Donnerstag, 15. April 2010

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Wie Schlaf- und Beruhigungsmittel süchtig machen

Auswirkung von Benzodiazepinen aufgedeckt


Weitverbreitete Schlaf- und Beruhigungsmittel lösen im Hirn
funktionale Veränderungen aus, die zu einer Entfesselung des
Belohnungssystems und schliesslich zu zwanghaftem Suchtverhalten
führen können. Im Prinzip liesse sich dies in Zukunft vermeiden, zeigt
eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte
Forschungsarbeit.

Die meist verwendeten Schlaf- und Beruhigungsmittel wie beispielsweise
Temesta, Dalmadorm oder Valium gehören pharmakologisch gesehen zur
Klasse der Benzodiazepine. Obwohl die Gefahr der Gewöhnung bei
regelmässiger Einnahme dieser Arzneimittel bekannt ist und obwohl
Benzodiazepine als Medikamente mit der weltweit höchsten
Missbrauchsrate gelten, war bisher umstritten und unklar, ob und wie
sie süchtig machen.

Dies dürfte sich mit den soeben in "Nature" publizierten Ergebnissen
des Forschungsteams um Christian Lüscher an der Universität Genf
ändern (*). Dem Team ist der Nachweis gelungen, dass Benzodiazepine -
genau wie Heroin, Haschisch und andere Drogen auch - gezielt die
Aktivität derjenigen Nervenzellen herunterschrauben, die normalerweise
das Belohnungssystem im Mittelhirn im Zaum halten. Wenn das
entfesselte Belohnungssystem keiner Kontrolle mehr untersteht, kann es
mit der Zeit abwägende Entscheide verunmöglichen und das zwanghafte
Verhalten auslösen, das die Sucht definiert.

Den diesem Verhalten zu Grunde liegenden molekularen Mechanismus haben
die Wissenschaftler in Mäusehirnen entschlüsselt. Demzufolge docken
sich Benzodiazepine an bestimmte Eiweisse, so genannte
GABA(A)-Rezeptoren, an. Diese sind - je nach Nervenzelle, auf deren
Oberfläche sie sich befinden - aus unterschiedlichen Untereinheiten
zusammengesetzt und vermitteln verschiedene Funktionen. Weil die
momentan auf dem Markt erhältlichen Benzodiazepine (mit wenigen
Ausnahmen) sich an alle Untereinheiten binden, wirken sie sich also
vielfältig aus: Sie heben etwa Angstzustände auf, lösen epileptische
Muskelkrämpfe und fördern den Schlaf - aber machen gleichzeitig auch
süchtig.

Die Forschenden um Christian Lüscher haben nun aufgedeckt, dass die
süchtig machende Wirkung der Benzodiazepine von GABA(A)-Rezeptoren mit
der Untereinheit alpha1 abhängig ist. Sie verabreichten normalen
Mäusen Benzodiazepine, worauf sich deren Hirnfunktionen veränderten
und schliesslich zu einer verstärkten Aktivität des Belohnungssystems
führten. Darüber hinaus bevorzugten diese Mäuse im Laufe von einigen
Tagen immer mehr die Flasche, die in Zuckerwasser gelöste
Benzodiazepine enthielt, auch wenn ihnen eine andere von aussen
identische aber nur mit Zuckerwasser gefüllte Flasche zur Verfügung
stand. Aber Mäuse, deren Untereinheit alpha1 aufgrund einer Mutation
keine Benzodiazepine an sich binden konnte, verloren weder die
Kontrolle über ihr Belohnungssystem im Hirn, noch legten sie ein
suchtgeprägtes Verhalten an den Tag.

Weil - wie aus früheren Untersuchungen hervorgegangen ist - die
angstlösende (oder anxiolytische) Wirkung der Benzodiazepine
hauptsächlich von einer anderen Untereinheit alpha2 des
GABA(A)-Rezeptors vermittelt wird, steht für Christian Lüscher fest,
dass aufgrund seiner Resultate die Entwicklung von angstlösenden, aber
nicht süchtig machenden Wirkstoffen prinzipiell möglich ist. Solche
selektiv wirksamen Substanzen, die nur mit vereinzelten Untereinheiten
interagieren, sind zwar vorhanden, wurden bisher jedoch nicht klinisch
entwickelt. "Dies erachte ich jedoch als dringlich", sagt er, "vor
allem weil von Ängsten geplagte Menschen besonders suchtgefährdet
sind."

(*) Tan, K. R., Brown, M., Labouèbe, G., Yvon, C., Creton, C.,
Fritschy, J.-M., Rudolph, U. and Lüscher, C. (2010): Neural bases for
addictive properties of benzodiazepines. Nature. doi:
10.1038/nature08758 (als PDF beim SNF erhältlich; E-Mail:
pri@snf.ch)

Kontakt:
Prof. Dr. Christian Lüscher
Abteilung Neurowissenschaften
Medizinische Fakultät
CMU 1, rue Michel Servet
1211 Genf 4
Tel.:   ++41 22 379 54 50
E-Mail:
Christian.Luscher@unige.ch

Der Text dieser Medienmitteilung steht am 10.02.10 ab 19.00 Uhr auf
der Website des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung:
www.snf.ch > Medien > Medienmitteilungen

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Forschungsprojekte

Sachgebiete:
Medizin

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http://www.snf.ch


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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
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