Dienstag, 30. März 2010

[idw] Mit Training im Kinderhirn die Lesefähigkeit aufbauen

Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Zürich, Beat Müller, 30.03.2010 08:56

Mit Training im Kinderhirn die Lesefähigkeit aufbauen

Das Hirn von Erwachsenen verarbeitet Schriftzeichen schnell und
unbewusst. Grund dafür ist ein Netzwerk im Hirn, das sich während des
Lesenlernens auf die Verarbeitung von Schrift spezialisiert und
entscheidend zum flüssigen Lesen beiträgt. Forscher am Zentrum für
Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich und dem Agora
Center der Universität in Jyväskylä (Finnland) haben nun gezeigt, dass
diese Spezialisierung für Schrift sich bereits im Vorschulalter sehr
schnell entwickelt, wenn Kinder die Verknüpfungen von Sprachlauten und
Buchstaben trainieren.

Das Verknüpfen von Buchstaben (Grapheme) und Sprachlauten (Phoneme)
ist in vielen Sprachen der erste und besonders wichtige Schritt beim
Lesenlernen. Die meisten Kinder lernen bereits vor der Schule einige
Buchstaben kennen und beginnen diese mit Sprachlauten zu verknüpfen.
Dass eben diese Verknüpfung bei Kindern, die eine Leseschwäche
(Dyslexie, Legasthenie) entwickeln, weniger automatisch abläuft, zeigt
sich in verminderten Buchstabenkenntnissen vor der Schule. Folglich
starten diese Kinder die Schule auch häufig mit etwas weniger
günstigen Vorläuferfertigkeiten für das Lesen.

Die in der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of
Sciences" PNAS (online Publikation) veröffentlichte Studie von Silvia
Brem und Kollegen baut auf diesen Befunden auf. Über 30
Kindergartenkinder mit und ohne familiäres Risiko für Dyslexie haben
mit dem computerbasierten Buchstaben-Sprachlaut-Lernprogramm
"Graphogame" trainiert, das an der finnischen Universität in Jyväskylä
entwickelt wurde. Während cirka acht Wochen übten sie insgesamt drei
bis vier Stunden. Dabei wurde mit Hirnstrommessungen
(Elektroenzephalographie: EEG) und funktioneller
Magnetresonanztomographie (fMRT) erfasst, wie sich die
Buchstabenkenntnisse der Kinder verbessern und wie ihr Hirn lernt.

Buchstabenkenntnisse verbessert

Erfreulicherweise konnten beinahe alle Kinder unabhängig vom
familiären Risiko ihre Buchstabenkenntnisse innerhalb dieser kurzen
Zeit verbessern. Aber auch im Hirn wurde das Lernen sichtbar.
Bestimmte Areale im Sehhirn entwickelten durch das Buchstaben-
Sprachlaut-Training eine Spezialisierung für Schrift: So zeigten die
Kinder eine stärkere Aktivität im Hirn für geschriebene Wörter
gegenüber Symbolen, die ihnen gezeigt wurden. Dies obwohl die Kinder
auch nach dem Training noch nicht lesen sondern lediglich
buchstabieren konnten. Dass diese fMRT-Aktivität einen automatischen,
schnellen, und unbewusst ablaufenden Prozess darstellt, konnte mit der
EEG-Messung verdeutlicht werden. Nur gerade eine Viertelsekunde
nachdem die Kinder ein

geschriebenes Wort gesehen haben, unterscheidet das Hirn bereits
zwischen geschriebenen Wörtern und Symbolreihen. Diese Aktivität im
Hirn für Schrift gleicht derjenigen von Erwachsenen oder Kindern, die
lesen können.

Damit hat diese Studie erstmals zeigen können, dass die Verknüpfungen
von Sprachlauten mit Buchstaben massgeblich bei der
Schriftspezialisierung des Hirns beteiligt sind. Die etablierten
Verknüpfungen und die damit einhergehende Spezialisierung des Sehhirns
legen eine wichtige Basis für die weitere Leseentwicklung der Kinder.

Hilfe für Kinder mit Dyslexie

Trotz deutlichen Trainingserfolgen lässt sich durch diese Studie nicht
beantworten, ob das "Graphogame" besser zum Erlernen von Buchstaben-
Sprachlaut-Verknüpfungen geeignet ist als andere Lernprogramme.
Dennoch sind diese Resultate sehr viel versprechend vor allem im
Hinblick darauf, Kinder mit einer familiären Veranlagung für Dyslexie
in ihrer Leseentwicklung durch frühes und gezieltes Training zu
unterstützen.

Die Forscher am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie wollen
diesen Punkt in einer Nachfolgestudie mit mehr Teilnehmenden
untersuchen. Sie wollen wissen, ob das Buchstaben-Laut-Training im
Vorschulalter den Kindern mit einem familiären Risiko für Dyslexie
wirklich das Lesenlernen erleichtern kann.

Originalbeitrag:
Silvia Brem, Silvia Bach, Karin Kucian, Tomi K. Guttorm, Ernst Martin,
Heikki Lyytinen, Daniel Brandeis und Ulla Richardson: Brain
sensitivity to print emerges when children learn letter-speech sound
correspondences, in: PNAS, online early edition,
doi:10.1073/pnas.0904402107

Kontakt:
Dr. Silvia Brem, Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Universität Zürich
Tel: 0041 43 499 2760
E-Mail: sbrem@kjpd.uzh.ch

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse

Sachgebiete:
Medizin
Psychologie
Sprache / Literatur

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Mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) wurde gemessen, wie sich die Buchstabenkenntnisse der Kinder verbessern und wie ihr Hirn lernt.

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