Donnerstag, 15. April 2010

Der unbequeme Bundespräsident - unbefriedigende Biografie über Gustav Heinemann (Neues Deutschland - 15-04-2010)


Radikaler im Öffentlichen Dienst

Der unbequeme Bundespräsident – unbefriedigende Biografie über Gustav Heinemann

Von Rainer Sandvoß

Meiner Generation wird er wohl unvergessen bleiben: Deutschlands erster sozialdemokratischer Bundespräsident Gustav Heinemann (1899-1976), von Heinrich Böll einst liebevoll-ironisch als »Radikaler im Öffentlichen Dienst« charakterisiert. Der protestantische Jurist, zu dessen Vorfahren Freiheitskämpfer der Revolution von 1848 zählten, hatte bereits als Justizminister in der Großen Koalition (1967-1969) mit großer Energie und einer unbeirrbaren Konsequenz das deutsche Strafrecht durchlüftet, darunter waren erste Liberalisierungen des Sexualstrafrechts, die ihm wütende Angriffe von konservativer Seite einbrachten. (So meinte ein damals bekannter CSU-Repräsentant, Heinemann beabsichtige mit seiner Strafrechtsreform, »alle Schweinereien von Strafe freizuhalten«.)

Als Heinemann nach seiner knappen Wahl zum Bundespräsidenten (März 1969) – er war im dritten Wahlgang mit nur wenigen Stimmen stärker geblieben, als der Gegenkandidat Gerhard Schröder, der sich auf die Zustimmung von CDU/CSU und einer Minderheit der FDP und nicht zuletzt die der NPD (!) stützte – schließlich von einem »Stück Machtwechsel« sprach, geriet dies für konservative Kreise zu einer Provokation, schien doch die Bundesrepublik vielen ein natürlicher Erbhof des »nationalen« bürgerlichen Lagers zu sein. Und Heinemann, vom Naturell her eher unaufgeregt und das genaue Gegenteil eines Agitators, legte noch ein paar Kohlen nach, als er in einem Interview 1969 äußerte: »Ich liebe nicht den Staat. Ich liebe meine Frau.«

Tatsächlich war die Heinemann-Wahl der Auftakt – vielleicht die Generalprobe – für das noch im selben Jahr gebildete sozial-liberale Kabinett Brandt-Scheel, das mit seiner Ost-Politik und »inneren Reformen« eine neue Phase der Geschichte der Bundesrepublik einleitete und große Teile der aufbegehrenden Jugend integrierte.

Vor diesem Hintergrund durfte man voller Spannung auf die erste wissenschaftliche Heinemann-Biografie hoffen. Doch um es vorweg zu sagen: Die Publikation über den »unbequemen Präsidenten« enttäuscht in weiten Passagen, obwohl sie sich auf viele, bisher unausgewertete Quellen stützt und keineswegs langweilig zu lesen ist.

Schon der Ansatz des Autors ist problematisch. Jörg Treffke legt in seiner politikwissenschaftlichen Studie das Schwergewicht auf die wechselnden parteipolitischen Stationen und »Karrieren« Heinemanns, der tatsächlich im Laufe seines Lebens fünf Parteien angehört hatte: Zur Zeit der Weimarer Republik waren es die eher linksliberale Deutsche Demokratische Partei (1919-1922) und dann der Christlich Soziale Volksdienst (1930-1933) und nach dem Zweiten Weltkrieg die CDU (deren Mitbegründer der Protestant war), in der er vom Essener Oberbürgermeister bis zum Innenminister unter Konrad Adenauer aufstieg, dann die Gesamtdeutsche Volkspartei (1952-1957), die in scharfer Frontstellung zu Adenauers Kurs der Wiederbewaffnung und Westintegration stand und als Gegenkonzept die Wiedervereinigung bei militärischer Paktneutralität vertrat, und schließlich Heinemanns letztes und längstes Engagement, das nach dem SPD-Beitritt 1957 begann und ziemlich schnell an die Spitze der Sozialdemokratie führte. Gerade Letzteres war nur möglich geworden, weil sich die SPD durch den Kurs um und nach Godesberg (1959) auch christlichen Kreisen öffnete und sich zur sogenannten Sozialen Marktwirtschaft bekannte.

Auch wenn es der Biograf nicht wahrhaben will: Heinemann war innerhalb der Partei außerordentlich beliebt, obwohl es zutrifft, dass er nie »ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat« wurde und auch die Anrede »Genosse« ablehnte. Und es war wohl kein Zufall, dass Heinemann im März 1933 die SPD wegen ihres republikanisch-demokratischen Kurses gewählt hat.

Treffkes Absicht, eine auf Quellen gestützte – also Legenden und Mythen »entzaubernde« – Sicht auf Heinemanns wechselvolles Leben vorzulegen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Dies gelingt ihm am besten dort, wo er Heinemanns Rolle bei der Gründung der überkonfessionellen christlichen Sammlungspartei CDU und deren interne Auseinandersetzungen beschreibt; man denke dabei an christlich-sozialistische Politikentwürfe wie den des – von Adenauer und anderen strikt abgelehnten – »Ahlener Programms«. Auch die Auseinandersetzungen des Innenministers mit dem ersten Kanzler der Bundesrepublik liest man mit Spannung und Gewinn.

