Mittwoch, 21. April 2010

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Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrike Jaspers, 20.04.2010 17:38

50 Jahre Sigmund-Freud-Institut

FRANKFURT. Welchen Beitrag leistet die Psychoanalyse als Wissenschaft
des Unbewussten heute zu einem vertieften Verständnis seelischen
Leidens und seiner biografischen und gesellschaftlichen Ursachen? Das
Frankfurter Sigmund-Freud-Institut stellt sich dieser Frage aus Anlass
seines 50jährigen Bestehens bei einer Festveranstaltung am 24. April
(Samstag) auf dem Campus Westend der Goethe-Universität.

Noch vor einigen Jahren von der Schließung bedroht, schafften es die
beiden Direktoren Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber und Prof. Rolf
Haubl mit ihrem Wissenschaftlerteam, dem renommierten Institut eine
neue Perspektive zu geben: In umfänglich geförderten Projekten zur
Depressions-, Gedächtnis- und Traumforschung sowie im Rahmen von
Untersuchungen zur Frühprävention und zu Traumata werden Methoden der
klinischen Psychoanalyse, Grundlagenforschung in den
Neurowissenschaften und die Sozialpsychologie miteinander verbunden.

"Mit unserer Arbeit folgen wir einer Forschungstradition, die viele
Aspekte der modernen Gesellschaft einbezieht: Das Sigmund-Freud-
Institut beteiligt sich am wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs
über Themen wie Neid, Hass und Gewaltbereitschaft, psychische
Belastungen am Arbeitsplatz und die Medikalisierung sozialer
Probleme", unterstreicht Haubl, der auch eine Professur für
Sozialpsychologie an der Goethe-Universität inne hat. Und Leuzinger-
Bohleber ergänzt: "Eine der wichtigsten Veränderungen ist wohl die
Notwendigkeit, intensiv und konkret in internationalen,
interdisziplinären und transgenerationellen Netzwerken zu arbeiten:
Wissenschaft ist heute, auch für die Psychoanalyse, zu einem Joint
venture geworden, das von weltweiten Forschungskooperationen lebt."

Das Sigmund-Freud-Institut führt interdisziplinäre empirische Studien
durch, deren Ergebnisse in den Dialog zwischen Psychoanalyse und
Neurowissenschaften einfließen. Ein Beispiel ist eine Teiluntersuchung
zur Therapiewirksamkeitsstudie "Wenn chronisch Depressive ihre
Therapie wählen. Zur Wirksamkeit psychoanalytischer verglichen mit
kognitiv-behavioraler Langzeitbehandlungen chronisch Depressiver". In
dieser Teiluntersuchung werden die Ergebnisse von Langzeittherapien
auch mit Hilfe von Elektroenzephalografie (EEG) und funktioneller
Magnetresonanztomografie (fMRI) untersucht.

Bei der Festveranstaltung - mit Grußworten des hessischen Ministers
für Arbeit, Familie und Gesundheit Jürgen Banzer (CDU), der
Frankfurter Oberbürgermeisterin Dr. h.c. Petra Roth (CDU) und der
beiden Universitätspräsidenten Prof. Werner Müller-Esterl und Prof.
Rolf-Dieter Postlep (Kassel) - wird Dr. Tomas Plänkers, langjähriger
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, die Geschichte des
Sigmund-Freud-Institut rekonstruieren. Die beiden Direktoren werden
danach kurz die aktuellen Forschungsaktivitäten skizzieren.
Anschließend positioniert Harold Blum (New York) das Institut im
Rahmen der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Im
öffentlichen Abendvortrag
am: Samstag, den 24. April 2010, um 20.30 Uhr
Ort: Campus Westend, Hörsaalzentrum, Hörsaal HZ4
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main

berichtet Prof. Daniel Stern (Genf/New York), einer der bekanntesten
Experten psychoanalytischer Forschung, besonders der empirischen
Säuglingsforschung, über neue Erkenntnisse zur menschlichen
Entwicklung. Der Titel seines Vortrags lautet "A developmental
perspective on intersubjectivity from birth on".
Das Sigmund-Freud-Institut arbeitet nicht nur eng in der Ausbildung
wissenschaftlichen Nachwuchses, bei Forschungsprojekten und Tagungen
mit den Universitäten Frankfurt und Kassel zusammen; es pflegt
traditionell auch einen regen internationalen Austausch: Es kooperiert
mit führenden Forschungseinrichtungen, darunter das Anna Freud Centre
und die Tavistock Clinic in London, die Columbia University in New
York sowie die Hebrew University in Jerusalem. Neben der Forschung ist
die psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung ein wichtiges
Anliegen des Sigmund-Freud-Instituts. Dazu Leuzinger-Bohleber: "In
unserer Ambulanz betreuen wir jährlich rund 600 Patienten. Sie
erhalten qualifizierte Beratungsgespräche, Indikationsstellungen und
Überweisungen an niedergelassene Therapeuten. Seit 2002 verfügen wir
zudem über eine Depressionsambulanz. Zurzeit sind wir dabei, gemeinsam
mit dem Institut für analytische Kinder- und Jugendlichen-
Psychotherapie eine Spezialsprechstunde für Kinder, die unter
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden,
aufzubauen."

