Dienstag, 20. April 2010

Aus dem Urteilsspruch des Bankentribunals von Attac in der Berliner Volksbühne...


Thema: Bankentribunal

Die Krise war keine Naturkatastrophe

Aus dem Urteilsspruch des Bankentribunals von Attac in der Berliner Volksbühne


Politiker, Bankmanager, Bankenaufsicht, Wirtschaftsprüfungsunternehmen, Rating-Agenturen – das waren die Angeklagten beim Bankentribunal von Attac am letzten Wochenende. Untersucht wurde bei dem symbolischen Prozess in der Berliner Volksbühne die Verantwortung für die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise. ND dokumentiert einen Teil des Urteilsspruchs der Jury und daraus erwachsende politische Forderungen. Mehr Informationen, auch das vollständige Urteil findet man im Internet unter www.attac.de/bankentribunal.

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Die Jury kommt zu der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht wie eine Naturgewalt über die deutsche Wirtschaft hereingebrochen ist. Es gibt klare Verantwortliche. Dazu gehört die Politik, hier vertreten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Durch ihre Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik haben sie dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft ablösen konnten und hochriskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden. Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer in Armut gestürtzt werden.

Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur »Getriebene der Märkte«. Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz grob verletzt, dass »Eigentum verpflichtet« und auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat.

Die Bewertung der Beweisaufnahme

Die Jury hat sich bei der Beweisaufnahme von drei zentralen Fragen leiten lassen: Welche Rolle spielte die Verteilungspolitik bei der Entstehung von Finanzblasen? Welche Defizite gab es bei der Regulierung der Finanzmärkte? Und auf wen wurden die Kosten der Finanzkrise abgewälzt? In der Chronologie der Ereignisse ergab sich dabei folgende Bewertung:

Der Regierung Schröder ist vorzuwerfen, dass sie die Spreizung der Eigentums- und Vermögensverteilung verschärft hat. So wurden die Arbeitsverhältnisse systematisch entriegelt – durch das Beschäftigungsförderungsgesetz, das Leiharbeits-, Zeitarbeits- und Befristungsgesetz sowie durch Hartz IV. Das Resultat sind sinkende Löhne und ein kontinuierlich wachsendes Armutsrisiko. Zudem wurden die sozialen Sicherungssysteme teilprivatisiert und den Interessen der Finanzwirtschaft ausgeliefert. Hinzu kam, dass Spitzenverdiener und Kapitaleigner steuerlich stark entlastet wurden: Der Spitzensteuersatz wurde von 53 auf 42 Prozent abgesenkt, die Körperschaftsteuer von 40 auf 25 Prozent reduziert.

Darüber hinaus war es der Regierung Schröder ein Anliegen, den Finanzplatz Deutschland aufzuwerten. Daher wurden Kapitalbeteiligungsfonds für breite Bevölkerungsschichten geöffnet sowie Hedgefonds in Form von Dachfonds zugelassen. Finanzinvestoren wurden als Vermögensverwalter deklariert und steuerlich privilegiert behandelt. Damit setzte Rot-Grün eine Politik der Liberalisierung fort, die bereits in der Amtszeit von Kanzler Helmut Kohl begonnen hatte.

Die Regierung Schröder hat zudem eindeutig ihre Aufsichtspflichten verletzt. Im Aufsichtsrat der Mittelstandsbank IKB saß Jörg Asmussen, Abteilungsleiter im Finanzministerium. Ihm hätte auffallen müssen, dass es nicht die Aufgabe der IKB sein kann, in großem Umfang in Immobilien in den USA und im europäischen Ausland zu investieren. Der festgelegte Unternehmenszweck war, den deutschen Mittelstand zu fördern. Dagegen wurde »in grobem Maße« verstoßen, wie inzwischen auch das Oberlandesgericht in Düsseldorf feststellt. Die IKB geriet im Sommer 2007 in eine Schieflage und musste seither mit 10,7 Milliarden Euro gestützt werden.

Der Großen Koalition, hier vertreten durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, sind bei der Bankenrettung gravierende Fehler unterlaufen.

Das Gericht folgt der Darstellung des Zeugen Harald Schumann (Buchautor und Journalist), dass bei der Rettung der Hypo Real Estate unnötig Steuergelder verschwendet wurden, weil das Finanzministerium trotz bekannter Liquiditätsengpässen keinerlei Notfallplan aufgestellt hatte. So kam es zu einer nächtlichen Ad-hoc-Rettungsaktion, in der es nicht mehr möglich war, die HRE-Gläubiger angemessen an den Rettungskosten zu beteiligen.

