Sonntag, 28. März 2010

[idw] Opioide bei chronischen Schmerzen: Abschied von zu großen Hoffnungen

Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS), Meike
Drießen, 24.03.2010 15:56


Opioide bei chronischen Schmerzen: Abschied von zu großen Hoffnungen


Wirksamkeit ist schwächer als erwartet: Neue Leitlinie erschienen

Opioide werden als vermeintlich besonders starke Schmerzmittel
zunehmend auch bei chronischen Schmerzen, die nicht durch Tumore
bedingt sind, wie Gelenk- oder Rückenschmerzen, verordnet. Sie wirken
aber dagegen nur wenig besser als andere Schmerzmedikamente. Das hat
die erste wissenschaftliche Auswertung kontrollierter Studien im
Auftrag der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V.
(DGSS) ergeben.

In einer darauf basierenden Leitlinie empfehlen die Spezialisten, die
Schmerzmedikation für jeden Patienten individuell festzusetzen und
immer auch begleitende Maßnahmen wie Problemlösestrategien,
Verhaltens- oder Physiotherapie einzusetzen. "Von zu großen Hoffnungen
auf die Wirkung von Opioden bei chronischem Schmerz müssen wir uns
verabschieden und uns mehr auf schädliche Nebenwirkungen wie z.B.
Suchtpotential, Aufmerksamkeits- und Antriebsstörungen konzentrieren",
sagt Prof. Dr. Christoph Stein, Direktor der Klinik für
Anästhesiologie der Charité und Freien Universität Berlin und Mitglied
des Expertengremiums.

Leitlinie im Internet: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/041-003.pdf


Opioide sind nicht immer erste Wahl

"Das Ergebnis dieser S3-Leitlinie wird die Fachwelt noch lange
beschäftigen", schätzt Prof. Rolf-Detlef Treede, Präsident der DGSS.
Denn die vermeintlich besonders stark wirksamen Opioide lindern
außerhalb ihres klassischen Anwendungsbereichs (Schmerzen nach
Operationen, Tumorschmerzen) den Schmerz nicht wesentlich besser als
andere Medikamente. Bei länger dauernder Einnahme schwächt sich ihre
Wirkung sogar eher noch ab; über die für eine Neuzulassung von
Medikamenten vorgeschriebene Anwendungsdauer von drei Monaten hinaus
liegen so gut wie keine Daten vor. "Fest steht: Opioide sind bei
nicht-tumorbedingten Schmerzen nicht die erste Wahl", so Treede. Gegen
Nervenschmerz gibt es mit weiterentwickelten Anti-Epileptika und Anti-
Depressiva inzwischen andere wirksame Mittel. Bei Gelenkschmerzen sind
nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID, wie Aspirin oder Ibuprofen) und
Coxibe eine Alternative. "Hier gilt es, die jeweiligen Nebenwirkungen
gegeneinander abzuwägen, bevor man die Therapieentscheidung trifft",
so Treede. Überhaupt kommt es den Experten zufolge bei der Wahl der
Behandlung auf die Diagnose und andere individuelle Faktoren des
Patienten an.

Erste groß angelegte wissenschaftliche Auswertung

Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Kontroversen bezüglich der
Wirksamkeit und zunehmender Berichte über schädliche Nebenwirkungen
von Schmerzmedikamenten hatte die DGSS vor fünf Jahren eine auf
methodisch einwandfreien veröffentlichten Studien basierende
S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht
tumorbedingten Schmerzen (LONTS) in Auftrag gegeben. Für die Analyse
und Bewertung wurde aus 16 deutschen Fachgesellschaften und
Patientenverbänden ein 35-köpfiges Experten-Team gebildet. Das Team
wählte nach strengsten wissenschaftlichen Maßstäben die hochwertigsten
Studien aus über 960 Veröffentlichungen in wissenschaftlich
begutachteten Fachzeitschriften aus. Darin wurden über 18.000
Patienten in randomisiert, doppelblind und kontrolliert durchgeführten
Vergleichen untersucht. Die Daten wurden nach der renommierten
Cochrane-Methodik analysiert. Mittels wissenschaftlich etablierter
statistischer Verfahren wurde die schmerzstillende Wirkung von
Morphin- (Opioide) und Aspirin-ähnlichen (NSAIDs) Medikamenten
verglichen. Bei Langzeitanwendung erwirkte jedes dieser Medikamente
für sich alleine zwar eine statistisch signifikante, aber insgesamt
nur relativ geringe Schmerzlinderung. Nach festgelegten Regeln
(Delphi-Verfahren) der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher
medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) leitete das Team daraus
Behandlungsempfehlungen für Patienten mit chronischem, nicht durch
Tumorerkrankungen verursachtem Schmerz ab. "Damit liegt erstmals eine
auf höchstem wissenschaftlichem Niveau aufwändig und unabhängig
erarbeitete Behandlungsleitlinie für diese Patienten vor", so Prof.
Hardo Sorgatz, federführender Autor von LONTS. "Die Leitlinie kann
einem in anderen Ländern bereits kritisierten zu freizügigen Umgang
mit opioidhaltigen Analgetika vorbeugen. Vielleicht bleibt dem
deutschen Gesundheitssystem so die von der FDA für die USA bereits
angekündigte stärkere Reglementierung der Verschreibung dieser
Analgetika erspart."

Ansprechpartner


Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der DGSS, Lehrstuhl für
Neurophysiologie, Medizinische Fakultät Mannheim, Universität
Heidelberg, Ludolf-Krehl-Str.13-17, 68167 Mannheim,
Tel.:0621-383-9926, rolf-detlef.treede@medma.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. Hardo Sorgatz, Federführender Autor LONTS; Institut für
Psychologie der TU Darmstadt, Tel. 06151/16-5213, E-Mail:
hardo.sorgatz@gmx.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse

Sachgebiete:
Medizin

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/041-003.pdf - Leitlinie im Internet
http://www.dgss.org/forum/ - Diskussionsforum zum Thema LONTS

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news361633

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution618

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