Zur Historie
Die von Sigmund Freud vor über 100 Jahren begründete Psychoanalyse ist
mit der Stadt Frankfurt am Main traditionell eng verbunden. Hier
gründete eine Gruppe von Psychiatern und Psychologen, darunter Erich
Fromm, Klara Happel, Karl Landauer, Heinrich Meng, Frieda Fromm-
Reichmann, Ewald Roellenbleck und Franz Stein, im Jahr 1926 die
psychoanalytische "Südwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft". Daraus ging
zwei Jahre später das Frankfurter Psychoanalytische Institut (FPI)
hervor. Die Wissenschaft vom Unbewussten der menschlichen Psyche
erlebte in Frankfurt jedoch nur eine kurze Blütezeit, Höhepunkt war
die Verleihung des Goethepreises an Freud im Jahr 1930. Nach der
Machtergreifung durch die Nationalsozialisten sah sich das Institut
gezwungen, seine Tätigkeit 1933 einzustellen. Die zumeist jüdischen
Psychoanalytiker mussten emigrieren.

Nach dem Krieg gelang es Alexander Mitscherlich, die Idee zur Gründung
eines Sigmund-Freud-Instituts voranzutreiben. Er hatte mit seinem
Abschlussbericht zum Nürnberger Ärzteprozess "Medizin ohne
Menschlichkeit" einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der Verbrechen
im Nationalsozialismus geleistet, eine Voraussetzung, dass vertriebene
und verfolgte Psychoanalytikerinnen bereit waren, ihn dabei zu
unterstützen, die Psychoanalyse nach Deutschland zurückzubringen.
Trotz aller Widerstände konnte Mitscherlich mit viel politischem und
rhetorischem Geschick und der Unterstützung von Theodor W. Adorno und
Max Horkheimer die Gründung eines psychoanalytischen Ausbildungs- und
Forschungsinstituts durchzusetzen. Nach einer Vortragsreihe im
Wintersemester war es am 27. April 1960 endlich so weit: das "Institut
und Ausbildungszentrum für Psychoanalyse und psychosomatische Medizin"
wurde feierlich in Frankfurt eröffnet.

"Das Sigmund-Freud-Institut entwickelte sich zu einem inspirierenden
Begegnungsort der Psychoanalyse und trug viel dazu bei, dass die
Psychoanalyse in den 1960er und 70er Jahren eine große Blüte erlebte",
erinnert sich Leuzinger-Bohleber. Die Mitscherlich nachfolgenden
Direktoren, Clemens de Boor, Hermann Argelander, Dieter Ohlmeier und
Horst-Eberhard Richter, haben die spezifischen Tradition dieser
Institution weitergeführt und die enormen Veränderungen in den letzten
50 Jahren mitgestaltet. 1995 wurde das Institut in eine Stiftung des
öffentlichen Rechts umgewandelt, das sich nun ausschließlich der
psychoanalytischen Forschung widmen sollte. Die psychoanalytische
Ausbildung übernahm das Frankfurter Psychoanalytische Institut (FPI),
mit dem das Institut eng kooperiert.

Die größte bisherige institutionelle Krise erlebte das Sigmund-Freud-
Institut, ein knappes Jahr nachdem Leuzinger-Bohleber und Haubl die
Leitung übernommen hatten. Das Hessische Ministerium kündigte eine
50-prozentige Kürzung der staatlichen Zuwendungen an, was letztlich
die Schließung bedeutet hätte. Haubl schaut zurück: "Mit einer großen
Kraftanstrengung konnten wir dies verhindern. Wir sind sehr froh, dass
es uns gelungen ist, das Institut, wenn auch in vieler Hinsicht in
anderer Weise als in seinen Gründungszeiten, mit neuer
wissenschaftlicher Produktivität zu füllen."

Informationen: Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber und Prof. Rolf Haubl,
Sigmund-Freud-Institut, Tel: (069) 971204-0, post@sigmund-freud-
institut.de

Arten der Pressemitteilung:
Pressetermine
Wissenschaftliche Tagungen

Sachgebiete:
Gesellschaft
Medizin
Pädagogik / Bildung
Politik
Psychologie

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news365299

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution131

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