Zudem war es falsch, die Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank zuzulassen und mit Steuermitteln zu finanzieren. Aus zwei Großbanken wurde damit eine noch größere Bank geschaffen, die im Geschäftsjahr 2009 auf eine Bilanzsumme von 844 Milliarden Euro kam – dies entspricht etwa einem Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Damit ist die neue Commerzbank eindeutig »too big to fail«. Die Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, kleinere Banken zu schaffen, statt gigantische Zusammenschlüsse zu organisieren. Gleiches gilt für die Übernahme der öffentlichen Postbank durch die Deutsche Bank.

Die Fusion zur neuen Commerzbank bedeutete zugleich eine indirekte Subventionierung des Versicherungskonzerns Allianz, der sich seines Pleite-Instituts Dresdner Bank zu sehr günstigen Konditionen entledigen konnte.

 

Dieser Vorgang verweist auf zwei grundsätzliche Probleme bei der Bankenrettung:

1. Die Profiteure der Staatshilfen wurden nicht angemessen an den Rettungsaktionen beteiligt. Die Gläubiger der Banken mussten bisher gar keinen Beitrag leisten – und die Aktionäre nur sehr eingeschränkt. Dies gilt für die HRE und die Commerzbank, zeigte sich besonders krass aber auch bei der IKB. Obwohl institutionelle Investoren 50 Prozent der Aktien besaßen, übernahmen die privaten Banken nur 1,5 Milliarden Euro der Rettungskosten, die insgesamt 10,7 Milliarden betrugen.

2. Oft ist nicht einmal bekannt, wer von den Staatshilfen profitiert. Die Gläubiger der Pleite-Institute werden geheim gehalten. Anders in den USA: Dort wurde auf Druck des Parlaments veröffentlicht, wer die staatlichen Rettungsmilliarden für den Versicherungskonzern AIG erhalten hat (wie sich dann zeigte, war die Deutsche Bank mit 12 Milliarden Dollar einer der Hauptempfänger). Auch die deutschen Steuerzahler haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wer ihre Milliarden erhält. Die Bundesregierung hat es versäumt, die nötige Transparenz zu schaffen.

Der derzeitigen Regierung, vertreten von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist anzulasten, dass noch immer keinerlei Regulierung der Finanzmärkte erfolgt ist. Stattdessen finden schon wieder Spekulationsgeschäfte in gigantischem Ausmaß statt – vor allem mit Währungen, Staatsanleihen, Derivaten, Rohstoffen und Aktien. Die Gefahr ist unübersehbar, dass sich erneut Blasen an den Finanzmärkten bilden. Ein zweiter Crash ist nicht auszuschließen.

Allerdings ist der Einwand der Verteidigung zu würdigen, dass die Kanzlerin auf die Stimmungs- und Debattenlage in Deutschland Rücksicht nehmen muss. Zudem sind die Einflussmöglichkeiten Deutschlands in internationalen Gremien begrenzt. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die derzeitige Bundesregierung eine Mitschuld trägt, dass die internationale Finanzmarktregulierung nur schleppend in Gang kommt. Kanzlerin Merkel ist erkennbar bemüht, die Standortinteressen der deutschen Kreditinstitute zu verteidigen. So konnte der Zeuge Sven Giegold (EU-Abgeordneter der Grünen) glaubhaft belegen, dass Deutschland eine stärkere Bankenaufsicht auf europäischer Ebene verhindert und eine bessere Regulierung von Hedgefonds blockiert hat. Auch bei den neu auszuhandelnden Eigenkapital-Richtlinien wird den Interessen der deutschen Banken gefolgt.

Unter internationalen Ökonomen ist inzwischen unstrittig, dass die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ganz wesentlich dazu beigetragen haben, jenen Geldüberhang zu erzeugen, der dann dazu führte, dass auch fast wertlose Kreditverbriefungen Abnehmer fanden. Insbesondere die Exportüberschüsse von China und Deutschland gelten als sehr problematisch. Die Bundesregierung verweigert sich jedoch der Einsicht, dass sie für eine ausgeglichene Leistungsbilanz sorgen und das deutsche Lohndumping beenden muss.

Dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, ist anzulasten, dass er seine gesamtwirtschaftliche Verantwortung nicht wahrnimmt und sich darauf beschränkt, die Gewinnmöglichkeiten seiner Bank zu maximieren.

