Dienstag, 23. März 2010

Matthies meint "Gut gegen den Mittelstandsbauch" (Tagesspiegel 23-03-2010)


Matthies meint

Gut gegen den Mittelstandsbauch

Millionen von Talkshow-Gästen haben sich in den letzten Jahren im Grunde nur mit einer einzigen Frage befasst: Ist, wo Politik draufsteht, wirklich Politik drin? Sie haben bei Anne Will geschwitzt und bei Maischberger gezankt und bei Illner gestottert, um der Sache auf den Grund zu gehen; ihre überwiegende Meinung: nö. Ja, man könnte sagen, dass der Staat generell unter einem Etikettenschwindel-Syndrom leidet.

Ein farbiges Beispiel, wie so etwas funktioniert, kommt aus der Werbung. "Foodwatch" hat uns jetzt eine Bio-Limonade namens "Beo Heimat Apfel & Birne" präsentiert, ein Produkt der Firma Carlsberg, das aus exakt fünf Prozent Bio-Zutaten besteht, nämlich Malz und Zucker. Mehr Bio geht auch nicht, denn Apfel und Birne sind gar nicht drin, weil sie durch Aromen vertreten werden, streng nach den Vorgaben der EU, wie die Firma mitteilt.

Fast genau so schön ist der ebenfalls für den "Goldenen Windbeutel" nominierte Früchtetee "Gelbe Zitrone Physalis", der zwar haufenweise Zucker, aber keine Physalis enthält. Es ist also so, dass man in Europa etwas herstellen darf, was so ziemlich das genaue Gegenteil dessen ist, was draußen draufsteht – und wenn es daran Kritik gibt, teilen die Hersteller treuherzig mit, ach, vielen Dank, dann schauen wir einfach mal nach, ob auf dem Weltmarkt Physalis-Saft zu haben ist. Ist er dann vermutlich nicht, aber das merkt ja keiner mehr.

Der Staat offeriert uns dieser Tage das Wellnessprodukt "Steuerreform", das mit einem ellenlangen Beipackzettel in die Regale kommt, obwohl noch niemand die genauen Zutaten kennt. Die Bundeskanzlerin teilt vorab mit, es sei besonders wirksam gegen so gefährliche Symptome wie den Mittelstandsbauch und die kalte Progression und schaffe ein angenehmes Konsumklima, könne allerdings nur wirken, wenn sich vorher der Wähler in Nordrhein-Westfalen anständig benimmt und wenn nicht wieder ein paar Fantastilliarden in irgendwelche neuen fiskalischen Havarien gesteckt werden müssen, was man ja nie wissen könne. Außerdem wird auf dem Weltmarkt überhaupt noch nach einem Rezept gesucht, das CDU, FPD, CSU gleichermaßen schmeckt. Das geht nur mit vielen künstlichen Aromen.

Es handelt sich also um ein Produkt, das schon vorab die Nominierung für den "Goldenen Windbeutel" des kommenden Jahrgangs verdient haben dürfte. Echtes Geld ist nicht drin, und was so ähnlich riecht, ist eine Simulation aus künstlichen Aromen und Liquiditätsverstärkern aus der Tüte.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 23.03.2010)


Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen