperaturerhöhung messbare Änderungen im
Zugverhalten gab. Darüber hinaus wollten sie wissen, ob diese
Veränderungen, vor allem die Abnahme der Zugstrecke, nur eine
individuelle Anpassung an veränderte Bedingungen sind, oder ob sich
die genetische Zusammensetzung der Populationen verändern würde.

Von 1988 - 2001, Jahre mit besonders hohen Temperaturen, wurden jedes
Jahr Nestlinge von Mönchsgrasmücken (insgesamt 757 Jungvögel) aus
Nestern entnommen und per Hand aufgezogen. Der jahreszeitlich bedingte
Licht-Dunkel-Wechsel wurde simuliert und die im Herbst einsetzende
Zugunruhe der unerfahrenen Jungvögel gemessen. Die Dauer des unruhigen
Verhaltens während der Nacht, das sich im Flattern und Hüpfen auf der
Sitzstange äußert, entspricht in etwa der Dauer des Fluges ins
Überwinterungsgebiet.

Die Vögel, die in den 14 Jahren aus dem Freiland entnommen wurden,
zeigten eine signifikante fortlaufende Abnahme der Zugaktivität, in
freier Natur entspräche dies einer kürzeren Flugstrecke. Dieser
Abnahme, so konnten die Forscher nachweisen, lag eine Änderung in der
genetischen
Zusammensetzung der Population zugrunde - also Evolution. In einem
zweiten Versuch simulierten die Wissenschaftler den beobachteten
Selektionsprozess im Labor wie im Zeitraffer: Die Vögel mit der
geringsten Zugaktivität und deren Nachkommen wurden in vier
Generationen miteinander verpaart. Um Inzucht zu verhindern paarten
die Forscher 50% dieser Linie mit Freilandtieren, die eine besonders
schwache Zugunruhe zeigten. Bereits nach zwei Generationen waren die
ersten Standvögel in dieser Population zu finden. Gerichtete Selektion
auf eine geringere Zugunruhemenge führt demnach zur Evolution von
Teilzieherpopulationen und letztlich zu Populationen, die gar nicht
mehr in die Überwinterungsgebiete fliegen.

Der Vorteil für den Vogel liegt auf der Hand: Die kürzere Entfernung,
die er zurücklegen muss, spart ihm Energie und Zeit. Kehrt er früher
ins Brutgebiet zurück, weil die kürzeren Tage in den nördlicheren
Überwinterungsgebieten zu einer zeitigeren Stimulierung der Zug- und
Brutaktivität führen, besetzt er die besten Brutplätze und könnte
mehrfach im Jahr brüten "Wir nehmen an, dass die Verkürzung der
Zugstrecke der erste und wichtigste evolutionäre Mechanismus ist, mit
dem sich Vögel an veränderte klimatische Bedingungen anpassen",
erläutert Francisco Pulido. "Bei Vögeln, die kurze bis mittlere
Strecken von etwa 1000 Kilometern ziehen und bei denen das
Zugverhalten genetisch bestimmt ist wie bei den meisten Singvögeln,
kann dies eine erfolgreiche Überlebensstrategie sein." Doch bei
Langstreckenziehern, deren erfolgreicher Zug von der Überwindung von
Barrieren wie Wüsten oder Meere abhängig ist, kann dieser
Anpassungsmechanismus nicht funktionieren, denn eine verkürzte
Zugstrecke und Überwinterung im Meer oder in der Wüste ist unmöglich.
(ap)

Originalveröffentlichung:

Francisco Pulido und Peter Berthold
Current selection for lower migratory activity will drive the
evolution of residency in a mirgratory bird population
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), veröffentlicht
am 5.April 2010 (doi/10.1073/pnas.0910361107)

Kontakt:

Francisco Pulido
Departamento de Zoología y Antropología Física
Universidad Complutense de Madrid
Tel.: (0034) 91 394 49 49
email: f.pulido@bio.ucm.es

Leonore Apitz
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Ornithologie
Vogelwarte Radolfzell
Tel.: +49-7732-150174
Email: apitz@orn.mpg.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Wissenschaftliche Publikationen

Sachgebiete:
Biologie
Meer / Klima
Umwelt / Ökologie

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image114034
abb. 1: Die Zugaktivität (Zugunruhe) von Zugvögeln kann mit Hilfe eines Registrierkäfigs quantitativ erfasst werden. Der vogel sitzt darin auf beweglichen stangen, die auf Mikroschaltern gelagert sind.

http://idw-online.de/pages/de/image114035
Abb. 2: Eine Mönchsgrasmücke bei Zugunruhe, eine Art "Ziehen im sitzen". Da diese Tiere nachts ziehen, werden sie unter Infrarotlicht aufgenommen.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news365394

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution1373

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