Sehr erhellend – und auch aktuell – für das Verständnis des damaligen Streits zweier Spitzenpolitiker ist für mich jener Brief an den Theologen Helmut Thielecke, in dem Heinemann 1959 schreibt, er halte Adenauers Politik für falsch und »seine Menschenverachtung für verhängnisvoll. Was das letzte anbelangt, so mag ihn seine Lebenserfahrung gelehrt haben, daß nahezu alle Menschen im weitesten Sinne gekauft oder erpreßt werden können. Eine solche Erfahrung aber mit noch soviel Meisterschaft zu bestätigen, ist im Rahmen einer christlichen Partei noch verderblicher, als es ohnehin ist.«

Methodisch und inhaltlich-sachlich ins Rutschen gerät die Arbeit des früheren Redenschreibers des Brandenburger Innenministers Schönbohm (CDU) allerdings, als der Autor Heinemanns Weg zwischen 1933 und 1945 sowie den der GVP zwischen »Ost und West« in den Blick nimmt.

Im ersten Fall, der vornehmlich Heinemanns Wirken in der Bekennenden Kirche (BK) im Rheinland beschreibt, versucht der Autor den Nachweis zu bringen, dass es da-mals auch Heinemann nicht um einen Widerstandskampf gegen das NS-Regime ging, sondern lediglich um eine Abwehr innerkirchlicher »Gleichschaltungstendenzen«. Dabei brach Heinemann 1938 genau aus diesem Punkt sein Engagement innerhalb der BK ab! Es ist ungerecht und unzutreffend, Heinemann als politisch Angepassten, der sich »dem Hitler-Regime gegenüber loyal« verhielt, zu bezeichnen. Die u. a. durch ihr Werk »Ich trug den gelben Stern« bestens ausgewiesene Autorin und Zeitzeugin Inge Deutschkron hat sowohl in Vorträgen als auch in einem sachkundigen Aufsatz (»Vorgänge«, Nr. 169, März 2005) davon berichtet, dass Gustav Heinemann »Rasseverfolgten« seine Solidarität und untergetauchten Juden seiner Heimatstadt Essen seine Hilfe angedeihen ließ.

Völlig haltlos ist Treffkes Vorwurf, Heinemann, der nie Mitglied der NSDAP, wohl aber einiger NS-Nebenorganisationen war, habe sich im »Dritten Reich« auch nicht anders verhalten als die in der Bundesrepublik oft angeprangerten Filbinger und Globke. (Ersterer fällte noch am Kriegsende als Marinerichter ein Todesurteil; Adenauers Staatssekretär Globke war sogar Kommentator der berüchtigten Nürnberger Rassegesetze.) Man wundert sich, dass derartige ideologische Entlastungsangriffe zugunsten NS-belasteter, deutschnationaler CDU-Politiker als wissenschaftliche Forschung durchgehen!

Nicht minder in die Schieflage gerät die Darstellung, wenn im Abschnitt über Heinemann und die Gesamtdeutsche Volkspartei der Nachweis versucht wird, die GVP habe sich nicht nur Dank (faktischer, aber getarnter) Finanzspritzen von Seiten der DDR über Wasser halten können – was weitgehend zutrifft, aber nicht neu ist –, sondern sei »wahrscheinlich« von der West-KPD »angeleitet« worden. Treffke stützt sich dabei einseitig auf alte DDR-Quellen. Es gehört zum Handwerkszeug des Wissenschaftlers, Quellen kritisch zu überprüfen, sie aus ihrem Kontext heraus zu interpretieren, erst recht, wenn es sich um ideolo-gisch kontaminierte Gestapo- oder Stasi-Schriftstücke handelt. Es hätte dem Autor, dem das Agieren undurchsichtiger »Vertrauensmänner« sonst nicht entging, auffallen müssen, dass bereits der Begriff »Anleitung« nicht dem demokratischen Parteienverständnis entspricht, sondern dem einer zentralistisch geführten »bolschewis-tischen« Kaderpartei. Der Biograf weist auch nicht deutlich darauf hin, dass die GVP, die sich den Forderungen des stark von der SED beeinflussten »Bund der Deut-schen« – mit dem die GVP bei der Bundestagswahl 1953 eine Wahlabsprache einging – erfolgreich widersetzte, schließlich (aus SED-Sicht) als eigenständige politische Kraft ausgeschaltet werden sollte.

Unfreiwillig satirisch gerät Treffkes Beweisführung, wenn er – als Beispiel für verdeckte Kontakte zur »Ostberliner Regierung« – Heinemanns Treffen im Vorfeld einer gesamtdeutschen Tagung der Evangelischen Kirche (EKD) in Potsdam auflistet und dabei bemerkt, dass außer dem Vorsitzenden der CDU der DDR Nuschke sowie Niemöller und Heinemann »höchstwahrscheinlich« Otto Dibelius anwesend war. Gerade der damalige konservative Berliner Bischof (er gehörte auch der West-Berliner CDU an) war das absolute Gegenteil von Ost-infiltriert.

Man kann viel wissen und doch nichts begreifen. Schade, dass die so lang erwartete Biographie über einen ungewöhnlichen Politiker und Bundespräsidenten so voller Unausgewogenheiten steckt. Die Biografie Gustav Heinemanns muss noch geschrieben werden.

Jörg Treffke: Gustav Heinemann. Wanderer zwischen den Parteien. Eine politische Biographie. Ferdinand Schoeningh Verlag,

Paderborn. 367 S., geb., 39,90 €.

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