Ackermanns volkswirtschaftliche Verantwortung ergibt sich bereits aus seinen Funktionen: Er ist Vorsitzender des internationalen Bankenverbandes und Vorstandsmitglied des deutschen Bankenverbandes. Vor allem aber ist die Deutsche Bank so groß, dass sich daraus automatisch eine Verpflichtung ergibt, an das gesamtstaatliche Gemeinwohl zu denken. Die Deutsche Bank hat eine Bilanzsumme von 2,1 Billionen Euro – was knapp dem deutschen Inlandsprodukt entspricht. Konkret sind Ackermann zwei Vorwürfe zu machen:

1. Er richtet die Deutsche Bank weiterhin einseitig auf das hochspekulative Investmentbanking aus, um Milliardengewinne zu generieren und eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu erwirtschaften. Statt die Ursachen der Finanzkrise zu bekämpfen, sieht sich Ackermann als Profiteur des Crashs: Wie er in Interviews offen zugibt, haben sich die Marktbedingungen für die Deutsche Bank deutlich verbessert, weil viele Konkurrenten faktisch Konkurs anmelden mussten. Dies erhöht die Gewinnmargen für die wenigen noch verbleibenden Investmentbanken, die nun ein Oligopol bilden.

2. Ackermann widersetzt sich jeder wirksamen Regulierung der Finanzmärkte, weil dies die Margen des Investmentbankings beeinträchtigen würde. Ackermann erklärt selbst, dass die Marktmacht der Deutschen Bank auf ihrem »technologischen Vorsprung« bei dem Handel mit komplexen Finanzprodukten beruht. An einem Verbot dieser hochproblematischen »Finanzinnovationen« hat er daher kein Interesse.

Als Empfehlung: Während des Tribunals erfolgte auch eine Beweisaufnahme zum Thema Griechenland – und inwieweit die Banken von dem drohenden Staatsbankrott profitieren. Die Jury schlägt vor, hierzu kein Urteil zu fällen, weil es sich erstens um einen noch laufenden Prozess handelt und zweitens keinerlei belastbare Beweismittel vorlagen. Allerdings nimmt die Jury die Hinweise des Zeugen Schumann sehr ernst, dass sich die Fehler bei der HRE-Rettung wiederholen könnten und dass bei einer Ad-hoc-Rettungsaktion erneut versäumt wird, die Gläubiger angemessen an den Kosten zu beteiligen, weil nicht rechtzeitig über eine geordnete Insolvenz nachgedacht wurde. Die Jury schlägt daher vor, den Komplex Griechenland (sowie weiterer Kandidaten für einen Staatsbankrott) künftig in einem eigenen Tribunal zu untersuchen.


Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte

1. Die Finanzwirtschaft hat der Realwirtschaft zu dienen. Es sind daher alle Finanzprodukte zu verbieten, die keinen zwingenden Nutzen für die Kreditversorgung von Unternehmen und Privatpersonen haben. Dies gilt etwa für ungedeckte Leerverkäufe oder komplexe Kreditverbriefungen.

2. Es darf kein Finanzunternehmen oder Finanzgeschäft oder Finanzplatz außerhalb der öffentlichen Aufsicht und Kontrolle verbleiben. Dies bedeutet auch ein Verbot von Zweckgesellschaften.

3. Die Finanzwirtschaft ist grotesk überdimensioniert. Viele Banken haben gar keinen erkennbaren Geschäftszweck (IKB, Landesbanken) oder flüchteten in die Spekulation und den Eigenhandel, weil mit dem klassischen Bankgeschäft kaum Gewinn zu machen war. Der Finanzsektor muss schrumpfen und Eigenhandel verboten werden. Letztlich bedeutet dies: Die Privatbanken entwickeln ein Profil, wie die Sparkassen es schon haben. Sie dienen der Realwirtschaft.

4. Es darf keine "systemrelevanten" Banken mehr geben, die bei Schieflage mit Steuermitteln gerettet werden müssen, um eine "Kernschmelze" des Finanzsystems zu verhindern. Die Größe der Banken ist also zu reduzieren (evtl. durch Zerschlagung). Das bedeutet auch: Es werden keine Fusionen von Banken mehr zugelassen.

5. Die Risikovorsorge bei den Banken muss deutlich verstärkt werden und das hinterlegte Eigenkapital steigen. Zudem sollten die Eigenkapitalanforderungen mit der Größe der Bank zunehmen, um gefährliche Konzentrationsprozesse zu bestrafen.

6. Es kann nicht sein, dass Rating-Agenturen von ihren Auftraggebern bezahlt werden. Hier ist dem Vorschlag des Zeugen Sven Giegold zu folgen, dass die Investoren für die Ratings aufkommen müssen.


Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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