Mittwoch, 31. März 2010

--->>> Der Mitbestimmung entzogen: Zahl der Unternehmen mit ausländischer Rechtsform wächst <<<---


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 30.03.2010 10:17

Der Mitbestimmung entzogen:

Zahl der Unternehmen mit ausländischer Rechtsform wächst


Von 17 auf 37: In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der in
Deutschland ansässigen Unternehmen stark gestiegen, die hierzulande
mindestens 500 Beschäftigte und eine rein ausländische Rechtsform
(etwa die einer amerikanischen Incorporated) oder eine Kombination mit
ausländischer Rechtsform (z.B. Ltd. & Co. KG) haben. Ihre
Beschäftigten müssen auf  Mitbestimmungsrechte verzichten, die in
vergleichbaren Unternehmen mit rein deutscher Rechtsform
selbstverständlich sind. Diese Benachteiligung kann nur durch eine
Ergänzung der bestehenden Gesetze behoben werden, zeigt eine neue
Untersuchung von Juristen der Hans-Böckler-Stiftung.*

Die Fluglinie Air Berlin PLC & Co. KG zählt zu ihnen, die
Drogeriemarktkette Müller Ltd. & Co. KG, das Logistikunternehmen
Dachser GmbH (Österreich) & Co. KG oder der Druckkonzern Prinovis Ltd.
& Co. KG: Große Unternehmen in Deutschland, die eine Konstruktion mit
einer ausländischen Rechtsform nutzen und deshalb nicht von der
Mitbestimmung im Aufsichtsrat erfasst sind. Während in einer deutschen
AG oder GmbH mit mehr als 2.000 Mitarbeitern die Arbeitnehmer die
Hälfte der Aufsichtsräte stellen, haben sie in der ausländischen
Rechtsform keinen Anspruch auf Repräsentanz. Auch das
Drittelbeteiligungsgesetz für Unternehmen mit 500 bis 2.000
Beschäftigten greift nicht.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eröffnet Unternehmen
die Möglichkeit, eine Rechtsform des europäischen Auslands zu führen.
Für US-Unternehmen regelt ein deutsch-amerikanischer
Freundschaftsvertrag aus den 50er-Jahren Entsprechendes. Die Gruppe
der Firmen, die das tun, ist klein, aber in den vergangenen Jahren
deutlich gewachsen. Im November 2009 gab es nach einer aktuellen
Erhebung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung 37 in der Bundesrepublik
ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten, bei denen sich
beispielsweise eine britische Limited, eine niederländische B.V. oder
eine US-amerikanische Incorporated im Namen findet. Anfang 2006 waren
es hingegen erst 17.

Von den 37 haben 21 die Form einer Kommanditgesellschaft mit einem
ausländischen Komplementär. Die übrigen 16 sind Niederlassungen
ausländischer Unternehmen, beispielsweise die McDonald's Deutschland
Inc. Insgesamt 16 Unternehmen mit ausländischer Rechtsform
beschäftigten mehr als 2.000 Menschen in der Bundesrepblik (siehe auch
die Tabelle im Böckler Impuls 5/2010; Link unten).

Firmen, die eine ausländische Rechtsform führen, nennen als Grund oft
eine einfachere Koordination ihrer internationalen Aktivitäten.
Daneben häufen sich nach Analyse von Sebastian Sick,
Unternehmensrechtler in der Hans-Böckler-Stiftung, aber die Fälle, in
denen Unternehmen durch einen Wechsel der Rechtsform auch
Mitbestimmung vermeiden wollen. So war es nach eigener Aussage von
Unternehmenschef Joachim Hunold bei der Fluggesellschaft Air Berlin.
Die deutsche Tochter des schwedischen Textilhändlers H&M wechselte von
der GmbH in eine B.V. & Co. KG - gerade zu dem Zeitpunkt, als die
Betriebsräte einen mitbestimmten Aufsichtsrat durchsetzen wollten.
Ähnlich lief es auch bei der Modekette Esprit und bei der
Großspedition Kühne + Nagel.

Egal, welche Motive hinter der Wahl der Unternehmensform stehen: Für
die Beschäftigten bedeutet der rechtliche Sonderstatus weniger
Partizipationsrechte. "Diese Benachteiligung der Arbeitnehmer ist
nicht nachzuvollziehen", sagt Sick. "Es ist nicht gerecht, diese
namhaften Unternehmen hierzulande bei der Mitbestimmung anders zu
behandeln als entsprechende Unternehmen deutscher Rechtsform."

Die wissenschaftlichen Mitglieder der Regierungskommission zur
Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung teilten diese
Analyse im Grundsatz. In ihrem Abschlussbericht von 2006 sahen die
Professoren um Kurt Biedenkopf wegen der bis dato geringen Fallzahl
zwar keinen akuten Handlungsbedarf. Sie empfahlen jedoch dem
Gesetzgeber, die Entwicklung zu beobachten und, falls nötig,
"Maßnahmen zur Aufrechterhaltung zur Funktionsfähigkeit der
Mitbestimmung zu treffen". Die Experten erklärten zudem, ein von den
Gewerkschaften gefordertes entsprechendes "Erstreckungsgesetz", sei
mit dem EU-Gemeinschaftsrecht vereinbar. Es würde Beschäftigten bei
der Unternehmensmitbestimmung gleiche Mitsprache unabhängig von der
Rechtsform sichern. Das bestätigen auch die Juraprofessoren Manfred
Weiss und Achim Seifert in einem Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-
Stiftung.**

Im Vergleich zu knapp 700 nach dem Gesetz von 1976 mitbestimmten
Unternehmen und weiteren rund 1.500 Firmen mit Drittelbeteiligung sei
die Gruppe der Unternehmen mit ausländischer Rechtsform zwar nach wie
vor sehr überschaubar, sagt Böckler-Experte Sick. "Aber die rechtliche
Lücke ist an sich ein Problem, das mit jedem Fall, der dazukommt,
größer wird. Deshalb sollte die Politik mit einer gesetzlichen
Regelung nicht länger warten."

*Sebastian Sick: Mitbestimmungsrelevante Unternehmen mit
ausländischen/kombiniert ausländischen Rechtsformen, Januar 2010.
Download unter: <http://www.boeckler.de/pdf/mbf_2010_01_20_sick.pdf>

** Manfred Weiss, Achim Seifert: Der europarechtliche Rahmen für ein
Mitbestimmungserstreckungsgesetz, ZGR - Zeitschrift für Unternehmens-
und Gesellschaftsrecht, Juli 2009

Mehr Informationen und Infografiken zum Download im Böckler Impuls
5/2010: <
http://www.boeckler.de/32014_103069.html>

Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Sebastian Sick
Abteilung Mitbestimmungsförderung
Tel.: 0211-7778-257
E-Mail:
Sebastian-Sick@boeckler.de

Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail:
Rainer-Jung@boeckler.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse

Sachgebiete:
Politik
Recht
Wirtschaft


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