Sonntag, 21. März 2010

Welche Rolle spielen Dumpinglöhne in der Arbeitswelt? (Tagesspiegel 22-03-2010)


Arbeitsmarkt

Welche Rolle spielen Dumpinglöhne in der Arbeitswelt?

Befristete Arbeitsverhältnisse, Dumpinglöhne und Leiharbeit.
Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verändert.
Welche Probleme die Politik nun angehen will.


Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten dramatisch verändert: Es gibt immer mehr Niedriglohnjobs, mehr befristete Arbeitsverhältnisse, mehr Zeitarbeit. Mit Verweis auf die Drogeriekette Schlecker kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Wochenende an, gegen Missbrauch in der Zeitarbeit vorgehen zu wollen. Auch der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise sieht den Wandel auf dem Arbeitsmarkt mit Besorgnis. Wenn befristete Jobs zum Standard würden, sei das für die Entwicklung der Gesellschaft "verheerend", mahnt er.

Was versteht man unter Niedriglohnsektor?

Seit Mitte der 90er Jahre ist der Niedriglohnsektor in Deutschland stetig gewachsen. Inzwischen arbeitet nach Untersuchungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Duisburg jeder fünfte Beschäftigte für einen Stundenlohn unterhalb der Niedriglohnschwelle, erhält also weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns. Damit ist der Anteil etwa so groß wie in Großbritannien oder den USA. Im Jahr 2007 waren das in Deutschland rund 6,5 Millionen Menschen, mindestens 1,2 Millionen von ihnen arbeiteten für weniger als fünf Euro pro Stunde. Vor allem im Dienstleistungsbereich ist die Bezahlung gering. So erhält die Friseurin in Thüringen derzeit in der untersten Tarifgruppe 3,18 Euro pro Stunde, ihre Kollegin in Berlin 4,65 Euro. Die Floristin in Sachsen bekommt 4,39 Euro pro Stunde, der Fleischerhandwerker in Niedersachsen 6,33 Euro.

Es sind nicht nur Ungelernte, die wenig verdienen. Etwa vier von fünf Niedriglohnbeschäftigten können eine Qualifikation vorweisen. Gut 70 Prozent hatten laut IAQ eine Berufsausbildung, 8,4 Prozent sogar einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss.

In welchen Branchen gibt es viele befristete Verträge und wer ist davon betroffen?

Jeder zweite Berufseinsteiger erhält in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur noch einen befristeten Vertrag. Insgesamt hat jeder elfte Arbeitnehmer einen befristeten Vertrag, 2008 waren es 2,7 Millionen Menschen oder 8,9 Prozent aller Erwerbstätigen. Ein deutlicher Anstieg gegenüber 1991, als die Statistikbehörde diese Zahl zum ersten Mal erfasste. Besonders häufig sind befristete Verträge in der Dienstleistungsbranche: etwa in der Zeitarbeit, bei Wach- und Sicherheitsdiensten sowie in der Gebäudereinigung. Jüngere Beschäftigte erhalten oft nur noch einen Vertrag auf Zeit, bei den 20- bis 25-jährigen gut jeder Vierte. Erst ab dem Alter von 30 Jahren geht der Anteil der Zeitverträge spürbar zurück. In der Gruppe der 30-bis 40-Jährigen hat noch knapp jeder zehnte einen Zeitvertrag. Immerhin knapp die Hälfte der befristeten Verträge mündete 2009 in eine Festanstellung, wie aus einer Betriebsbefragung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht.

Inwiefern hat sich die Arbeitswelt verändert?

Sie ist mittlerweile zweigeteilt. Auf der einen Seite die Normalarbeitsverhältnisse, die voll sozialversicherungspflichtig und unbefristet sind. Auf der anderen Seite die sogenannte "atypische Beschäftigung": Minijobs, befristete Stellen, Leiharbeitsverhältnisse. In Deutschland haben nur noch zwei Drittel aller Erwerbstätigen einen "Normaljob", 2008 waren es 22,9 Millionen Personen. Die atypische Beschäftigung ist zwar noch nicht der Regelfall, sie nimmt aber zu. Bei einem Betrieb von der Ausbildung bis zur Rente bleiben – eine solche Berufsbiografie gehört immer mehr der Vergangenheit an.

Welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen hat das?

Die Zunahme von befristeten Jobs erschwert jungen Menschen nach Ansicht von BA-Chef Weise wegen der daraus entstehenden Unsicherheit die Lebensplanung. Wer nicht weiß, wovon er in zwei Jahren leben soll, hält sich vielleicht auch mit der Familiengründung zurück. Die Zunahme von gering bezahlter Arbeit und Minijobs führt auch dazu, dass dem Sozialstaat seine Finanzierungsgrundlage ein Stück weit entzogen wird. Wenn weniger Beiträge entrichtet werden, ist auch weniger Geld für soziale Leistungen vorhanden.

Was will die Politik ändern?

Einen gesetzlichen Mindestlohn, wie Opposition und Gewerkschaften ihn fordern, lehnt Schwarz-Gelb ab. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) knüpft allerdings an die Arbeit der großen Koalition an: Branchenmindestlöhne, die von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt wurden, werden für allgemeinverbindlich erklärt – zuletzt bei den Dachdeckern. Aufgerüttelt wurde die Bundesregierung außerdem durch den Fall Schlecker: Die Drogeriekette entließ einen Teil ihrer Stammbelegschaft, um sie zu deutlich niedrigeren Löhnen über eine Leiharbeitsfirma wieder einzustellen. Von der Leyen kündigte daraufhin an, diese Praxis gesetzlich unterbinden zu wollen, sofern die Branche das nicht selbst regeln werde. Dafür kann sie auch auf die Unterstützung des Koalitionspartners zählen. "Es geht nicht, dass Firmen Zeitarbeit zur strukturellen Ersetzung ihrer Mitarbeiter nutzen mit dem Ziel, Lohndumping zu betreiben. Wenn die Tarifpartner nicht aktiv werden, wird der Gesetzgeber eine Lösung finden", sagt der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hält dies jedoch nicht für ausreichend: "Nur der Grundsatz 'gleicher Lohn für gleiche Arbeit' stoppt den Missbrauch", sagt sie. Als Sofortmaßnahmen seien Mindestlöhne in der Zeitarbeitsbranche notwendig, fordert die SPD-Politikerin.

Auch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach hält eine stärkere Regulierung der Leiharbeit für dringend notwendig, weil Schlecker kein Einzelfall sei. "Viele Unternehmen ersetzen einen Teil ihrer Belegschaften systematisch durch schlechter bezahlte Leiharbeiter. Das muss gestoppt werden." Buntenbach äußerte die Befürchtung, dass im Aufschwung nach der Wirtschaftskrise viele Betriebe nicht wieder dauerhaft Mitarbeiter einstellen, sondern auf befristete Verträge und geringer bezahlte Leiharbeiter setzen. Für viele Leiharbeitsfirmen sei Verantwortung für ihr Personal ein Fremdwort. So seien in der Krise in dieser Branche mehr als ein Viertel der Jobs vernichtet worden, stellt Gewerkschafterin Buntenbach fest – weit mehr als in anderen Wirtschaftszweigen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 22.03.2010)

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